Hamburg. Hamburgs Sozialsenatorin muss knallhart um die Zukunft der Krankenhäuser verhandeln. Was in Berlin abläuft, gleicht einem Krimi.

„Vorzimmer Minister Lauterbach …“ „Empfang. Hier sitzt eine Frau – wie war Ihr Name? – Schlotzhauer und möchte zum Chef.“ „Hat sie einen Termin?“ „Nein. Aber sie sagt, da sitzen noch andere Minister neben ihr.“

Bundesgesundheitsministerium Berlin, Mauerstraße 29, im November. Hamburgs Sozial-, Gesundheits- und Verhandlungssenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) wartet mit Kollegen aus anderen Bundesländern vor Karl Lauterbachs Büro. Sie wollen die Krankenhausreform retten, die Lauterbach selbst angestoßen hat. Die er eine „Revolution“ nannte. Es geht um: Hunderttausende Menschen und ihre Arbeitsplätze, um Klinikschließungen, um Zusammenlegungen, um die Frage, wer was operieren darf – und wer das am Ende alles bezahlen soll.

Krankenhaus Hamburg: Was bringt Lauterbachs Reform?

Monatelang feilschte Schlotzhauer als führendes Mitglied der prominenten Länder-Verhandlungsgruppe mit der Bundesregierung um Details und das große Ganze. Inzwischen droht das gesamte Projekt zu versanden. Schlotzhauer vertritt nicht nur die Hamburger Häuser, die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte. Mit ihnen führt sie regelmäßig Krisengespräche, klärt sie auf, was sie da in Berlin anstellt. Und hört zu, was Asklepios,Albertinen,Agaplesion oder Marienkrankenhaus sich wünschen. Sie ist beauftragt, auch für Sachsen, für Hessen, Bayern und alle anderen das Beste herauszuholen.

Nicht ein Krankenhaus gleicht dem anderen. Stadthaus ist nicht gleich Landhaus. Gesundheitsmetropole Hamburg und Medizin in der Provinz sind Paralleluniversen. Schlotzhauer weiß: Am Ende geht es um die Patientinnen und Patienten. Und die Wähler. Das gehört zur Wahrheit dazu. Krankenhaus ist Emotion pur. Fällt irgendwo eins weg, nutzt das am Wahltag denen, die mit Emotionen Stimmung machen, den Rechtspopulisten. Die die Wahrheiten nur halb erzählen. Es ist Schlotzhauers geflügeltes Wort geworden, ein Slogan aus dem Rhetorikkasten der Politik. Und richtig ist er doch: Bei Operationen und Behandlungen sollen deutschlandweit gleiche Standards und gleiche Qualität herrschen, „egal ob man in Bottrop, Buxtehude oder Barmbek behandelt wird“.

Schlotzhauer, ohne Termin, sagt im Berliner Ministerbüro: „Karl, wir müssen reden.“ Warum überhaupt? Krankenhäuser sind eigentlich Ländersache. Ob Hamburg oder Bayern – aus ihren Haushalten kommt das Geld, um Kliniken zu bauen, die Gebäude instand zu halten, die Computer-Infrastruktur mit Updates zu versorgen. Für die Bezahlung der OPs und die Pflege sind die Krankenkassen verantwortlich. Bloß: Was Krankenhäuser von den Ländern an Geld erhalten, reicht nicht, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und zu investieren. Private und frei-gemeinnützige Träger müssen alle Geld zuschießen.

Krankenhaus-Operationen: Masse vor Qualität?

Damit hätte der Bund grundsätzlich nichts zu tun. Doch Lauterbach weiß wie alle Amtsvorgänger: Krankenhäuser müssen „Masse machen“, um mindestens kleine Gewinne für ihre Investitionen zu erwirtschaften. Gerade Einrichtungen auf dem Land machen so selten bestimmte Eingriffe, dass die Qualität nicht immer stimmen kann. Außerdem wachsen und wachsen die Kosten für die Krankenkassen. Denen kann Lauterbach nicht immer weitere Milliarden zusagen, um die Beiträge halbwegs stabil zu halten.

Also Reform. Sie sagt im Kern: Es gibt verschiedene Arten von Krankenhäusern, die bestimmte „Leistungsgruppen“ anbieten und nicht mehr rein nach „Masse“ bezahlt werden, sondern „Vorhaltekosten“ als Grundstock bekommen. Bei allen Häusern sind die Personalkosten (Tariferhöhungen!) gestiegen, die Energie- und Materialkosten. Ihre „Preise“, also, was sie den Patienten berechnen können, blieben nahezu gleich.

