Tiste. Artenschutz gegen Klimaschutz: Beim Tister Bauernmoor soll eine große Photovoltaik-Anlage entstehen. Naturschützer schlagen Alarm.
Das Tister Bauernmoor ist mit seinen Wanderwegen, der Moorbahn und den Aussichtstürmen an den großen Wasserflächen überregional bekannt. Weitere Gebiete um Tiste sind Rast- und Äsungsfläche für Tausende Kraniche, Gänse, Schwänen und viele weitere seltene Vogelarten, wie Seeadler, Schwarzstorch oder Rotmilan. Jetzt befürchten Naturschützer Beeinträchtigungen für das Idyll im Südwesten von Hamburg – wegen eines Solarparks, der in der Nähe gebaut werden soll.
Kritiker befürchten „Wildwuchs“ bei Freiflächen-Photovoltaik
Deutschlands Energiehunger ist groß – und Freiflächen-Photovoltaik (PV) ist neben Windenergie nach Expertenmeinung unabdingbar für eine unabhängige und kostengünstige Stromversorgung. Doch immer öfter kollidiert der Ausbau der Erneuerbaren Energienmit anderen Themen, wie dem Arten- und Naturschutz.
So auch in der Samtgemeinde Sittensen: „Wir sind überhaupt nicht gegen Freiflächen-Photovoltaikanlage. Aber dieser Standort in der Gemeinde Tiste ist falsch“, sagt Jürgen Sausmikat von der Wählergemeinschaft Freier Bürger. Seine Fraktion im Rat der Samtgemeinde Sittensen, zu der Tiste gehört, befürchtet einen „Wildwuchs“ durch einen übermäßigen Ausbau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen in sensiblen Gebieten. „Es gibt genügend andere Potenzialflächen“, meint Sausmikat.
Photovoltaik-Anlage wird etwa einen Kilometer lang und bis zu 250 Meter breit
Der von dem Heidenauer Unternehmen NewDev Management GmbH geplante Solarpark umfasst eine Fläche von etwa 50 Hektar, die bisher landwirtschaftlich genutzt wird. Die Anlage soll etwa einen Kilometer lang und bis zu 250 Meter breit sein und eine Leistung von etwa 50 Megawatt haben. Damit könnten laut NewDev künftig etwa 12.000 Haushalte mit grünem Strom versorgt werden, was etwa der Einwohnerzahl der Samtgemeinde Sittensen entspreche.
Die Bürger der Standortgemeinde Tiste werden dabei wirtschaftlich am Erfolg der Stromproduktion teilhaben: Gerade hat der Gemeinderat Tiste einen Vertrag mit NewDev beschlossen, wonach von dem produzierten Strom künftig 0,2 Cent pro Kilowattstunde in den Gemeindehaushalt fließen werden. Die Samtgemeinde Sittensen und die Gemeinde Tiste haben die planungsrechtlichen Grundlagen für den Solarpark im Bereich Herwigshof geschaffen.
Auch der Landkreis Rotenburg (Wümme) hat inzwischen zugestimmt: „Der Landkreis hatte die Änderung des Flächennutzungsplans der Samtgemeinde Sittensen genehmigt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen und deshalb ein Anspruch auf Genehmigung bestand“, heißt es auf Abendblatt-Nachfrage: „Aktuell liegen dem Landkreis mehrere Bauanträge zur Errichtung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen in dem Bereich vor.“ Diese würden zur Zeit geprüft, dabei spiele auch der Artenschutz eine Rolle.
Nabu-Kreisverband ist ebenfalls gegen den Solarpark am Rande des Tister Bauernmoores
Das Naturschutzgebiet Tister Bauernmoor befindet sich unweit südlich der Planfläche, die gleichzeitig unmittelbar an das EU-Vogelschutzgebiet „Moore bei Sittensen“ grenzt. Der geplante Solarpark Tiste liegt außerdem im zentralen Bereich eines landkreisweiten Schwerpunktgebietes für den Wiesenvogelschutz. Auch das Naturschutzgebiet Großes Everstorfer Moor im Landkreis Harburg befindet sich in der Nähe. „Durch diese Lage ist das überplante Gebiet als Nahrungshabitat insbesondere für diverse Rastvögel wertvoll.
