Hamburg. Bündnis rief zum Protest gegen Rechtsextremismus und AfD auf. Erwartet wurden 30.000 Teilnehmer. Es kamen viel, viel mehr.

Unter dem Motto „Für Vielfalt und unsere Demokratie – Hamburg steht zusammen gegen die AfD“ hat ein Bündnis von mehr als 40 Organisationen zur großen Demonstration in der Hamburger City aufgerufen. 30.000 Teilnehmer wurden am Sonntag um 14 Uhr auf der Ludwig-Erhard-Straße erwartet, um mit den Initiativen – darunter Fridays for Future und Greenpeace – ein Zeichen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und die AfD zu setzen. Es kamen aber viel mehr Menschen, etwa 60.000 laut Polizei, die Veranstalter sprachen gar von 100.000.

Kommentar: 100.000 gegen Rechtsextremismus: Das ist mein Hamburg!

Anders als bei der Demonstration am Freitag voriger Woche war diesmal ein vier Kilometer langer Protestzug geplant, der durch die Hamburger City über den Rödingsmarkt, den Großen Burstah, Mönckebergstraße, Jungfernstieg, Gänsemarkt, Valentinskamp, Johannes-Brahms-Platz und Holstenwall zurück zur Ludwig-Erhard-Straße führte.

Demo endet mit Songs gegen Rechts am Rödingsmarkt

Während von hinten immer noch Menschen nachrückten, endete gegen 17.20 Uhr die zweite Großdemo gegen Rechts mit musikalischen Darbietungen auf der Bühne am Rödingsmarkt. „Wo bleiben die Beschwerden“, hieß es in einem eindrücklichen Song von Enno Bunger über einen von Rechtsradikalen verübten Mord. Dazu wurde ein Meer von Handytaschenlampen geschwenkt.

Auch die Jüngsten waren bei der Demo dabei.
Auch die Jüngsten waren bei der Demo dabei. © Michael Arning

Lino und Anika: "Nazis essen heimlich Falafel"

Lino, 13, ist mit seiner Schwester Anika, 24, mitgelaufen. Für beide war es die erste Demonstration gegen Rechtsextremismus. „Ich hatte Gänsehaut wegen des Gemeinschaftsgefühls“, sagt Annika. Warum waren sie dabei? „Es gibt so viele Videos in Netzwerken wie Tictoc und Instagram wie ‚Sei schlau wähl blau’, das finden wir schrecklich“, sagen sie.

Lino (13) ist mit seiner Schwester Anika (24) zur Demo gekommen.
Lino (13) ist mit seiner Schwester Anika (24) zur Demo gekommen. © Friederike Ulrich

Zu ihrer Oma hätten sie den Kontakt abgebrochen, nachdem diese auf Facebook rassistische Äußerungen gegen Migranten gepostet habe. Ihr Plakat zeugt von Humor. „Nazis essen heimlich Falafel“, steht darauf.

Letzte Teilnehmer laufen erst los als die ersten schon fertig sind

Zwischen Michel und Rödingsmarkt wird der Zug langsamer, die Abstände zwischen den Teilnehmenden werden wieder kleiner. „Wir sind mehr“, skandieren Jugendliche, die ein Banner mit der Aufschrift „Power to the people“ tragen.

Von der Bühne heißt es, dass kurz vor dem Eintreffen des Demonstrationszuges erst die letzten Teilnehmenden losgelaufen sind. Noch einmal bestätigen die Veranstalter die Zahl von 100.000 Demonstranten. Die Polizei spricht weiterhin von einer vorläufigen Teilnehmerzahl von 60.000.

Der Protest kannte keine Altersgruppen.
Der Protest kannte keine Altersgruppen. © Miochael Arning

Demonstranten protestieren vereinzelt gegen Krieg in Nahost

Vereinzelte Teilnehmer sollen die Demonstration auch dazu nutzen, gegen den Krieg in Nahost zu protestieren. Dazu haben kleinere Gruppen Palästina-Flaggen mitgebracht. Damit der Zug dennoch friedlich weitermarschieren kann, haben Einsatzkräfte der Polizei diesen Teil der Demonstration von dem Rest separiert und begleiten ihn.

Großdemo Hamburg_Palästina
Großdemo Hamburg_Palästina

weitere Videos

    Um auch auf der Route weitere Auseinandersetzungen zu vermeiden, ist auch die Zentrale der Hamburger AfD in der Schmiedestraße, an der der Demozug vorbeikommt, großflächig von der Polizei abgesperrt worden.

