Hamburg. Zum Abschied: 350 Gäste würdigen „erfolgreichsten Bildungsminister“. Der mag kein „seichtes Gelaber“. Kanzler schickt eine Botschaft.
- Am Mittwochabend war es soweit: Ties Rabe nahm endgültig Abschied von seiner Zeit in der Schulbehörde
- Mehr als 350 Gäste kamen, um den Schulsenator a. D. zu verabschieden
- Selbst Kanzler Olaf Scholz (SPD) schickte ein Grußwort an seinen einstigen Kollegen
Ganz großer Bahnhof für Ties Rabe: Mehr als 350 Gäste kamen am Mittwochabend zur Verabschiedung des Schulsenators in den Großen Festsaal des Hamburger Rathauses. Schließlich geht mit seinem Ausscheiden in der Hansestadt eine Ära zu Ende. Der Bergedorfer Rabe stand fast 13 Jahre lang an der Spitze der Schulbehörde und prägte in dieser Zeit die Hamburger Bildungspolitik wie kaum ein anderer Politiker vor ihm. „In der Bildungspolitik, in der es nicht selten 16 unterschiedliche Meinungen gibt, sind sich alle einig: Dieser Mann hat Großes geleistet“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Am Ende gab es nach der zweieinhalbstündigen Festveranstaltung minutenlange Standing Ovations für Rabe.
Der 63-Jährige, so Tschentscher, sei ein Glücksfall für Hamburg gewesen – und der erfolgreichste Bildungsminister Deutschlands. „Aber seine Arbeit hat weit über unsere Stadtgrenzen hinaus gereicht.“ Entsprechend hochkarätig waren die Rednerinnen und Redner. Gleich zwei Bundesminister waren nach Hamburg gekommen, um Rabe zu würdigen. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt überbrachte Grüße von Olaf Scholz (beide SPD): Jedes Kind, das in Hamburg zur Schule gehe, könne darauf vertrauen, gesehen zu werden, ließ der Bundeskanzler übermitteln. „Hamburg hat der Schulpolitik von Ties Rabe viel zu verdanken.“ Auch die Hamburger Ehrenbürger Kirsten Boie und Michael Otto kamen ins Rathaus.
Ties Rabe brachte Hamburgs Schulen auf Erfolgsspur
Rabe hatte Anfang Januar überraschend seinen Rücktritt vom Amt bekannt gegeben, nachdem gesundheitliche Probleme im vergangenen Jahr stark zugenommen hatten. Wer Rabe kennt, weiß, dass er keine halben Sachen machen kann. Deshalb zog er – trotz Bitten von Tschentscher, noch bis zur Bürgerschaftswahl in einem Jahr an Bord zu bleiben – die Konsequenzen. „Ich wollte mich nicht durchs Amt schleppen“, sagte er.
In für einen Sozialdemokraten ungewöhnlicher Weise setzte Rabe in der Schulpolitik aufs Fördern, aber auch sehr auf das Fordern. Zu seinem Verdienst gehört es, das Hamburger Schulwesen auf die Erfolgsspur gebracht zu haben. In den bundesweiten Vergleichsstudien verbesserten sich die Leistungen der Hamburger Schülerinnen und Schüler vom letzten bis ins obere Drittel der Ranglisten, wie Rabe selbst nicht ohne Stolz bei seiner Verabschiedung anmerkte. Delegationen anderer Bundesländer besuchten Hamburg, um zu lernen.
Rabe sei „etwas nie Dagewesenes gelungen – ein Bildungsminister, der mit Lob überschüttet wird“, sagte Stefanie Hubig, Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz. Er habe Hamburg „vom Schlusslicht zum Vorbild gemacht“, im Fokus gehabt, wie man auch Kinder und Jugendliche unterstützen könne, bei denen zu Hause kein Buch im Regal stehe und so vielen jungen Menschen große Bildungschancen eröffnet. „Heute sind deine Ideen unter den Kollegen Allgemeingut“, sagte Huber und fragte mit scheinbarer Verzweiflung: „Kann die Kultusministerkonferenz ohne Ties Rabe fortbestehen?“
Rabe über Olaf Scholz: „Damals ein kleiner, etwas pummeliger Lokalpolitiker“
Auch das wohl größte Schulbauprogramm der Hamburger Geschichte fällt in dessen Amtszeit. Er habe nachgezählt, hatte er bei seinem Ausscheiden gesagt, und sei auf insgesamt 141 Reformen während seiner Amtszeit gekommen. Er gehörte drei Hamburger Senaten an, arbeitete unter zwei Bürgermeistern, machte mehr als 500 Schulbesuche und absolvierte über 100 Auftritte in der dienstäglichen Landespressekonferenz. Sein Faible für Zahlen und Daten trug dem einstigen Gymnasiallehrer bisweilen den Titel „Graf Zahl“ ein, was auch bei der Festveranstaltung kaum ein Redner unerwähnt ließ.
