Hamburg. 100.000 Wohnungen in Hamburg sollen vergesellschaftet werden. Rot-Grün will das mit einem geschickten Schachzug verhindern.
Aus Berlin kommen für die rot-grüne Koalition im Rathaus selten gute Nachrichten. Das zähe Ringen und bisweilen auch scheinbar endlose Gewürge der Parteifreunde und -freundinnen untereinander und in der Ampel-Koalition wie zuletzt beim Heizungsstreit schlägt auch hier auf die politische Stimmung und hat das Zeug, Wahlchancen zu beeinträchtigen. Aber das ist eine andere Geschichte.
In dieser Woche sorgte das Gutachten einer Expertenkommission, die noch der alte Berliner Senat unter Führung der damaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in Auftrag gegeben hatte, für ungläubiges Stirnrunzeln und hochgezogene Augenbrauen aufseiten des hiesigen Senats und der Mehrheitsfraktionen von SPD und Grünen in der Bürgerschaft.
Mieten: „Hamburg enteignet“ will härter gegen private Wohnungswirtschaft vorgehen
Darum geht es: Die Fachleute in der Hauptstadt sind in ihrer Expertise zu dem Ergebnis gekommen, dass die Enteignung großer Wohnungsunternehmen rechtmäßig und finanzierbar ist. Die Vergesellschaftung aller in Berlin aktiven privaten Großvermieter mit einem Bestand von mindestens 3000 Wohnungen ist das Ziel der Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die die Einsetzung der Expertenkommission gefordert hatte. Die Hoffnung: Eine gemeinnützige Bewirtschaftung der enteigneten Bestände soll die Mieten dauerhaft senken und das Wohnen in Berlin wieder finanzierbarer machen.
Es ist natürlich kein Zufall, dass eine beinahe identische Volksinitiative auch in Hamburg unterwegs ist. Die Initiative mit dem schmissigen Titel „Hamburg enteignet“ will sogar noch härter gegen die private Wohnungswirtschaft vorgehen: Hier sollen alle Unternehmen ihr Eigentum verlieren, die mehr als 500 Wohnungen in ihrem Besitz haben. Die erste Stufe der Volksgesetzgebung ist bereits genommen: Im März reichte die Initiative nach eigenen Angaben mehr als 18.000 Unterstützer-Unterschriften beim Senat ein. Die erforderliche Hürde von 10.000 Voten war damit sicher erreicht. Jetzt sind Bürgerschaft und Senat am Zug, sich mit der Forderung zu beschäftigen.
Die Linke unterstützt als einzige Partei die Volksinitiative „Hamburg enteignet“
Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, jubelte bereits über das Berliner Gutachten. „Das ist ein Paukenschlag, der auch den Kritikern und Kritikerinnen der Volksinitiative ,Hamburg enteignet’ den Boden wegzieht“, glaubt Sudmann. Die Vergesellschaftung sei nicht nur zulässig, sondern auch effizient. Das nötige Geld für die Entschädigung der Eigentümer könne durch die Mietzahlungen im Rahmen der gemeinnützigen Bewirtschaftung langfristig aufgebracht werden. „Statt Betongold für Investoren gibt es niedrige Mieten. Wenn das keine gute Nachricht ist“, sagte Sudmann mit einem leicht klassenkämpferischen Unterton.
Die Linke unterstützt die Volksinitiative, steht damit jedoch allein. Kräftiger Gegenwind kommt von SPD, Grünen und auch der oppositionellen CDU. „Die undifferenzierte Forderung, alle Unternehmen mit mehr als 500 Wohnungen zu enteignen, schert alle über einen Kamm und diskreditiert diese als profitorientiert“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) dem Abendblatt. Die Forderung strafe auch die vielen Unternehmen ab, „die ihre Bestände ordentlich bewirtschaften und in die Modernisierung und den Neubau der dringend benötigten Wohnungen reinvestieren“.