Bei den Krankenhäusern spricht auch Bundeskanzler Scholz mit

Schlotzhauer wollte mit ihrer Ländergruppe erreichen, dass vor der großen Krankenhausreform ein „Vorschaltgesetz“ kommt, das den Kliniken für 2024 und die Übergangszeit die Existenz sichert – mit Extrageld. Im kommenden Jahr wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt. Lauterbach lehnte den Aufschlag ab. Man traf sich in kleinen Runden, großen Runden, Arbeitsebene, Minister. SMS und WhatsApp-Nachrichten flogen hin und her.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) musste mitreden und Finanzminister Christian Lindner (FDP). Die Ampel-Fraktionen im Bundestag wollten gefragt werden, die Ministerpräsidenten ebenso. Auch Bürgermeister Peter Tschentscher – wie Lauterbach habilitierter Mediziner – hatte was beizusteuern. Schlotzhauer fuhr häufiger nach Berlin, als ihr recht war. Sie setzt auf die Bahn, in der Hauptstadt nimmt sie wie in Hamburg gerne das Rad. Über dauernde Verspätungen und Ausfälle schimpfen? Nicht ihr Ding. Leiden ja alle drunter. Es gab Schnee, sie musste mit dem Auto fahren. Tschentscher, berichtete die „Bild“, hatte sogar Ärger mit seiner Elektro-Dienstlimousine. Im Begleitfahrzeug seiner Leibwächter dieselte er zwischen Hamburg und Berlin.

Harsche Briefe an Gesundheitsminister Lauterbach

Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) schrieb an Lauterbach, er solle wie vereinbart endlich den Entwurf für die Reform (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz) schicken. „Sie haben zugesagt…“ und „Ich bitte Sie nochmals“ , formulierte Lucha. Ein ähnlicher Brief kam aus NRW. Lauterbach entgegnete schriftlich: „Anders als von ihnen dargestellt,…“. Verhandlungsteilnehmer stachen hier und da unabgestimmte Einzelheiten durch. Die Fronten waren total verhärtet.

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Eine wollte noch immer: reden. Am Ende hatten Schlotzhauer und Co. Lauterbach so weichgeklopft, dass er über Nacht einen Deal schloss. Zwischen 2,5 und drei Milliarden sollen die Krankenhäuser zum Überleben für 2024 bekommen, dazu eine vierprozentige Erhöhung des Landesbasisfallwertes, also der Grundbezahlung. Das stand aber „nur“ in einer Protokollerklärung der Bundesregierung (Dokumente liegen dem Abendblatt vor) zum Transparenzgesetz. Dieses Gesetz legt fest: In einer Art Online-Atlas kann jeder Kriterien für die Qualität einer Klinik einsehen. Es soll die große Reform vorbereiten.

Setzen die Unions-Länder auf den Bruch der Ampel-Regierung?

Doch die Länder lehnten dieses erste Reformgesetz im Bundesrat mehrheitlich ab und verwiesen es in den Vermittlungsausschuss. Da saß Schlotzhauer mit ihrer herbeiverhandelten Protokollerklärung und der Lauterbach-Zusage – und es geht doch nicht weiter. Für Hamburgs Klinikbetreiber war das Ergebnis okay. Sie signalisierten Schlotzhauer: Lieber den Vier-Prozent-Spatz in der Hand als einen Taubenschiss auf dem Dach.

Wollen die unionsgeführten Länder die „Ampel“ bis zum Bruch vorführen? Rechnen sie damit, dass Lauterbach bald Geschichte ist? Auch Schlotzhauer ist sonnenklar, dass in Hamburg 2025 wieder eine Bürgerschaft gewählt wird, ehe die Reform richtig wirken kann. Nach Abendblatt-Informationen gibt es bereits Geheimgespräche zwischen unterschiedlichen Krankenhausträgern, ob und welche Bereiche sich in einer Zusammenarbeit ergänzen könnten. Das passt nicht allen. Zwei prominente Klinikmanager mussten gerade gehen.

Selfie mit Karl Lauterbach: Lieber reden als twittern

Vor der Krankenhausreform zeigten sich die Hamburger Verhandlungsführerin Melanie Schlotzhauer (Sozialsenatorin; SPD) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Juni im Marienkrankenhaus auf einem Selfie mit Dr. Michael Wünning.
Vor der Krankenhausreform zeigten sich die Hamburger Verhandlungsführerin Melanie Schlotzhauer (Sozialsenatorin; SPD) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Juni im Marienkrankenhaus auf einem Selfie mit Dr. Michael Wünning. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Die Krankenkassen sagen klipp und klar: Auch in Hamburgs Häusern wird die Reform zu spüren sein. Das heißt: Der Trend zu Fachzentren wird da oder dort zu einer Stationsschließung führen. In einem Kassen-Journal fragten die Autoren schon provokant gegen die Verhandlungsgruppe um Schlotzhauer: „Was lassen die Länder von einer Krankenhausreform übrig?“ Das roch schwer nach Schwarze-Peter-Spiel – gelobt wurde der rote Karl.

Genossin Schlotzhauer scheinen solche Spielchen vergleichsweise egal zu sein. Als Lauterbach bei einem Besuch des Marienkrankenhauses im Juni das Handy zückte und sich inmitten seiner großen Entourage mit Ärzten und Schlotzhauer zum Selfie postierte, da lächelte sie natürlich mit. In ihrer Miene danach konnte man aber lesen: „Ach Karl, bisschen weniger Twitter, etwas mehr Zeit zum Reden, bitte.“