Hamburg. Neue Zahlen zeigen, wie die Pandemie den Verkehr in Hamburg beeinflusst. Die hohen ÖPNV-Fahrgastzahlen haben einen überragenden Grund.

Hamburg kommt in die Puschen: Im ersten vollständigen Nach-Corona-Jahr 2023 ist die Mobilität in der Stadt wieder angestiegen, wie Daten der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) zeigen. Ganz spurlos gehen die Pandemie-Jahre aber nicht an Hamburgs Verkehrsteilnehmern vorbei. Einige Trends, die sich während Corona herausbildeten, stabilisieren sich offenbar.

Das heißt konkret: Die Hamburger setzen sich verstärkt aufs Fahrrad, und der HVV hat noch immer weniger Fahrgäste als vor der Pandemie. Die veröffentlichten Statistiken zeigen aber auch, dass das 49-Euro-Ticket für eine schnelle Erholung des Nahverkehrs sorgt.

Mobilität nach Corona: Mehr Radler und HVV-Boom in Hamburg

2023 bezeichnet Hamburgs Verkehrssenator Anjes Tjarks (Die Grünen) als „Comeback-Jahr des ÖPNV“. Nachdem die Fahrgastzahlen im HVV während der Pandemie drastisch eingebrochen waren, steigen sie wieder rasant an. Im Vergleich zum Vorjahr legten sie um 15 Prozent zu. Derzeit rangieren sie daher nur noch fünf Prozent unter dem Vor-Corona-Wert. „Zu dem großen Anstieg hat neben dem Ende der Pandemie der große Erfolg des Deutschlandtickets maßgeblich beigetragen“, sagt Tjarks. Da das 49-Euro-Ticket erst im Mai 2023 eingeführt wurde, sei er optimistisch, „2024 auf das ganze Jahr gesehen noch mehr Fahrgäste für unsere öffentlichen Verkehrsangebote zu gewinnen.“

HVV-Geschäftsführerin Anna-Theresa Korbutt stimmt dem zu und freut sich, im Jahr 2023 endlich wieder die Milliardenmarke der Fahrgastzahlen geknackt zu haben. Es gebe dank des 49-Euro-Tickets derzeit mehr laufende Abonnements im HVV als je zuvor. 912.000 Hamburger fahren ihr zufolge derzeit mit dem günstigen Tarif. Im laufenden Jahr wolle Korbutt die Nachfrage noch einmal ankurbeln: „Ich hätte schon gern eine Million Deutschlandtickets da stehen“, sagt sie in Hinblick auf die Verkehrsstatistiken im nächsten Jahr.

Hamburg: Corona verschafft Radverkehr Rückenwind

Das 49-Euro-Ticket begreift sie als „Gamechanger“ – auch für den Autoverkehr in Hamburg. Denn Umfragen zeigten, dass immer mehr Menschen ihren Privatwagen zugunsten des Nahverkehrs stehen lassen: „Fast jede vierte Fahrt mit dem HVV- Deutschlandticket hätten unsere mehr als 330.000 Neukundinnen und Neukunden früher mit dem Auto gemacht. Diese Verkehrsverlagerung hat sich in den vergangenen Monaten kontinuierlich verstärkt“, so Korbutt.

Ordentlich Rückenwind gab die Corona-Pandemie offenbar dem Radverkehr in der Stadt. Zwischen 2019 und 2020 stieg die Masse der Radfahrten sprunghaft um rund 55 Prozent an, und sie bleibt anhaltend hoch. 2023 war das drittstärkste Radverkehrsjahr seit Beginn der statistischen Ermittlung im Jahr 2000, so der Verkehrssenator. Trotz schlechter Voraussetzungen – 40 Prozent mehr Regentage als 2022 – radelten die Hamburger 2023 nur vier Prozent weniger als im Vorjahr.

