Hamburg. Nach den Jugendstrafen für neun Angeklagte wird das Urteil des Landgerichts angefochten. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden.

Es ist ein Urteil, das nicht nur Hamburg, sondern ganz Deutschland bewegt: Nach dem Prozess um die vielfache Vergewaltigung einer 15-Jährigen im Hamburger Stadtpark erhielten neun Angeklagte Jugendstrafen, ein junger Mann wurde freigesprochen. Manche fanden das Urteil fair und angemessen. Viele Menschen äußerten indes, insbesondere im Internet, dass sie die Strafen für zu milde halten. Die Verteidiger allerdings meinten: Es hätte für alle Angeklagten Freisprüche geben sollen.

Jetzt ist klar, dass das Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) überprüft werden muss. Mehrere Verteidiger haben Revision gegen den Schuldspruch vom 28. November eingelegt. Eine Entscheidung der höchsten Richter vom BGH über die Revision wird keinesfalls vor Mitte kommenden Jahres fallen.

Stadtpark Hamburg: Verteidigung findet Urteil wegen Vergewaltigung zu hart und geht in Revision

Eine Jugendkammer des Landgerichts hatte am vergangenen Dienstag nach anderthalb Jahren Prozessdauer und 68 Verhandlungstagen neun der zehn wegen Vergewaltigung angeklagten jungen Männer zu Jugendstrafen verurteilt. Dabei erhielt ein Angeklagter, der zur Tatzeit am 19. September 2020 noch 16 Jahre alt war, eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Gegen vier Beteiligte wurden Bewährungsstrafen zwischen 15 Monaten und zwei Jahren verhängt.

Vier weitere junge Männer verurteilte das Landgericht zu Jugendstrafen zwischen einem und zwei Jahren zur Vorbewährung. Das bedeutet, dass das Gericht über eine Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe erst nach Ablauf von sechs Monaten entscheidet, um die weitere Entwicklung dieser Angeklagten abzuwarten. Alle Strafen mit Bewährung beziehungsweise Vorbewährung wurden durch Auflagen und Weisungen flankiert. Ein zehnter junger Mann wurde freigesprochen.

Stadtpark-Vergewaltigung: Staatsanwaltschaft wird das Urteil nicht anfechten

Die Staatsanwaltschaft hatte Jugendstrafen zwischen 15 Monaten und drei Jahren gefordert, teilweise zur Bewährung oder Vorbewährung. Die Anklagebehörde hat bereits Ende vergangener Woche entschieden, das Urteil nicht anzufechten.

Nach einer Urteilsverkündung hat ein Gericht, abhängig von der Anzahl der Verhandlungstage, eine bestimmte maximale Frist, das Urteil schriftlich zu begründen. Bei 68 Prozesstagen, die die Hauptverhandlung gegen die zehn jungen Angeklagten dauerte, liegt diese Frist üblicherweise bei 19 Wochen. Liegt das schriftliche Urteil vor, haben die Verfahrensbeteiligten in der Regel einen Monat Zeit, ihre Revision schriftlich zu begründen. Dies geht dann über die Staatsanwaltschaft und die Bundesanwaltschaft an den Bundesgerichtshof. Für Strafverfahren in Hamburg ist der 5. Senat des BGH zuständig, der in Leipzig sitzt.

Das Opfer wurde wiederholt in ein Gebüsch geführt und dort missbraucht

Die Jugendkammer des Hamburger Landgerichts war zu der Überzeugung gekommen, dass in der Nacht vom 19. auf den 20. September 2020 die zur Tatzeit 16 bis 20 Jahre alten Beschuldigten im Stadtpark die erheblich betrunkene 15-Jährige über einen längeren Zeitraum hinweg missbraucht hatten. Demnach führten sie die mit 1,6 Promille alkoholisierte Schülerin wiederholt in ein Gebüsch, wo es zu sexuellen Übergriffen kam.

Nach Überzeugung des Landgerichts handelte es sich um eine Vergewaltigung teils unter Ausnutzung einer hilflosen Lage, wobei Drohungen oder Gewaltanwendung nicht feststellbar waren. Das Opfer hatte die Übergriffe überwiegend aus Angst und Verstörung über sich ergehen lassen. Die 15-Jährige leistete im späteren Verlauf laut Urteil nicht ausschließbar zumindest auch keinen erkennbaren Widerstand. Die Beschuldigten hätten jedoch den desolaten Zustand des Opfers erkannt und diese Wehrlosigkeit ausgenutzt, hieß es im Urteil.

„Nein heißt nein“. Und ja heißt nur unter bestimmten Voraussetzungen ja

Noch vor einigen Jahren wäre es im vorliegenden Fall zu keiner Verurteilung gekommen. Erst seit dem im Jahr 2016 reformierten Sexualstrafrecht gilt nicht nur: „Nein heißt nein.“ Außerdem ist ein Ja nur dann als ein Ja zu werten, wenn es keinen Zweifel an der Zustimmung des anderen gibt. Dies hatte die Richterin in der Urteilsbegründung deutlich gemacht.

Die jungen Männer hätten erkennen müssen, dass die Schülerin zu alkoholisiert war, um einen eigenen Willen zu bilden und diesen zu äußern. Deshalb seien die Angeklagten wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Die Vorsitzende hatte zugleich das Verhalten der jungen Männer im Prozess kritisiert: „Keiner der Angeklagten hat ein Wort des Bedauerns über die Lippen gebracht.“

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Nach dem Urteil hatte es über das Internet Hass und Hetze vor allem gegen die Vorsitzende Richterin gegeben, dann auch gegen die Verteidiger sowie weitere Juristen. So schrieb beispielsweise ein Teilnehmer, er „wünsche der Richterin und allen Strafverteidigern den Tod“. Ein anderer Absender erklärte unter dem Betreff „Pfui Teufel“, dass er das Urteil mit „Verachtung zur Kenntnis genommen“ habe und „alles erdenklich Schlechte und einen ähnlichen Fall in der eigenen Familie“ wünsche. In einer weiteren Mail hieß es: „Ganz Deutschland hasst dich.“ Andere sprachen von einem „Skandalurteil“ und hofften, dass die Vorsitzende Richterin selber zum Opfer einer Vergewaltigung werde. Und es wurde gefordert: „Schäm dich!“

Hass und Hetze gegen die Richterin: Richterverein ist „bestürzt“

Sowohl der Richterverein als auch die Arbeitsgemeinschaft der Strafverteidiger hatten diese Hetze vehement kritisiert. Der Richterverein teilte mit, er sei „bestürzt über die unerträgliche Hetze gegen eine Kollegin, die in diesem schwierigen Fall die ihr nach dem Grundgesetz zugewiesene Aufgabe erfüllt hat“. Es handele sich bei der Hetze in den sozialen Medien um einen „gezielten Angriff auf den Rechtsstaat“.

Die Strafverteidigervereinigung zeigte sich „entsetzt“ über die Bedrohungen und Beleidigungen. Und ein Gerichtssprecher hatte erklärt: „Wir beobachten die Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Verfahren und dem Urteil mit großer Sorge.“ Die aktuell verbreiteten Hassbotschaften hätten „in Intensität und Massenhaftigkeit ein neues, besorgniserregendes Ausmaß angenommen“.