Hamburg. Schülerzahl wächst in Hamburg im Eiltempo. Senatorin räumt „große Herausforderungen“ ein, Opposition kritisiert, Staatsrat beruhigt.

  • Die Zahl der Schülerinnen und Schüler wächst in Hamburg im Rekordtempo
  • Aufgrund des Wachstums müssen Hunderte neue Klassen eingerichtet werden
  • Die neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris spricht von „großen herausforderungen“
  • Politische Gegner kritisieren Unterrichtsausfall und pädagogische Qualität
  • Auch Hamburgs Schulentwicklungsplan (SEPL) wird in Frage gestellt

Dieser Schülerzuwachs ist historisch: Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die eine staatliche Schule in Hamburg besuchen, ist innerhalb nur eines Jahres um 6386 Schülerinnen und Schüler angestiegen. „Das entspricht der Schülerzahl von rund 350 zusätzlichen Schulklassen oder zum Beispiel 20 zusätzlichen Grundschulen. Einen solch schnellen und massiven Zuwachs wie in den letzten zwei Jahren hat es vermutlich historisch in Hamburg nie gegeben, auch nicht in Folge der Flüchtlingskrise im Nahen Osten ab 2015“, sagte die neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung der Statistik zum laufenden Schuljahr 2023/24.

Hamburgs Grundschulen wachsen besonders schnell

Noch deutlicher wird die Dimension, wenn man die Schülerzahl mit der vor zehn Jahren vergleicht. So gibt es an den allgemeinbildenden Schulen derzeit 30.856 Schülerinnen und Schüler mehr als vor zehn Jahren – das ist ein Plus von 16,5 Prozent. Besonders stark sind die Grundschulen gewachsen: Im vergangenen Jahrzehnt legten sie bei den Schülerzahlen um ein Viertel zu (24,8 Prozent).

Das besonders starke Wachstum der Grundschulen zeigt sich auch weiterhin bei der Entwicklung der Erstklässler: Vor zehn Jahren waren es noch 15.761 Abc-Schützen, aktuell sind es 19.521, also rund 24 Prozent mehr. Das entspricht 180 zusätzlichen Eingangsklassen – pro Schuljahr. Und diese Schülerzahlen werden anschließend durch die weiterführenden Schulen durchwachsen.

Schulen in Hamburg vor großen Herausforderungen

Bekeris sagte, dass die Aufnahme einer so gewaltigen Anzahl von Schülerinnen und Schülern bislang gut gelungen sei, und dankte Schulleitungen und Lehrern. „Allerdings sind die Herausforderungen weiterhin sehr groß.“ Insgesamt besuchen in diesem Schuljahr rund 265.500 Schülerinnen und Schüler die Hamburger allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, staatlich und privat, ein erneuter neuer Höchststand.

Deutlich mehr Schüler brauchen auch deutlich mehr Lehrer. „In einem Kraftakt“ , so Bekeris, sei es gelungen, das pädagogische Personal trotz Lehrermangels von 19.789 im Vorjahr auf jetzt 20.369 Vollzeitstellen (+580 Vollzeitstellen) auszuweiten. Noch deutlicher wird der Anstieg im Vergleich der vergangenen zehn Jahre. Vor zehn Jahren gab es an den Schulen 17.079 Vollzeitstellen für pädagogische Beschäftigte, heute haben die Schulen 3290 Stellen mehr (+ 19 Prozent). Insgesamt stieg die Zahl der Stellen um rund 30 Prozent.

Sieht sich und die Schulbehörde vor „großen Herausforderungen“: Hamburgs neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD).
Sieht sich und die Schulbehörde vor „großen Herausforderungen“: Hamburgs neue Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD). © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Schule Hamburg: So ist der Lehrer-Kind-Schlüssel

Hamburg ist stolz darauf, die vor etlichen Jahren beschlossenen Klassengrößen trotz eines ganz leichten Anstiegs im Wesentlichen aufrechterhalten zu können. Von den kleineren Klassen profitieren vor allem die Grundschulen in schwierigen sozialen Umfeldern mit aktuell durchschnittlich nur 18,4 Schülerinnen und Schülern pro Klasse, sowie 22,1 an allen anderen Grundschulen.

An Stadtteilschulen liegt die Klassengröße bei 23,9 und an den Gymnasien 26,3 (jeweils Klassenstufen 5-10). Auf eine Pädagogin oder einen Pädagogen kommen somit rund 12,2 Schülerinnen und Schüler an Grundschulen, 10,6 an Stadtteilschulen, 14,6 an Gymnasien und 3,4 an Sonderschulen.