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Im Vergleichszeitraum zwischen 2000 und 2023 verdoppelte sich der Radverkehr in der Stadt, allein gegenüber dem Vor-Corona-Niveau lag er im Jahr 2023 um 28 Prozent höher. Der Drahtesel ist demnach „der mit Abstand am schnellsten wachsende Verkehrsträger“, so Tjarks, seit der Jahrtausendwende.

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Der Radwegneu- und -ausbau passt sich dieser Entwicklung an. Wie der Verkehrssenator zu berichten weiß, wurden im vergangenen Jahr 57 Kilometer Radwege gebaut oder saniert. Rund zwei Drittel davon als geschützte Radinfrastruktur, das heißt, baulich vom Autoverkehr getrennt etwa in Form von Kopenhagener Radwegen oder Protected Bike Lanes.

Auch für alle, die zu Fuß unterwegs sind, hat Hamburg 2023 viel gebaut und saniert, nämlich 93 Kilometer Gehwege. Das sei deutlich mehr, als „was wir selber für möglich gehalten hätten“, so Tjarks. Unter den Bezirken liegen Hamburg-Nord und Bergedorf mit jeweils rund 15 Kilometern neuer oder sanierter Gehwegstrecke ganz vorn.

Anjes Tjarks: Immer weniger Autos auf Hamburgs Stadtstraßen

Was die Entwicklung des Autoverkehrs in der Stadt angeht, kann die Verkehrsbehörde bislang nur grobe Hochrechnungen anbieten, da Stand jetzt erst 40 Prozent der entsprechenden Zählstellen ausgewertet wurden. Bislang zeige sich, dass die Kfz-Zahlen für Hamburg noch immer rund zehn Prozent unter jenen vor der Pandemie liegen. Im Vergleich zum Vorjahr haben sie marginal um knapp zwei Prozent zugenommen.

Im gesamten Vergleichzeitraum seit 2000 hat der Autoverkehr auf Hamburgs Stadtstraßen laut der Behörde um 18 Prozent abgenommen – und das bei rund zehn Prozent Bevölkerungszuwachs.

CDU Hamburg: „Rot-Grün verfehlt erneut Ausbauziel beim Radverkehr“

Weniger positiv als der Verkehrssenator ordnet Richard Seelmaecker, verkehrspolitischer Sprecher der Hamburger CDU-Fraktion, die jüngste Auswertung ein. Es sei zwar „erfreulich, dass das Deutschlandticket mehr Menschen zum Umstieg auf den ÖPNV bewegt hat. Allerdings sollte man diese Zahlen nicht überbewerten, denn sie sind fast nur auf das derzeit noch günstige Ticketangebot zurückzuführen“, wendet Seelmaecker ein. Eine künftige Preiserhöhung könnte viele Fahrgäste abschrecken. Diese dürfte aber frühestens 2025 einsetzen. Zuletzt hatte die Verkehrsministerkonferenz beschlossen, den Preis des Deutschlandtickets im ganzen Jahr 2024 bei 49 Euro pro Monat zu belassen.

Auch bemängelt die Oppositionsfraktion, dass Hamburg im vergangenen Jahr nicht genug für das Radwegenetz getan habe: „Die neuen Zahlen zeigen auch, dass der Senat sein selbst gestecktes Ziel, die Radinfrastruktur auszubauen, wieder nicht erreicht hat“, so Seelmaecker. In seinen Augen ist das ein „Armutszeugnis für den grünen Verkehrssenator, der sich nur auf den Radverkehr konzentriert.“ Seelmaecker glaubt, dass Tjarks‘ „einseitige Politik für das Fahrrad“ der ganzen Stadt schade. Als Beweis für eine falsche und erfolglose „Anti-Auto-Politik“ Tjarks‘ führt Seelmacker an, dass der Radverkehr im Jahr 2023 um vier Prozent gesunken und der Autoverkehr der bisherigen Auswertung nach um knapp zwei Prozent gestiegen ist. Es sei „lächerlich“, dass Tjarks für die gesunkenen Fahrrad-Zahlen das Hamburger Wetter verantwortlich mache.