    Alice Weidel wird zum Meme

    Eliam, Yara und Ellie haben einen Spruch aus einem Meme, einem lustigen Kurzvideo aus dem Internet, auf Alice Weidel bezogen. Die 13- und 14-Jährigen werden begleitet von Yaras Mutter. "Wir sind nicht einverstanden damit, was gerade politisch passiert", sagen sie. "Was unter den Nationalsozialisten passiert ist, darf sich nicht wiederholen."

    Eliam, Yara und Ellie haben einen Spruch aus einem Meme, einem lustigen Kurzvideo aus dem Internet, auf Alice Weidel bezogen.
    Eliam, Yara und Ellie haben einen Spruch aus einem Meme, einem lustigen Kurzvideo aus dem Internet, auf Alice Weidel bezogen. © Friederike Ulrich

    Der Demonstrationszug zieht friedlich und zügig den Holstenwall entlang. Einige Wagen mit Musik begleiten ihn. Von dort werden auch immer wieder Parolen ausgegeben. Zum Beispiel: „Gebt mit ein A, gebt mir ein F, gebt mir ein D. Was ist das?“ „Scheiße“, schallte es 1000-fach zurück.

    Demonstrationszug setzt sich in Gang

    Um 15.10 Uhr setzt sich der Demonstrationszug gesäumt von vielen Schaulustigen in Bewegung. „Passt auf euch auf, haltet Abstand – und wenn ihr euch nicht wohlfühlen solltet, wendet euch an die Ordner“, bitten die Veranstalter.

    „Hamburg bleibt bunt“, „Kehrt die Nazis raus“ und „No AfD“ steht auf Schildern, die neben Regenbogenfahnen während des Marsches in die Luft gehalten werden.

    Etwa 60.000 Menschen setzten sich mit dem Demonstrationszug am Sonntag in der Hamburger City als Zeichen gegen Rechtsextremismus und die AfD in Bewegung.
    Etwa 60.000 Menschen setzten sich mit dem Demonstrationszug am Sonntag in der Hamburger City als Zeichen gegen Rechtsextremismus und die AfD in Bewegung. © Michael Arning

    Polizeibusse bilden eine Barriere zwischen Demonstrationszug und Rathausmarkt. „Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land“, singen die Menschen, als sie daran vorbeilaufen.

    Gedenkminute in Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus

    In einer Schweigeminute wurde um 14.56 Uhr den Opfern des Nationalsozialismus gedacht, schließlich ist heute auch der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.

    Die jüdischstämmige Sprecherin Anna monierte in ihrem emotionalen Redebeitrag, dass der Tod von sechs Millionen Jüdinnen und Juden das Wiedererstarken des Faschismus nicht verhindern konnte. „Wir müssen ein klares Zeichen setzen als Brandmauer gegen Politik, die sich immer mehr der Rhetorik der Rechten bedient“, sagte sie unter dem Jubel Zehntausender. „Danke, dass ihr die Brandmauer seid.“

    Luisa Neubauer sieht „Problem im Land"

    „Wie haben ein Problem in Land und irgendwer muss den ersten Schritt machen. Und irgendwer ist immer man selbst“, sagt FFF-Aktivistin Luisa Neubauer in ihrer umjubelten Rede. Wer „weiße Privilegien“ besitze habe die Pflicht, jetzt aufzustehen und „die Hand zu reichen und die Augen aufzumachen“.

    „Wir demonstrieren, weil wir nicht einverstanden sind mit dem Rechtsruck", so die 27-Jährige weiter. „Und weil wir Haltung zeigen und uns nicht anbiedern wollen.“

    „Wir demonstrieren, weil wir nicht einverstanden sind mit dem Rechtsruck
    „Wir demonstrieren, weil wir nicht einverstanden sind mit dem Rechtsruck", meint Luisa Neubauer auf einer Rede vor der Großdemo gegen die AfD und Rechtsextremismus in der Hamburger City. (Archivbild) © picture alliance/dpa

    „Wir demonstrieren, dass wir bereit sind, Mensch zu sein. Wir demonstrieren eine Haltung in einem Jahr, in dem wir so viel zu verlieren haben. Wir demonstrieren aus Angst, vor dem was ist und vor dem, was sein könnte.“ Wer wissen wolle, wie das aussehe, sei „hier, heute in Hamburg“ am richtigen Ort, meint Neubauer weiter.

