Hamburg. Pflegekräfte sind die wichtigsten Partner der Ärzte, sagt Herzchirurg Hermann Reichenspurner. Sein Appell an Senat und Bundesregierung.

Seit 35 Jahren habe ich die Ehre und das Privileg, in der medizinischen Versorgung tätig zu sein. Aus diesem Grund ist es mir wichtig, heute auf das gravierende Problem des Pflegenotstandes aufmerksam zu machen. Derzeit sind deutschlandweit ca. 30 Prozent der Intensivbetten wegen Pflegemangels gesperrt und im Vergleich dazu ca. 25 Prozent mit Covid-Patienten belegt!

Während meines Studiums hatte ich die Möglichkeit, als Pfleger auf einer Intensivstation des Klinikums rechts der Isar in München zu arbeiten. Ich habe dabei gelernt, Respekt und Hochachtung für die pflegerische Tätigkeit zu haben. Pflegekräfte haben multiple Aufgaben zu bewältigen. Es gibt zum einen viele medizinische Aufgaben (zum Beispiel Vorbereitung von Medikamenten, Infusionen und Spritzen), aber auch viele andere anstrengende Tätigkeiten bei den zum Teil schwer kranken Patienten und Patientinnen.

Es ist auch wichtig zu betonen, dass Pflegerinnen und Pfleger oft auch den wichtigsten persönlichen Kontakt für die Patienten und deren Angehörige darstellen. Ärztinnen und Ärzte kommen zwar regelmäßig zu den Visiten auf die Stationen, aber die Pflegekräfte sind zu jeder Tag- und Nachtzeit vor Ort.

Pflegenotstand: Pflegekräfte die wichtigsten Partner der Ärzte

Zudem leisten sie extrem schwere körperliche Arbeit (zum Beispiel die Mobilisation und Körperpflege von zum Teil sehr schwergewichtigen Patient/-innen), und dies muss, insbesondere bei Patientinnen mit Infektionen, oft in Schutzkleidung und mit FFP2-Maske erfolgen. Diese Tätigkeit ist außerdem mit einer enormen psychischen Belastung verbunden.

Im Rahmen meiner ärztlichen Tätigkeit ist mir schnell klar geworden, dass die Pflegekräfte die wichtigsten Partner der Ärzte und ein wichtiges Element der Patientenversorgung im Krankenhaus sind. Diese Partnerschaft findet absolut auf Augenhöhe statt, da Pflegekräfte keine Befehlsempfänger oder Untergebene sind! Während meiner mehrjährigen Tätigkeit in den USA habe ich festgestellt, dass es dort eine sehr gute Ausbildung von Pflegekräften gibt.

Die Behandlung der Patienten auf der Herz-Intensivstation wurde nachts komplett von Pflegekräften gemanagt. Ich kann mich erinnern, dass ich nachts Visite machen wollte und die Schwestern und Pfleger zu mir sagten: „Hermann, go to bed, we will call you when there is a problem!“ Dies ist allerdings nur sehr selten passiert.

Diese pflegerischen Leistungen wurden honoriert, indem in den USA die leitende Intensivpflegekraft ein deutlich höheres Gehalt hatte als die Assistenzärzte. Zusätzlich gibt es sowohl in den USA als auch in Südafrika pflegerische Hilfskräfte, sogenannte nursing aids, die bei nicht medizinischen Tätigkeiten wie zum Beispiel der Mobilisation von Patienten auf der Intensivstation, Beziehen neuer Bettwäsche, etc., die Pflegekräfte unterstützt haben.

Pflege Hamburg: Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden

Seit vielen Jahrzehnten wird der Pflegeberuf in zahlreichen Aspekten vernachlässigt! Zur Beseitigung des Pflegemangels müssen wir jetzt handeln. Konkret müssen wir zwei Dinge umsetzen: eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen! Eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte!

Zu den Arbeitsbedingungen ist von der vorherigen Bundesregierung bereits einiges erreicht worden (Schaffung von Pflegeuntergrenzen, Refinanzierung neuer Stellen in der Pflege). Dies funktioniert allerdings nur, wenn die durch die Erhöhung der Attraktivität des Pflegeberufes entstandenen Personallücken durch neues Pflegepersonal aufgefüllt werden können. Das ist aber derzeit nicht der Fall!

Ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist die Etablierung von pflegerischen Hilfskräften an unseren Krankenhäusern. Sie benötigen keine langjährige Ausbildung und können nach kurzer Einarbeitung das Pflegepersonal sofort entlasten (z. B. Unterstützung bei der schweren körperlichen Arbeit), und dadurch könnte sich das Pflegepersonal besser auf seine wesentlichen Tätigkeiten konzentrieren.

Pfleger finden in Hamburg keine geeignete Wohnung

Des Weiteren ist eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte unabdingbar und hätte schon vor langer Zeit erfolgen sollen! Ich spreche nicht von einigen wenigen Prozent, wie das immer wieder von den Gewerkschaften gefordert wird, sondern von mindestens 20 bis idealerweise 30 Prozent! Zum jetzigen Zeitpunkt findet eine examinierte Gesundheits- und Krankenpflegekraft am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn in einer Stadt wie Hamburg keine geeignete Wohnung!

Pflegerinnen und Pfleger müssen angemessen bezahlt werden – das ist das Mindeste, was wir tun können, und ich bin überzeugt davon, dass wir uns das leisten können und sollten. Natürlich können die Krankenhäuser dies nicht alleine stemmen. Hier braucht es die Unterstützung der Politik. Wir haben in der Pandemie viel möglich gemacht – leider nicht immer an der richtigen Stelle!

Mein Appell an den Hamburger Senat und an die Bundesregierung lautet: Lasst uns jetzt und schnell und unbürokratisch handeln, sonst haben wir in zehn Jahren niemanden mehr, der diese tolle und in höchstem Maße verantwortungsvolle Aufgabe der Pflegerinnen und Pfleger übernimmt!