Für Stadtentwicklungssenatorin Pein (SPD) ist Enteignung „nicht die richtige Lösung“
Die Enteignung sei „nicht die richtige Lösung“, so Pein, um mit den aktuellen Problemen umzugehen, sondern werde den Druck auf den Wohnungsmarkt im Gegenteil noch verstärken, weil weniger Unternehmen neue Wohnungen aus Sorge vor der Enteignung bauen würden. „Hamburg setzt seit 2011 erfolgreich auf eine kooperative Wohnungsbaupolitik mit Politik, Verwaltung und Wohnungswirtschaft“, betont die Senatorin. Dadurch sei es gelungen, mehr als 90.000 Wohnungen zu bauen und die Durchschnittsmiete auf einem moderaten Niveau von 8,71 Euro pro Quadratmeter zu halten.
Auch bei der im Volksabstimmungsgesetz vorgeschriebenen Anhörung der Volksinitiative im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft Mitte Juni wurden die Unterschiede deutlich. Aber die Vertrauensleute von „Hamburg enteignet“ umrissen auch die Dimension ihres Vorhabens. „Wir rechnen damit, dass wir über die Grenze von 500 Wohnungen auf circa 100.000 Wohnungen kommen. Was dann letztlich eine relevante Größe ist, um auch auf die Mietenentwicklung in Hamburg insgesamt Einfluss zu nehmen“, sagte Vertrauensperson Marco Hosemann.
Rund 280.000 Wohnungen sind in städtischem oder gemeinnützigem Besitz
In der Stadtentwicklungsbehörde gibt es keine Übersicht über die Wohnungsunternehmen mit mehr als 500 Wohneinheiten. Die Vertreter der Volksinitiative nannten in der Anhörung beispielhaft Unternehmen wie Vonovia, Tag Immobilien, Nordelbe, Potenberg und die Robert Vogel KG des verstorbenen früheren FDP-Landesvorsitzenden. Den größeren privaten Wohnungsunternehmen, zu denen noch zahlreiche kleinere private Vermieter hinzukommen, steht ein relativ großer Bestand öffentlicher und gemeinnütziger Unternehmen gegenüber.
Allein fast 140.000 Wohnungen gehören der städtischen Saga, noch einmal so viele haben die Genossenschaften und gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in ihrem Bestand. Nach Angaben der Stadtentwicklungsbehörde liegt der Anteil von Wohnungen im Eigentum börsennotierter Unternehmen wie Vonovia oder Tag Immobilien in Hamburg bei vier Prozent und damit deutlich niedriger als etwa in Berlin. Überhaupt sei der Wohnungsmarkt der Hauptstadt, so Senatorin Pein, mit dem Hamburger nicht vergleichbar, weil die Berliner Senate die städtischen Wohnungsbestände im Laufe der Jahre größtenteils an börsennotierte Unternehmen verkauft hätten – anders als Hamburg.
SPD und Grüne bezweifeln, dass nach Enteignung die Mieten in Hamburg sinken
Deutlich wurde in der Anhörung auch, dass es der Volksinitiative rechtlich gesehen gar nicht um eine Enteignung der Wohnungsbestände geht, wie sie laut Grundgesetz für Grundstücke etwa beim Bau einer Autobahn vorgenommen werden kann. Es geht vielmehr um eine Vergesellschaftung, die eine Überführung „in Gemeineigentum oder eine andere Form der Gemeinwirtschaft“ vorsieht (Art. 15 GG). Damit sei gewährleistet, dass das Gemeineigentum „demokratisch organisiert und nicht gewinnorientiert“ sei. Obwohl es um Vergesellschaftung gehe, so Initiativenvertreter Hanno Hinrichs habe man den Namen „Hamburg enteignet“ gewählt, weil das „ein bisschen gängiger“ sei.