    Mit den Worten „Es ist kein Zufall, dass die Faschisten nicht nur ausgrenzen, sondern auch das Klima nicht schützen wollten“, schloss sie ihre Rede.

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    Chaos am Rödingsmarkt: Leichte Verspätungen bei der U3

    Wie von der Hochbahn bereits erwartet, wird es in Höhe der U-Bahnstation Rödingsmarkt chaotisch. Demonstranten und Schaulusitge drängen sich zusammen, dementsprechend voll sind die Bahngleise.

    Laut einem Sprecher der Hochbahn komme es daher momentan bei den Bahnen der U3 zu leichten Verspätungen. Fahrgäste müssten drei bis vier Minuten länger auf ihre Verbindungen warten.

    Mehr Teilnehmer als vergangene Woche auf dem Jungfernstieg

    Der deutsch-iranische Fernsehmoderator und Journalist Michel Abdollahi spricht als Nächstes. Laut ihm seien am Sonntag mehr Menschen da aus in der vergangenen Woche auf dem Jungfernstieg. Auch die Polizei Hamburg bestätigt diese Einschätzung auf Abendblatt-Anfrage. Wie viele Teilnehmer genau vor Ort sind, könne man laut der dynamischen Lage aber momentan noch nicht konkret sagen. Der NDR spricht hingegen von knapp 60.000 Teilnehmer.

    Laut Aussagen der Organisatoren sollen sich am Sonntag mehr Teilnehmer versammelt haben als vergangene Woche auf dem Jungfernstieg.
    Laut Aussagen der Organisatoren sollen sich am Sonntag mehr Teilnehmer versammelt haben als vergangene Woche auf dem Jungfernstieg. © privat

    „Wir müssen als Demokraten auf die Straße gehen gegen diese verdammten Nazischweine“, ruft der bekannte Moderator, der 2018 schon einen Brandbrief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geschrieben hatte. „Ich möchte meine Heimat nicht ein zweites Mal verlieren!“

    Prince Kuhlmann, der als Zehnjähriger den Simba im Hamburger Hit-Musical „König der Löwen“ spielte, zitiert den südafrikanischen Demokraten Nelson Mandela in seiner Rede und sprach von seinem „German Dream“: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Rechtsextreme das Klima vergiften und Menschen, die hier geboren wurden, diesen Traum zerstören.‘

    Große Demo beginnt mit Jubeln und Klatschen

    Um 14 Uhr bittet die Moderatorin darum, das alle jubeln und klatschen sollen, die das erste Mal bei einer Demo sind. Es sind viele, die sich daraufhin laut zu erkennen geben.

    Nach einer Einführung spricht Nils vom Bündnis gegen Rechts, das seit 2005 aktiv ist. „Wir treten den Rechten überall dort entgegen, wo es notwendig ist“, sagt er und erwähnt Bernd Höckes (AfD) bereits 2018 publik gewordene Absichten zu „Remigration“ und die Bestätigungen dazu von anderen AfD-Funktionären.

    Als er sagt: „Es ist Zeit für ein AfD-Verbot“ und „Kein Millimeter dem Faschismus“ brandet Jubel auf. Gefolgt vom Skandieren von „Ganz Hamburg hasst die AfD“

    Teilnehmer über AfD: „Das ist keine demokratische Partei!“

    Katrin Kilic ist mit Sohn Emre und Mann Tansel aus Winsen gekommen. „Kunterbunt ist besser als Kackbraun“ steht auf ihrem Plakat. „Ich will den Protest auf die Straße tragen und nicht zu Hause sitzen und abwarten, was passiert“, sagt sie. Sie sei für ein Verbot der AfD. „Das ist keine demokratische Partei!“

    Katrin Kilic ist mit Sohn Emre und Mann Tansel aus Winsen gekommen. „Kunterbunt ist besser als Kackbraun“ steht auf ihrem Plakat.
    Katrin Kilic ist mit Sohn Emre und Mann Tansel aus Winsen gekommen. „Kunterbunt ist besser als Kackbraun“ steht auf ihrem Plakat. © Friederike Ulrich

    Ihr Sohn Emre ergänzt: „Ich verfolge schon lange die Gesetze und die üble Rhetorik der Republikaner in den USA. Es erschreckt mich, dass die AfD das nach Deutschland überträgt. Und ich bin auch hier, weil ich mich als deutscher Staatsbürger nicht für meinen türkischen Namen rechtfertigen will.“

