Hamburg. Senat bringt die meisten Initiativen vor Gericht. Rot-Grün sollte sich lieber ehrlich machen. Sonst droht Frust bei den Bürgern.
Hamburg galt lange Zeit als absolute Hochburg der direkten Demokratie in Deutschland – doch diese Zeiten sind längst vorbei. Seit zehn Jahren gibt es keine Volksentscheide mehr in der Hansestadt. Die letzte Volksabstimmung fand 2013 über den Rückkauf der Energienetze statt. Und selbst die zweite Stufe der Volksgesetzgebung, das Volksbegehren, wurde nur ein einziges Mal erreicht.
Das liegt nicht nur daran, dass die rot-grünen Regierungsparteien gern mit den Initiativen, deren Erfolg sich abzeichnet, einen Kompromiss sucht – wie etwa beim „Radentscheid Hamburg“ oder der Initiative „Keine Profite mit Boden & Miete“. Regelmäßig zieht die Landesregierung auch vor das Verfassungsgericht, um aussichtsreiche Volksinitiativen als verfassungswidrig einstufen zu lassen. So war es, als Initiativen Bürgerentscheide auf Bezirksebene verbindlich machen wollten oder sich für die Streichung der Schuldenbremse oder gegen den „Pflegenotstand in Krankenhäusern“ einsetzten.
Volksgesetzgebung in Hamburg: Bürger entscheiden direkt mit
Man kann geteilter Meinung sein über Volksgesetzgebung. Einerseits bietet sie Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, abseits von Wahlen, bei denen sich Parteien mit ihren Positionen zu einem breiten Themenspektrum zur Abstimmung stellen, auch über Einzelfragen zu entscheiden. Andererseits: Die Bürger sind es nicht, die nach ihrer Entscheidung auch die nötigen Haushaltsmittel für deren Umsetzung im Etat finden müssen. Sie wägen bei ihrem Votum per einfachem Ja oder Nein nicht immer ihr Anliegen mit anderen Prioritäten ab, wie die Politik dies tun muss. Und schließlich hängt der Erfolg eines Anliegens auch maßgeblich davon ab, ob sich die Initiative auf die organisatorische Infrastruktur großer Verbände, Parteien oder Gewerkschaften stützen kann, was das Sammeln von Unterschriften extrem erleichtert.
Als sich der CDU-Senat von Bürgermeister Ole von Beust 2004 mit seiner absoluten Mehrheit im Rücken über das Ergebnis des Volksentscheides gegen den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) an Asklepios hinwegsetzte, waren Grüne und SPD empört. Und stritten – gerade die Grünen mit besonderer Leidenschaft – für die Verbindlichkeit von Volksentscheiden. Das könnten sie bald darauf bereut haben, zerlegte doch ein nunmehr verbindlicher Volksentscheid ihre Primarschulpläne.
Politik sollte sich ehrlich machen – sonst droht Frust bei Bürgern
Die Regierungsparteien haben mittlerweile lernen müssen: Wenn es eine Initiative bis zum Volksentscheid schafft, dann ist sie mit diesem auch erfolgreich. So wird eine Gesetzesänderung von 2012 weidlich genutzt, nach denen der Senat das Verfassungsgericht anrufen muss, wenn es wahrscheinlich ist, dass Volksbegehren u.a. Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne oder Abgaben berühren. Die rot-grüne Landesregierung verwende dabei, so der Vorwurf von „Mehr Demokratie“, in seinen Schriftsätzen fast immer die gleichen Argumente und Textbausteine gegen alle Volksinitiativen.
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Die Politik sollte sich ehrlich machen, wenn sie die direkte Mitbestimmung des Volkes eindämmen will. Bei den Bürgerinnen und Bürgern sorgt es für Frust, wenn sie mit viel Engagement noch so viele Unterschriften auf der Straße sammeln können, dann aber regelhaft vor dem Verfassungsgericht ausgebremst werden – zumal ohnehin professioneller juristischer Sachverstand nötig ist, um das erforderliche völlig fehlerfreie Gesetz zu schreiben.
Die direkte Demokratie in Hamburg ist mittlerweile faktisch lahmgelegt. Jedenfalls werden die Hürden für Volksinitiativen immer höher.