Es gibt zentrale Kritikpunkte von SPD, Grünen und CDU an dem Vorhaben: Erstens wird die Erwartung nicht geteilt, dass die Mieten gewissermaßen automatisch sinken, wenn die großen privaten Wohnungsbestände vergesellschaftet sind. „Die Miete müsste fortgezahlt werden, um die notwendigen Entschädigungszahlungen an die Wohnungsunternehmen im Milliardenbereich zu decken“, sagt Karen Pein.
Initiative rechnet mit Entschädigungszahlungen in Höhe von acht Milliarden Euro
Der zweite Punkt betrifft die Höhe der Entschädigungszahlungen, die im Falle der Enteignungen fällig würden. Einerseits ist klar, dass es nicht um den Verkehrswert der Grundstücke und Gebäude gehen kann. Andererseits dürfte die Gesamtsumme angesichts mangelnder Beispiele schwer zu taxieren sein. „Die Initiative hat etwa acht Milliarden Euro bemessen als Entschädigungssumme“, sagte deren Vertreter Hinrichs vor dem Ausschuss und berief sich auf Berechnungen der Berliner Initiative für die Hauptstadt. Überprüfen lässt sich das derzeit nicht.
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„Wer finanziert denn jetzt diesen ganzen Kauf? Das habe ich immer noch nicht so ganz begriffen. Also vor dem Hintergrund auch steigender Zinsen, die wir ja jetzt haben, unter denen gerade auch der Wohnungsbau leidet. Wie können Sie jetzt versprechen, dass bei 100.000 Wohnungen auf jeden Fall die Mieten sinken?“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf.
Keine Verhandlungen zwischen Bürgerschaft und Volksinitiative
Laut Volksabstimmungsgesetz hat die Bürgerschaft vier Monate nach Einreichung der Unterschriftenlisten Zeit, sich das Anliegen der Volksinitiative zu eigen zu machen oder in Verhandlungen über einen Kompromiss einzutreten. Die Frist endet Mitte Juli, letzte Gelegenheit böte die Bürgerschaftssitzung am kommenden Mittwoch. Doch der Termin wird verstreichen. „Es wird noch ein Gespräch der Fraktionsspitzen von SPD und Grünen und den Fachsprechern mit der Initiative geben. Das ist üblich so. Aber keine Verhandlungen und keine weiteren Gespräche“, sagt Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen. Klare Kante also.
Aber SPD und Grüne werden es kaum auf einen dann bindenden Volksentscheid bei dem möglicherweise populären Thema ankommen lassen wollen. Deswegen plant Rot-Grün einen anderen Schachzug, auch wenn das noch keiner ganz direkt sagt. Es gilt als sicher, dass der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht anrufen wird. Dazu ist die Landesregierung laut Gesetz sogar verpflicht, wenn „erhebliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der Volksinitiative bestehen.
Es gilt als sicher, dass der Senat das Hamburgische Verfassungsgericht anruft
Nach Informationen des Abendblatts konzentrieren sich die Bedenken vor allem darauf, dass die Initiative nicht über einen Gesetzentwurf oder „eine bestimmte andere Vorlage“ abstimmen will, wie es das Volksabstimmungsgesetz vorschreibt. Stattdessen soll lediglich eine Expertenkommission nach Berliner Vorbild eingerichtet werden, die die rechtliche Situation in Hamburg bewertet und Vorschläge zur Vergesellschaftung macht.
Mit einer Entscheidung des höchsten Gerichts wird frühestens in eineinhalb bis zwei Jahren gerechnet. „Die nächsten zwei Jahre wird in der Angelegenheit nichts passieren“, sagt ein führender Koalitionär und gibt sich extrem gelassen. Ach ja, in der Zwischenzeit ist dann auch eine neue Bürgerschaft gewählt worden, sodass das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle spielen dürfte. Das klingt sehr nach der langen Bank, auf die im Mittelalter unliebsame Entscheidungen geschoben wurden.