    Sein Vater Tansel sagt, sein „Anstand als Antifaschist und Demokrat“ erfordere eine Teilnahme an der Demo. Als Türke in Deutschland gehöre er zu den Menschen, deren Deportation die AfD dem Vernehmen nach langfristig beabsichtige. „Die Partei muss verboten werden!“

    Svenja Ott (25) und Anna Ascher (28) sind aus Kiel gekommen. „Ich habe Angst davor, dass die AfD an die Macht kommt. Dagegen will ich etwas tun“, sagt Svenja. „Normalerweise sind es die Rechten, die laut sind“, ergänzt ihre Freundin. ‚Es tut gut, bei den großen Demos jetzt zu zeigen, dass wir – ihre Gegner – mehr und lauter sind.“

    Bereits eine Stunde vor Demo-Beginn gut gefüllt

    Beim dritten Protestwochenende versammeln sich in Hamburg schon vor Beginn der Demo gegen AfD und Rechtsextremismus um 14 Uhr zahlreiche Menschen vor dem Michel. Schon eine Stunde vorher war die U3 Richtung St. Pauli und Rödingsmarkt gut gefüllt. Von dort strömten die Menschen zum Versammlungsbereich, der weiträumig für den Verkehr gesperrt worden ist.

    Ash, 23, ist zum dritten Mal bei einer Großdemo für Fridays for Future als Ordner und Teamleiter dabei. Für ihn hängen Klimaschutz und Protest gegen Rechts eng zusammen. „Die AfD zeichnet sich nicht gerade für Klimaschutz aus. Außerdem ist es generell wichtig, gegen welche Bedrohung der Gesellschaft auch immer auf die Straße zu gehen.“

    Nach Abendblatt-Informationen wurden etliche zusätzliche ehrenamtliche Ordner erst am Sonnabend gefragt, ob sie arbeiten können, da die Stadt die Demo andernfalls nicht zugelassen hätte. Laut Leitstelle der Polizei sei es bislang vor Ort ruhig. Die Demonstranten würden friedlich auf den Beginn des Umzugs warten.

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    Vor der Bühne wurde ein Bereich für Rollstuhlfahrer eingerichtet. Außerdem gibt es einen speziellen Bereich nur für Familien und Kinder. Insgesamt scheint die Organisation deutlich besser zu sein als am Freitag vergangener Woche. Nach Abendblatt-Informationen sind rund 100 Ordner im Einsatz. Auch sind mehrere Lautsprecheranlagen aufgebaut.

    Hochbahn: Busse fahren Umleitungen in der City

    Die Hochbahn teilt mit, dass wegen der Demo am Sonntag die Busse in der Innenstadt vereinzelt Umleitungen fahren. Außerdem kann es auf den Strecken in der City zu Verspätungen kommen.

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    Ausdrücklich gewarnt, wird davor wegen des Andrangs die U-Bahnstation Rödingsmarkt zu nutzen. Wegen des zu erwartenden Andrangs sollen Fahrgäste lieber die umliegenden Haltestellen nutzen. Außerdem sind weiterhin auch die Einschränkungen im S-Bahnverkehr durch den Streik der Lokführergewerkschaft GDL zu beachten.

    Zug als direkte Reaktion auf die vergangene Demonstration

    Dass anders als bei der Demo am vergangenen Freitag dieses Mal in Form eines Zugs durch die Innenstadt protestiert wird, ist laut Veranstaltern eine direkte Reaktion auf den vorzeitigen Abbruch beim letzten Mal. "Viele Teilnehmende haben sich letzten Freitag aufgrund der Enge auf dem Jungfernstieg nicht wohl gefühlt, der Abbruch der Versammlung war leider die logische Konsequenz", heißt es in einer Mitteilung.

    Am Sonntag wolle man nun für genügend Platz und Sicherheit sorgen, sowie auch sichergehen, dass die entsprechende Technik vorhanden sei. Auch die Polizei wird wieder vor Ort sein, rechnet aber mit einer ruhigeren Situation als am vergangenen Freitag.

    Auftakt bereits am Sonnabend in Harburg

    Bereits am Sonnabend gab es eine Art erste Auftakt-Demo in Harburg. Knapp 1.500 Menschen gingen aus Protest gegen Rechtsextremismus, Hass und Hetze gegen 17 Uhr auf die Straße. Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hatte die Kundgebung angemeldet, die auch in einem Demonstrationszug auf dem dem Herbert- und Greta-Wehner-Platz. Auch Grünen, die CDU, FDP sowie die Linke sowie der DGB, die "Omas gegen Rechts" und der Harburger Integrationsrat waren beteiligt.