In einer ebenso bewegten wie launigen Rede beschrieb Rabe selbst, dass er nach Stationen als Redaktionsleiter des Elbe-Wochenblatts und SPD-Landesgeschäftsführer („dort lernte ich auch einen kleinen, damals pummeligen Lokalpolitiker kennen: Olaf Scholz“) im „Beruf Nummer 3“ sechs Jahre lang am Luisen-Gymnasium in Bergedorf Deutsch, Religion und Geschichte unterrichtete. Das sollte auch politische Folgen haben: Ursprünglich, so verriet er jetzt, habe er Umweltpolitiker werden wollen. Doch dann habe die SPD-Fraktionsspitze entschieden: „Du bist Lehrer, du machst Schule.“
„Versetzung gefährdet“: Ties Rabes wilde Zeit
Dabei, so enthüllte Rabe in seiner Rede, hieß es bei ihm selbst als Neuntklässler „Versetzung gefährdet“. Vorangegangen war eine, für seine Verhältnisse, wilde Zeit. Mit 15 Jahren habe er ein Mofa bekommen, und so eröffnete sich ihm eine neue Welt aus Abenteuer und Jugenddiscos. Doch nach dem schulischen Dämpfer beschloss er umgehend, sein Leben wieder zu ändern und setzte sich im Unterricht neben die „uncoolen Mädchen“, die immer aufpassten und ihre Hefte dabeihatten. Ende gut, möchte man sagen: Denn das Abitur machte Rabe dann als Jahrgangsbester. Und auch das mit den Mädchen lief. Mit 16 Jahren war ihm klar, dass er die Banknachbarin, mit der er für Klausuren büffelte und nachmittags bei Räucherkerzen und Tee Bob Dylan und Cat Stevens im cordbraunen Jugendzimmer hörte, einmal heiraten wollte. Vor Kurzem feierten er und seine Frau Katrin 40. Hochzeitstag.
Ins Amt gekommen war Rabe 2011 als Ersatzmann: Nach dem Erdrutschsieg der SPD bei der Bürgerschaftswahl galt eigentlich die profilierte Schulpolitikerin Britta Ernst als aussichtsreichste Kandidatin für das Senatorenamt. Doch die war mit Olaf Scholz verheiratet, der Erster Bürgermeister werden sollte. Das drohte Anstoß zu erregen, und so bekam Rabe das Schulressort.
Ties Rabe: „Spaßkultur des seichten Gelabers war mir immer fremd“
Die Erfahrungen, die hinter seiner Schulpolitik stehen, beschrieb er zum Abschied jetzt so: „Gelernt habe ich, wie wichtig Mut machende Lehrer sind. Und Fleiß, Ausdauer und Konzentration. Dass man sich manchmal sogar überwinden muss. Nichts kommt von selbst. Lernen macht Freude, aber nicht immer Spaß. Das hat meine Schulpolitik geprägt. Es darf gern etwas schwieriger sein. Unterfordern ist nicht meine Sache. Die Spaßkultur des seichten Gelabers war mir immer fremd.“
Rabe hat nicht nur die Hamburger Schulpolitik geprägt, sondern auf Bundesbene auch die der SPD-geführten Bundesländer koordiniert. Er verhandelte die Bildungsfragen in den Koalitionsverträgen zweier Bundesregierungen mit. Nicht zuletzt, weil er als dienstältester Bildungsminister Deutschlands über sehr viel Erfahrung verfügte, hatte seine Stimme auch in der Kultusministerkonferenz besonderes Gewicht.
Bettina Stark-Watzinger bescheinigte Rabe „großen persönlichen Einsatz, Ausdauer und klare markige Worte“, wie etwa „Leistung macht glücklich‘. Rabe habe den Mut gezeigt, sich auch von Gegenwind nicht aufhalten zu lassen. „Der Erfolg gab Ihnen recht!“ Sie werde ihn vermissen, sagte die Bundesbildungsministerin. Auch die Kultusminister Steffen Freiberg (Brandenburg, SPD), Karin Prien (Schleswig-Holstein, CDU) und Sabine Oldenburg (Mecklenburg-Vorpommern, Linke) waren unter den Gästen. Die Anerkennung für Rabe reicht über seine eigene Partei hinaus. Mit Amtskollegin Prien gemeinsam hatte er dem Abendblatt sein letztes Interview zur Schulpolitik gegeben.
Der Schulsenator a.D. über seine ganz persönlichen Macken
„Sein Wort hatte auch außerhalb Hamburgs Gewicht, sogar in Bayern, das seinen schon gewohnheitsmäßig ersten Platz bei den Lesekompetenzen zuletzt an Hamburg abtreten musste“, sagte Tschentscher jetzt im Rathaus. „Ties Rabe war der Richtige zur richtigen Zeit – vielleicht gerade, weil er sich wenig um den wechselnden Zeitgeist in der Bildungspolitik kümmerte.“ Stattdessen habe sich der Bergedorfer an Fakten orientiert, ließ den Lernstand der Schülerinnen und Schüler erheben und reformierte den Unterricht auf der Basis empirischer Untersuchungen, so der Bürgermeister. „Dass er den Abwärtstrend bei den Lese- und Rechenfähigkeiten und anderen Kernkompetenzen in Hamburg gestoppt hat, gehört zu seinen größten Verdiensten und hat vermutlich viele misslungene Bildungskarrieren und schwierige Lebenswege verhindert.“
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Unter den Gästen der Festveranstaltung, die von den Dulsberger Chorkatzen sowie Young ClassX musikalisch begleitet wurde, waren auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne), Uni-Präsident Hauke Heekeren, KMK-Generalsekretär Udo Michallik, Handwerkskammer-Präsident Hjalmar Stemmann, Arbeitsagenturchef Sönke Fock, Theater-Intendantin Isabella Vértes-Schütter sowie zahlreiche weitere Senatsmitglieder und Schulleiterinnen und Schulleiter.
Besonders an seiner Seite seien Scholz, Tschentscher und Finanzsenator Andreas Dressel gewesen sowie natürlich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Schulbehörde. „Sie haben meine Macken liebevoll ertragen: meine Ordnungsliebe, meine Genauigkeit bei Zahlen, meine Hilflosigkeit im Umgang mit Kreditkarten, Hotels und Computern, meine Hartnäckigkeit bei der Textarbeit, meine Verweigerung der elektronischen Aktenbearbeitung, meinen Anspruch auf ein gemeinsames Mittagessen und mein Arbeitstempo“, sagte Rabe. „Ich werde sie alle sehr vermissen. Und bin dankbar für 13 glückliche Jahre.“