Hamburg. Mehr und längere Züge, Digitalisierung bringt höheres Tempo auf Gleise und schafft Signale ab. Eine Linie sticht besonders heraus.
Der Streik der Lokführer in der GDL und die größte Umstellung des Linienfahrplans bei der Hamburger S-Bahn seit Jahrzehnten hat die Statistik offenbar weniger beeinträchtigt als gedacht. Im Exklusiv-Gespräch mit dem Abendblatt sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung, Kay Uwe Arnecke: „Wir haben trotz negativer Einflussfaktoren wie Streiks, Baustellen und dem späten Wintereinbruch im Jahr 2023 eine Pünktlichkeit von 94,5 Prozent bei der S-Bahn Hamburg geschafft.“ Arnecke glaubt sogar daran, dass dieses Jahr eine noch höhere Pünktlichkeit erreicht werden kann. „Wenn diese Einflussfaktoren nicht mehr in diesem Maße da sind, können wir 2024 sogar noch ein bisschen besser werden.“
Auf der meistdiskutierten Strecke in den und aus dem Hamburger Süden hätten sich die Langzüge der S3 bewährt, die jetzt in Neugraben leer starten und eine Kapazität von bis zu 1500 Fahrgästen haben. Arnecke sagte, eine Rückmeldung zum neuen Liniennetz sei: „Warum habt ihr das nicht schon früher gemacht?“
S-Bahn Hamburg sehr pünktlich: Wo es gut läuft für Pendler
Hinter Neugraben Richtung Westen, das wissen Pendler, beginnt unsicheres Terrain auf Schienen. Arnecke spricht bei der S5 von „Gleisen mit Mischverkehr, also Regional- und Güterbahnen“. Es gebe zwischen Neugraben und Stade 20 Bahnübergänge und Oberleitungen, was die Situation erschwere. „Dass wir hier bisher Pünktlichkeitswerte auf dem Niveau der anderen Strecken erreicht haben, ist ein Erfolg.“ Eine Route profitiert offenbar schon jetzt mit am meisten von der neuen Linienführung: die S2 (alte S21) Richtung Bergedorf. „Die S2 ist die Linie mit den besten Pünktlichkeitswerten. Das liegt vor allem an der Entlastung in Altona. Dieser Knoten dort hat sich mit dem neuen Netz entwirrt.“
Die Umstellung der Linien zum 10. Dezember des vergangenen Jahres war extrem kommunikationsbedürftig. Vielen Fahrgästen war nicht klar, dass es nicht bloß um Zahlen und Linienwege und möglicherweise neue Umstiegsverbindungen ging. Die S-Bahn Hamburg hat mit der Konzentration auf die S1, S2 (statt S21), S3 (neu ab Neugraben), der künftigen S4 Richtung Ahrensburg, der S5 ab Stade und in Zukunft bis Kaltenkirchen und der baldigen S6 von Neugraben über die Verbindungsbahn bis Elbgausraße einen Zahlensalat geordnet – und mehr Platz in Zügen und auf den Strecken geschaffen. Die „Staus“ in Altona und zum Teil am Hauptbahnhof lösen sich nun schneller auf oder entstehen erst gar nicht.
S4 statt RB 81: ab 2027 bis Rahlstedt
Die S4 soll schon 2027 auf eigener Trasse bis Rahlstedt fahren und die dauergeplagten Kunden der RB 81 erlösen helfen. Mit deutlich mehr als 90.000 Einwohnern ist Rahlstedt Hamburgs einwohnerstärkster Stadtteil.
Arnecke kündigt im Abendblatt ein kräftiges Wachstum an: „Bis zum Jahr 2030 wächst die S-Bahn Hamburg um 50 Prozent ihrer Kapazität – so stark wie kein anderes Verkehrsunternehmen in Deutschland. Das hat zur Folge, dass wir zusätzliche Leute (Personal) und Fahrzeuge brauchen. Wir rechnen mit 500 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir stellen aber nicht nur 500 ein. Die Zahl wird eher bei 1000 liegen, denn die Babyboomer gehen so langsam in Rente.“
Die S-Bahn bildet rund 100 Lokführer selbst aus, braucht aber ebenso Mechatroniker und Fahrdienstleiter. Allein das Plus an 64 Zügen (bislang 194), die von Mitte 2025 an ausgeliefert werden, schlägt mit etwa einer halben Milliarde Euro zu Buche.
S-Bahn Hamburg: Digitales Stellwerk lässt Signale verschwinden
Genauso wichtig ist die viel beschworene Digitalisierung, die Züge schneller macht und sogar Signale und Kabel verschwinden lässt. Arnecke sagte: „In Zukunft wird ein digitales Stellwerk die bestehenden am Hauptbahnhof und in Altona ablösen, um den Hamburger Citybereich zu steuern. Die neuen Fahrzeuge kommen bereits mit der notwendigen Technik, die alten müssen wir umrüsten. Es braucht in Zukunft keine Kabel oder Signale mehr an der Strecke, alles ist funkbasiert.“
So könne die S-Bahn neue Kapazitäten schaffen, ohne einen Meter Gleis zu verlegen. „Auch bei Störungssituationen zeigte sich bereits in einer Studie, dass wir die Folgeverspätungen somit um 40 Prozent mindern können.“ Die Züge kommunizieren über das digitale Stellwerk miteinander, sie stimmen ihre Geschwindigkeit, Abstand und Bremswege miteinander ab. Bislang ist es grob gesprochen so, dass im Raum innerhalb zweier Signale sich die Züge nicht näher kommen. Künftig wird die Digitalisierung auch ermöglichen, dass im Netz nicht alle Züge gleichzeitig anfahren und so eine Spitzenlast an Stromverbrauch erzeugen.
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S-Bahn Hamburg: Zur Demo gegen die AfD meldeten sich Lokführer freiwillig
Im Lokführerstreik der GDL ist die S-Bahn Hamburg nach Worten ihres Chefs noch gut davongekommen. „Im Streik konnten wir einen verlässlichen 20-Minuten-Takt aufrechterhalten. Die Fahrgäste haben sich darauf eingestellt. Wenn alle gekommen wären, hätten wir das nicht abfahren können. Allerdings gibt es für viele Menschen in Hamburg keine Alternative zur S-Bahn. Deshalb spielt für uns das große Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine so wichtige Rolle.“
Arnecke sagte, das habe sich vor allem am vergangenen Wochenende bemerkbar gemacht: „Bei der Demonstration am Sonntag zum Beispiel haben sich einige Lokführer extra freiwillig gemeldet – und zusätzliche Zugfahrten ermöglicht.“