Hamburg. 1,6 Millionen Euro Fördergelder wegen immer mehr Notleidender – trauriger Rekord. Vorsitzender: „Weiß nicht, wie es ausgehen soll.“

Vor kurzem erst hat sich das Hamburger Spendenparlament ein neues Motto gegeben. Der Verein ist jetzt nicht mehr nur „gegen Armut und Isolation“, sondern gleichermaßen „für soziale Teilhabe und Integration“. Ein kleines Zeichen, das doch unmissverständlich auf die multiplen Krisen verweist, die die vergangenen Jahre prägten. Corona, Inflation, Kriegsflüchtige: All das kann Hamburg nur bewältigen, indem die Bürger der Stadt nicht nur gegen Probleme, sondern auch für Lösungen gemeinsam einstehen.

Wie dringend das Engagement der Zivilbevölkerung derzeit benötigt wird, spiegelt sich in der Höhe der Spenden wider, die das Spendenparlament in diesem Jahr bewilligt. „Während unser jährliches Fördervolumen für soziale Projekte in Hamburg in den Vor-Corona-Jahren bei etwa 700.000 Euro lag, ist es inzwischen auf über eine Million Euro angewachsen und wird voraussichtlich in diesem Jahr bei 1,65 Millionen Euro liegen“, so der Vereinsvorsitzende Uwe Kirchner. So viel Geld hat der Verein seit seiner Gründung 1996 noch nie verteilt. Doch es ist ein trauriger Rekord, der die steigende Bedürftigkeit in der Stadt nur allzu deutlich macht.

Spendenparlament in Krisenzeit: Hamburger bedürftig wie nie

„Die Grundidee des Spendenparlaments war: Kein soziales Projekt soll am Geld scheitern“, formuliert Kirchner. Allerdings lässt sich diese Losung schon heute kaum verwirklichen. Und das Klima wird rauer. Es ist eine komplexe Verzahnung gleich einiger Faktoren, die dafür sorgt, dass das Leid der Bedürftigen in der Stadt weiterwächst. Einerseits drücken hohe Wohnungspreise sowie gestiegene Energiekosten und teure Lebensmittel aufs Budget – gerade bei jenen, die schon vor Pandemie und Ukraine-Krieg knapp bei Kasse waren.

Andererseits hat sich die Zahl der Notleidenden in Hamburg mit den Geflüchteten erhöht und die Kinder und Jugendlichen haben noch immer an den sozialen Spätfolgen der Corona-Pandemie zu knabbern. „Die Not ist größer geworden“, mahnt Kirchner.

Lebenshaltungskosten steigen, Spendenbereitschaft sinkt

Alles nicht einfach. Zumal der Vorstandsvorsitzende klagt: „Die Spenden fließen nicht mehr so, wie sie mal geflossen sind – das ist aber auch erklärlich.“ Denn er ist sich bewusst darüber, dass auch alle anderen derzeit mit höheren Ausgaben konfrontiert sind und weniger zu geben haben. Angesichts der steigenden Wohnungs- und Obdachlosenzahlen in einer auch mit der Integration und Unterbringung von Geflüchteten herausgeforderten Stadt eine Zwickmühle. „Da weiß ich noch nicht, wie das ausgehen soll“, gibt Kirchner zu.

Die steigende soziale Not in Hamburg spiegele auch die sprunghaft angestiegene Zahl der Anträge wider, die das Spendenparlament in diesem Jahr erreichte – 144 waren das nämlich. Zum Vergleich: Vor der Corona-Pandemie erreichten den Verein in der Regel zwischen 90 und 120 Anträge jährlich.

Altbürgermeister von Dohnanyi: „Parlament, das nur Gutes tut“

Klar, ein Verein wie das Spendenparlament könnte immer mehr gebrauchen – mehr Einzelspenden, aber auch mehr Mitglieder und mehr Ehrenamtliche. Dafür wirbt der Vorstandsvorsitzende Kirchner stets. Jetzt gelte es allerdings erst einmal, mit den vorhandenen Mitteln zu arbeiten. Und das passiert im Spendenparlament dem Namen nach ganz demokratisch. Für Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi ist es gar das „einzige Parlament, das nur Gutes tut“.

Denn nachdem eine Kommission die Förderanträge einzelner Hamburger Träger und Vereine beurteilt hat, empfiehlt sie diese den Mitgliedern. „Wir versuchen, das Geld optimal einzusetzen – da, wo die Not am größten ist“, betont Kirchner. Dazu gehöre auch, den Trägern zuweilen schlechte Nachrichten zu überbringen. In diesem Jahr bewilligt das Spendenparlament zwar voraussichtlich mehr als 1,6 Millionen Euro, doch rund 60 Anträge mussten auch abgelehnt werden.

Die derzeit mehr als 3000 Spendenparlamentarier können dann dreimal jährlich online oder vor Ort im Parlament über die Vorschläge der Kommission abstimmen. Wer Geld gibt, kann also ganz transparent mitentscheiden, wo es letztlich ankommt. Die nächste Parlamentssitzung, die im Übrigen auch der Öffentlichkeit zugänglich ist, findet am 22. November von 18 Uhr an in der Kühne Logistics University am Grasbrook 17 statt. Allein bei dieser Sitzung sollen bis zu 696.000 Euro bewilligt werden.

Hamburg: Kinder und Jugendliche Leidtragende der Corona-Zeit

Eigene Projekte realisiert das Spendenparlament nicht, vielmehr wirkt es als „Meta-Verein“, der die Belange Tausender Ehrenamtlicher in Hamburg finanziell unterstützt und damit mittelbar Notleidenden hilft. Dazu zählen arme Menschen, Einsame, Obdachlose, benachteiligte Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung oder Migranten, „also das gesamte soziale Spektrum“, so Kirchner. Es gehe jedoch nicht um regelmäßige Spenden für einzelne Projekte, sondern Anschubfinanzierungen und Überbrückungshilfen.

Zudem gibt es dank einer mit dem Spendenparlament verbandelten Stiftung die Möglichkeit, Sonderprogramme aufzusetzen „für Bereiche, in denen wir sehen: Es brennt gerade“, sagt Kirchner. Im Zuge der Corona-Krise, aber auch des Ukraine-Krieges hatte der Verein etwa per Sonderprogramm Hamburger Projekte finanziert. Derzeit legt das Spendenparlament besonderes Augenmerk auf Kinder und Jugendliche, die noch immer mit sozialen Spätfolgen der Pandemie ringen. Sie „waren die Leidtragenden dieser schwierigen Zeit, gerade die sowieso schon ökonomisch und sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen“, so Kirchner.