Platz an Hamburgs Schulen wird knapper

Die zusätzlichen Kinder brauchen aber nicht nur mehr Lehrkräfte, sondern auch mehr Platz an den Schulen. Und das war so in der Planung nicht in Gänze absehbar. Denn: Einen hohen Anteil am Schülerwachstum im vorigen und diesem Schuljahr haben die vielen ukrainischen Kinder, die mit ihren Müttern nach Hamburg kamen. Ohne sie wären es lediglich 3000 bis 3200 zusätzliche Schulkinder gewesen. Diese seien eingeplant gewesen, so der Staatsrat in der Bildungsbehörde, Rainer Schulz. Den Krieg in der Ukraine aber habe niemand vorhersehen können.

„Wir schaffen es im Moment, die Schülerinnen und Schüler unterzubringen“, sagte Schulz. Der Schulentwicklungsplan von 2019 werde laufend überarbeitet, zahlreiche Schulen sind neu im Bau oder werden modernisiert und erweitert. Aber, so Schulz: Der Platz muss eben auch an der richtigen Stelle vorhanden sein. Wenn Kapazitäten beispielsweise in Harburg benötigt werden, nütze es nicht, wenn es im Bezirk Hamburg-Nord freie Räume gebe. Auch unterjährig müssten an bestimmten Standorten weitere Züge eingerichtet werden. „Im Moment platzt noch keine Schule aus allen Nähten“, versicherte der Staatsrat. Der durchschnittliche Platz pro Schüler an den Hamburger Schulen sei allerdings von 14,2 auf 13,2 Quadratmeter gesunken. Vorgegeben sind mindestens 12 Quadratmeter.

Mehr als jedes zweite Hamburger Schulkind mit Migrationshintergrund

Mehr als jedes zweite Hamburger Schulkind hat einen Migrationshintergrund (nach Mikrozensus). Aktuell stieg der Anteil noch einmal leicht weiter auf jetzt 53,9 Prozent in den Vorschulklassen bis Klasse 10.

Ksenija Bekeris am Dienstag zum ersten Mal vor die Landespressekonferenz im Rathaus.
Ksenija Bekeris am Dienstag zum ersten Mal vor die Landespressekonferenz im Rathaus. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Gleichfalls stieg auch der Anteil der Schülerinnen und Schüler, in deren Familien zu Hause überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, auf 33,8 Prozent (Vorjahr 32,7 Prozent). Vor zehn Jahren waren es noch 22,9 Prozent. Auch hier mache sich die hohe Anzahl von fluchtbedingt zugezogenen Schülerinnen und Schülern bemerkbar, heißt es aus der Schulbehörde. Gemeint sind unter anderem ukrainische Kinder, die mit ihren Müttern nach Kriegsausbruch nach Hamburg kamen.

Gymnasien liegen in der Elterngunst leicht vor Stadtteilschulen

Zum Erhebungszeitpunkt September 2023 besuchten 4105 Schülerinnen und Schüler mit Flucht- oder direkter Einwanderungsgeschichte eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) oder eine Basisklasse an einer staatlichen allgemeinbildenden Schule, aktuell sind es sogar 4314. Weitere 2262 Schülerinnen und Schüler besuchten eine Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten (AvM) oder eine Alphabetisierungsklasse, aktuell sind es 2325.

Insgesamt besuchten Mitte Januar 2024 damit rund 6639 Schülerinnen und Schüler mit Flucht- oder direkter Einwanderungsgeschichte eine Sonderklasse, bevor sie in der Regel nach einem Jahr in eine Regelklasse wechseln. Diese Internationalen Vorbereitungsklassen und Basisklassen verteilen sich inzwischen relativ gleichmäßig auf die Schulformen: 61 an Grundschulen, 56 an Stadtteilschulen, 54 an Gymnasien sowie drei an Sonderschulen.

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Das Hamburger Zweisäulenmodell, das 2010 eingeführt wurde, erweist sich als „sehr stabil“: Nach dem Wechsel von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen besuchen im aktuellen Schuljahr 48,4 Prozent der Fünftklässler eine Stadtteilschule und 51,6 Prozent ein Gymnasium. Das seien nahezu die gleichen Werte wie vor zehn Jahren, so die Schulbehörde. „Wir haben in Hamburg zwei starke Säulen, die beide zum Abitur führen“, sagte Bekeris.

Nach Corona wieder weniger Klassenwiederholer

Auch das Ganztagsangebot bleibt für Hamburger Eltern attraktiv: Aktuell nehmen 88,6 Prozent der Grundschülerinnen und -schüler am Ganztag teil (74,5 Prozent in 2014). Das ist ein neuer Höchstwert. 49,7 Prozent der Kinder sind darüber hinaus bei einer Ferienbetreuung dabei. Die Schulbehörde weist darauf hin, dass das Institut der Deutschen Wirtschaft Ende 2023 in einer Vergleichsstudie festgestellt hatte, Hamburg nehme bei der Ganztagsbetreuung an Grundschulen bundesweit die Spitzenposition ein.

