Hamburg. Zwei Aufmärsche in der Hamburger Innenstadt. Wirtschaftsminister Robert Habeck lieferte leidenschaftlich überraschende Einblicke.

Rund 100 Flüchtlingsaktivisten haben am Freitag vor dem Hamburger Rathaus gegen die deutsche Asyl-Politik und den Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) protestiert. Gleichzeitig kam es zu einer Demonstration mit nach Polizeiangaben 2000 Teilnehmern, die am Domplatz vor der Zentrale der AfD gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auf die Straße gingen. Der lautstarke Protest in Hamburg und die Forderung nach einem Parteiverbot der AfD wurden ausgelöst durch Berichte über eine Teilnahme unter anderem von AfD-Mitgliedern an einer Versammlung im November in Potsdam. Dort wurde eine Art „Masterplan“ zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland diskutiert.

Die Habeck-Demonstranten dagegen wollten darauf aufmerksam machen, dass die Grünen die neue EU-Politik gutheißen, die zu Rückführungen und Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen führe. Ahmad Ghrewati von der Seebrücke Hamburg sagte dem Abendblatt, die an der Ampel-Regierung im Bund beteiligten Grünen trügen eine Verantwortung dafür, dass in Zukunft Flüchtende in Lagern inhaftiert würden.

Rund 100 Demonstranten protestierten vor dem Neujahrsempfang im Hamburger Rathaus gegen die Politik der Grünen in der Bundesregierung.
Rund 100 Demonstranten protestierten vor dem Neujahrsempfang im Hamburger Rathaus gegen die Politik der Grünen in der Bundesregierung. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Robert Habeck in Hamburg zu Bauernprotesten: „Etwas ins Rutschen geraten“

Wenn dort bereits geprüft werde, ob ein Asylantrag zum Beispiel in Deutschland überhaupt Erfolg haben könnte, werde das grundgesetzlich verankerte Recht auf Asyl unterlaufen. Hamburger Linke wollten am Rathaus einen „Austrittstresen“ installieren, eher eine symbolische Aktion, um Grünen-Mitgliedern das Verlassen ihrer Partei nahezulegen, wenn sie mit der Unterstützung der EU-Zuwanderungspolitik nicht einverstanden sind. Ein Großteil der Demonstranten zog weiter zur Demo gegen die AfD am Domplatz.

Wirtschaftsminister Habeck kam, von Sicherheitsleuten begleitet, zum Neujahrsempfang der Grünenfraktion ins Rathaus. Er war in der vergangenen Woche mit wütenden oder sogar gewaltbereit protestierenden Bauern am Fähranleger in Schlüttsiel (Nordfriesland) konfrontiert worden. Hier ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft Flensburg unter anderem wegen des Verdachts der Nötigung. Am Rathaus war ein verirrter Trecker zu sehen. Habeck erklärte bei Instagram, dass bei den Protesten „etwas ins Rutschen geraten ist“, das legitime Formen von Demonstrationen „entgrenze“. Was zuvor „unsagbar“ gewesen sei, erscheine plötzlich legitimiert. Im Rathaus sagte er in einer extrem leidenschaftlichen und temporeichen Rede: Rechte und Populisten bedrohten die Gesellschaft. „Sie wollen diese Republik nicht mehr.“

Habeck: Bedrohungen und Einschüchterungen gegen Kommunalpolitiker

Robert Habeck bei seiner Rede im Hamburger Rathaus.
Robert Habeck bei seiner Rede im Hamburger Rathaus. © dpa | Georg Wendt

Als ehemaliger Landwirtschaftsminister von Schleswig-Holstein kenne er die Nöte der Bauern gut. Und er sagte bei Instagram: „Ich bin Minister. Mich schützen qua Amt Beamte – und sie tun das vorbildlich. Für viele andere, in der Kommunalpolitik, im Ehrenamt, in Städten und Dörfern, gilt das nicht. Sie müssen allein mit Bedrohungen und Einschüchterungen klarkommen. Damit dürfen wir sie nicht alleinlassen. Haken wir uns unter. Wehren wir die Bedrohung ab.“

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„Wir müssen nicht laut sein, wir sind die Mehrheit in dieser Stadt“

„Hass und Hetze werden wir nicht akzeptieren“, sagte Jennifer Jasberg aus der Hamburger Fraktionsspitze. Sie sagte, man müsse sich denen entgegenstellen, die den demokratischen Konsens aufkündigten. Ohne die AfD mit Namen zu nennen, verwies sie darauf, wie schnell aus Fremdenfeindlichkeit Gewalt werde. Die Grünen würden immer ihre Stimme gegen Rechtsradikalismus erheben. „Wir müssen dabei nicht besonders laut sein, aber wir sind die Mehrheit in dieser Stadt.“

Etwa 2000 Demonstranten protestieren in der Hamburger Innenstadt gegen die AfD.
Etwa 2000 Demonstranten protestieren in der Hamburger Innenstadt gegen die AfD. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Habeck kam gerade von einer Nahostreise in den Oman, nach Saudi-Arabien, Israel und in die Palästinensergebiete. Bevor er sich den aktuellen Bedrohungen für die Demokratie widmete, versuchte er, die bedeutsame Rolle zu beschreiben, die Deutschland und die USA bei einer friedlichen Lösung für den Krieg spielen könnten, den die Hamas auf mörderische Art begonnen habe. „Deutschland kann den Unterschied machen“, sagte der Vizekanzler. Gerade weil man so fest an der Seite Israels stehe und den Antisemitismus ernsthaft bekämpfe, könne man die liberalen Kräfte in Israel ermutigen.

Habeck in Hamburg: Es ist kein Voodoo, es ist nur Politik

Auf seine eigene Rolle als Spitzenpolitiker im Fokus von radikalen Demonstranten anspielend, sagte er: „Politiker müssen dahin gehen, wo der Schmerz ist.“ Es gebe viele eigentlich besonnene Menschen, die die Politik nicht mehr verstünden und verängstigt seien. „Wir müssen den Menschen diese Ängste nehmen und soziale System bauen, die für alle offen sind.“ Er sagte zudem: „Wir müssen endlich die Augen aufmachen, um zu erkennen, dass der Angriff, den die AfD und die Menschen rechts von der AfD führen, nicht ein Angriff auf einzelne Themen ist. Es ist ein Angriff auf das Wesen dieser Republik.“

Habeck versprühte großen Optimismus, dass es gelingen werde, im Verbund der demokratischen Parteien die Bürgerinnen und Bürger vom Wert der liberalen Demokratie zu überzeugen: „Es ist kein Voodoo. Es ist nur Politik. Es ist nicht unmöglich, ein freundlicher Mensch zu sein.“