Dieser Nutzen wird bei Durchführung der Planungen erheblich beeinträchtigt“, meint Walter Lemmermann vom Nabu-Kreisverband Bremervörde-Zeven. Auf der Fläche des geplanten Solarparks sei 2022 ein Brutstandort des Großes Brachvogels nachgewiesen worden, so Lemmermann. „Durch die zentrale Lage der Planung und verbunden mit dem Abstand, den Wiesenvögel von solchen unnatürlichen Strukturen halten, entfällt aus unserer Sicht das gesamte Schwerpunktgebiet als Lebens- und Brutstandort für Wiesenvögel“, sagt er.
Rast- und Brutplatz von unzähligen Kranichen und anderen seltenen Vögeln
Es gebe weitere Argumente, die für die unbedingte Erhaltung der Fläche sprechen und nicht nur die Bodenbrüter Großer Brachvogel, Kiebitz und Bekassine betreffen, ergänzt Jürgen Sausmikat. „Das Gebiet ist alljährlich Rast- und Äsungsfläche für unzählige Kranichen und andere seltenen Vögel. Dort gibt es Seeadler, Schwarz- und Weißstorch, Rotmilan und viele der seltenen Weihenarten. Auch Rebhuhn, Fasan, Wachtel, Raubwürger, Neuntöter und Schwarz- und Braunkehlchen leben dort.“ Es könne keinen berechtigten Zweifel geben, dass der Solarpark für diese Arten eine erhebliche Verschlechterung bedeute, dabei dürfe es aus naturschutzfachlicher Sicht keine Verschlechterung des Erhaltungszustandes für Vogel- und Naturschutz erfolgen, meint Sausmikat.
Kritiker verweisen auf Potenzialflächen an der Autobahn A1
Das eigentliche Problem an dem Verfahren sei allerdings die Auswahl der Flächen, sind sich die Kritiker einig. Eine Analyse zu Potenzialflächen über die gesamte Samtgemeinde habe es nicht gegeben. Dabei gebe es deutlich geeignetere Flächen als ausgerechnet das auch landwirtschaftlich wertvolle Areal bei Tiste. Zum Beispiel an der A1, die durch die zwischen Hamburg und Bremen gelegene Samtgemeinde Sittensen verläuft: „Auf beiden Seiten der Autobahn sind aufgrund der vorhandenen Vorbelastung ausreichend Flächen vorhanden“, meint Nabu-Mann Lemmermann. „Nach unserer Auffassung zeigt die fehlende Potenzialflächenanalyse, dass es bei dieser Planung leider lediglich um die Flächenverfügbarkeit geht. Die für die Natur optimale Flächenauswahl spielt keine Rolle.“
Tister Bauernmoor: Vereinbarkeit des Solarparks mit Naturschutz wurde geprüft
NewDev-Geschäftsführer Dr. Mark-Oliver Otto betont dagegen, dass den Genehmigungsverfahren eine fast zweijährige Bauleitplanung vorausgegangen sei, „in der alle städtebaulichen und naturschutzfachlichen Belange sorgfältig ermittelt und bewertet wurden“. Insbesondere die Nähe zum Natur- und Vogelschutzgebiet sowie das landkreisweite Wiesenvogelschutzprogramm hätten dabei besondere Berücksichtigung gefunden.
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„Die Vereinbarkeit des Solarparks mit den Anforderungen des Naturschutzes wurden durch umfangreiche Fachgutachten zum Artenschutz und zur Naturverträglichkeit belegt“, so Otto. Außerdem verbürge die „biodiversitätsfreundliche“ Ausgestaltung des Solarparks und zahlreiche Maßnahmen während der Bauphase und des späteren Betriebs des Solarparks die Naturverträglichkeit.
„Es ist sehr schade, wenn der Artenschutz gegen den Klimaschutz ausgespielt wird und mit Mitteln der Bürokratie wichtige Vorhaben für die Energiewende zum Scheitern gebracht werden“, sagt Otto mit Blick auf den Landkreis, der das Baugenehmigungsverfahren durch „immer wieder neue und unbegründete Nachforderungen“ ins Stocken bringe. Auch Stefan Behrens, Bürgermeister der Gemeinde Tiste ist enttäuscht: „Wir haben vom Landkreis eine kooperative Bearbeitung erwartet. Wir stehen als Gemeinde voll hinter dem Solarpark und hoffen darauf, dass die Genehmigung bald erteilt wird.“