Nach dem Aus für mehrere katholische Schulen in der Hansestadt sank derweil die Quote der Privatschüler von 10,7 Prozent (2014/15) auf jetzt nur noch 8,3 Prozent. Die ehemaligen Privatschüler müssen nun an staatlichen Schulen beschult werden und tragen hier zum Wachstum bei. Die Zahl der Klassenwiederholungen, die während der Corona-Pandemie gestiegen war, geht wieder zurück.

Wo Hamburgs neue Schulen entstehen

Mehr Schüler benötigen auch mehr Schulen: Insgesamt, so die Behörde, sehe der aktuelle Schulentwicklungsplan bis zu 44 Schulneugründungen vor. Seit 2019 sind bereits zwölf neue Schulen gegründet, weitere 14 sind konkret in der Gründung und haben Gründungsschulleitungen. Mehr als 120 bestehende Schulen werden zudem saniert, modernisiert und vergrößert. 40 Ausbauprojekte sind bereits realisiert, weitere über 60 konkret in Umsetzung.

Zum aktuellen Schuljahr waren der „Campus Kieler Straße“ (Stadtteilschule mit gymnasialem Zweig) und das Gymnasium Langenhorn gestartet. Für das nächste Schuljahr stehen folgende Schulen in den Startlöchern und haben bereits an der Anmelderunde 5 teilgenommen:

  • Campus Hebebrandstraße (City Nord, Stadtteilschule mit Gymnasialzweig)
  • Gymnasium Neugraben
  • Gymnasium im Eilbektal (Eilbek)
  • Stadtteilschule In den Reethen (Neugraben-Fischbek)
  • Stadtteilschule Osterbek (Bramfeld)
  • Campus Schnelsen (Stadtteilschule mit Gymnasialzweig)

Krankheitswelle bei Lehrern in Hamburgs Schulen

Der Krankenstand unter Hamburgs Lehrkräften sei in den vergangenen Monaten besonders hoch gewesen – wie auch in der übrigen Bevölkerung, räumte Staatsrat Schulz ein. „Aber wir geben den Schulen ausreichend Personal an die Hand.“ Sie hätten die Möglichkeit, flexibel nach Bedarf etwa Honorarkräfte einzustellen, auch Studierende. Die Schulen bekämen eine Personaldeckung von 104,1 Prozent zugewiesen, um eben Krankheitsfälle abzudecken. „In Hamburg fällt im Bundesvergleich am wenigsten Unterricht aus“, erklärte Schulz.

„Hamburgs Schulen werden immer voller, über ein Drittel der Schüler bringen von zu Hause geringe oder keine Deutschkenntnisse mit, der Krankenstand unter Lehrern und Betreuungspersonal steigt“, sagte Anna v. Treuenfels-Frowein, FDP-Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft.

Ob und wie die neue Schulsenatorin diesen riesigen Herausforderungen begegnen will, habe sie bisher nicht erklärt. „Ein Weiter-so-Kurs wird bestimmt nicht ausreichen. Auf jeden Fall braucht Hamburg dringend die echte Dokumentation des Unterrichtsausfalls, außerdem die Vorverlegung der Viereinhalbjährigen-Untersuchung um ein bis zwei Jahre. Nur dann werden wir es vehindern können, dass immer mehr Erstklässler ohne deutsche Sprachkenntnisse in die Grundschule kommen.“

Linke: Schulentwicklung in den Regionen neu planen

Auch Sabine Boeddinghaus, schulpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht Handlungsbedarf. „Entscheidend ist und bleibt die pädagogische Qualität. Immer noch sehen wir, dass Gymnasien so gut wie keinen Anteil an der Inklusion haben, immer noch sehen wir, dass arme Schülerinnen und Schüler häufiger auf die Stadtteilschule gehen als aufs Gymnasium. Letztere müssen von der Senatorin umgehend herangezogen werden, um ihren Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit zu leisten.“

Darüber hinaus sieht Boeddinghaus die Behörde in der Pflicht, Schulentwicklung vor Ort zu gestalten: „Die Schulbehörde gibt frank und frei zu, dass der Schulentwicklungsplan von 2019 Makulatur ist und im Tagesgeschäft geändert wird. Hier muss dringend eine systematische Planung der Schulen in der Schulregion erfolgen. In Regionalen Bildungskonferenzen kann ein gemeinsames Bildungsangebot erarbeitet werden, anstatt die Schulen in Konkurrenz zueinander zu halten.“