Hamburg. Unfälle wie an der Waitzstraße werfen Fragen auf, ob Pflicht-Tests nötig sind. Was Experten sagen und freiwillige Fahrchecks bringen.
Es hat wieder einmal gekracht: Erneut ein Autounfall an der Waitzstraße, verursacht von einem älteren Autofahrer. Solche Meldungen haben sich in der Vergangenheit gehäuft. Über die Jahre hat es in der beliebten Einkaufsstraße in Groß Flottbek mehr als dreißig solcher Unfälle gegeben, bei denen Senioren versehentlich über Gehwege fuhren, in Geschäfte hineinkrachtenoder Tische vor Cafés ummähten.
Bedeutet das also, übertragen auf ganz Hamburg und andere Städte: Wer alt wird, wird zunehmend fahruntüchtig? Oder: Wer ein bestimmtes Alter erreicht hat, muss nachweisen, dass er noch sicher am Steuer ist?
Verkehr in Hamburg: Absage an verpflichtende Fahrtests mit Altersgrenze
Solchen Schlussfolgerungen erteilen Experten allerdings eine klare Absage. „Verpflichtende Fahrtests für alle Senioren beispielsweise ab dem Alter von 70 oder 75 Jahren einzuführen, wie es in der Vergangenheit häufiger diskutiert wurde, ist wenig sinnvoll“, betont der Hamburger Landesvorsitzende vom „Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr“ (BADS), Ewald Brandt. Denn der Leistungsabbau verlaufe sehr individuell und sei nicht an einem bestimmten Alter festzumachen. Ein 80-Jähriger könne noch „total fit sein“, während ein 65-Jähriger unter Umständen bereits so massive Ausfallerscheinungen aufweisen könne, dass er nicht mehr ans Steuer sollte.
„Unbestritten ist, dass als Fahrzeugführer nicht am Straßenverkehr teilnehmen darf, wer nicht mehr fahrtüchtig ist“, sagt Brandt. Hier müsse jeweils auf das individuelle Fehlverhalten bezogen reagiert werden. Die staatlichen Stellen, insbesondere die Polizei, müssten also dann eingreifen, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer im Raum steht. Macht der Senior trotz zweifelhafter Fahrtüchtigkeit nicht von freiwilligen Kontrollfahrten bei einer Fahrschule Gebrauch, sollte die Führerscheinstelle (in Hamburg: Landesbetrieb Verkehr) „bei Verkehrsverstößen des Seniors die Möglichkeit haben, Kontroll- und Rückmeldefahrten mit einem Fahrlehrer oder einer Fahrlehrerin zu verfügen“.
Wer fahruntüchtig ist, aber trotzdem fährt, kann belangt werden
Brandt erklärt weiter: „Eine solche Anordnungsbefugnis für die Führerscheinstelle muss ausdrücklich in die Fahrerlaubnis-Verordnung aufgenommen werden.“ Schon jetzt sei es allerdings möglich, nicht mehr fahrtüchtige Senioren, die trotzdem am Straßenverkehr teilnehmen, rechtlich zu belangen, erläutert der Hamburger BADS-Vorsitzende. „Das gilt insbesondere, wenn das Fehlverhalten zu Gefährdung oder Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat.“ Dann handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit oder auch eine Straftat. Dies könne sogar zum Verlust des Führerscheins führen.
Mit diesen Ausführungen bringt Brandt auf den Punkt, was jüngst bei einer Tagung mit rund 150 Experten unter anderem aus den Bereichen Medizin, Justiz und Polizei intensiv beleuchtet wurde: wie es um die Verkehrseignung von Senioren bestellt ist und was getan werden kann, um sie gegebenenfalls zu verbessern. Hintergrund der Expertentagung: Die Gesellschaft wird älter, die Zahl älterer Autofahrer steigt entsprechend an – und trotzdem muss die Verkehrssicherheit gewährleistet werden. Dies müsse gleichzeitig mit dem größtmöglichen Erhalt von Mobilität und Selbstbestimmung der Generation der Senioren in Einklang gebracht werden.
Experten: Sehtest für Senioren muss unbedingt Pflicht werden
Eine wesentliche Erkenntnis bei dem Symposium: Wegen der herausragenden Bedeutung der visuellen Fähigkeiten beim Autofahren ist ein verpflichtender Sehtest zu befürworten. Ebenso solle Menschen jenseits der 70 oder der 75 dringend empfohlen werden: „Gehen Sie zum Arzt, und lassen Sie sich beraten“, sagt Brandt. Die Mediziner könnten wertvolle Erkenntnisse für die Einschätzung beisteuern, inwieweit eine Fahreignung ihrer jeweiligen Patienten noch vorliegt.
Darüber hinaus könnten die Ärzte Empfehlungen für Trainingsprogramme geben, wenn es beispielsweise wegen Beschwerden im Rücken beim sogenannten „Schulterblick“ hapert. Oder wenn die geistigen Fähigkeiten so weit nachlassen, dass der Senior nicht mehr konzentriert genug im komplexen Verkehrsgeschehen die richtigen Entscheidungen treffen kann. Häufig sei weniger die Fahrt auf der Autobahn das Problem für ältere Verkehrsteilnehmer, erklärt Brandt. „Es ist eher der Stadtverkehr, vor allem an unübersichtlichen Kreuzungen mit vielen Verkehrsschildern.“
Neues Buch informiert über alle wissenschaftlichen Erkenntnisse
Was die Experten auf ihrer Tagung an Erkenntnissen zusammengetragen haben, wurde in einem Buch zusammengefasst, das jetzt erschienen ist: „Verkehrseignung – Senioren: Krankheit, Medikamente, Alkohol“. Neben Brandt ist einer der drei weiteren Autoren der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel. Das Buch, das im Pabst Verlag erschienen ist, ist für alle an der Verkehrssicherheit Interessierten für 20 Euro erhältlich (www.pabst-publishers.com).
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In dem Buch werden Forschungsergebnisse unter anderem aus der Medizin und Verkehrspsychologie sowie Erkenntnisse aus der polizeilichen und justiziellen Praxis zusammengetragen. Darüber hinaus schildert beispielsweise eine Fahrlehrerin, wie bei ihr „Senioren-Fahrchecks“ ablaufen, in denen ältere Menschen in professioneller Begleitung ihre Fahrtüchtigkeit überprüfen lassen können. Solche Fahrchecks dauerten in der Regel 60 Minuten, heißt es in dem Beitrag.
Fahrchecks für Senioren: So laufen sie ab, das leisten sie
Bei den Fahrten kämen bei manchen älteren Menschen Schwächen zutage, etwa eine unzureichende Umsicht beim Fahrstreifenwechsel oder zu schnelles Fahren an unübersichtlichen Stellen. Nach der Fahrstunde finde eine ausführliche Besprechung statt, und schließlich erhalte der Betroffene in einem Protokoll eine Beurteilung sowie Tipps für die zukünftige Praxis im Straßenverkehr, erläutert Fahrlehrerin Heike Hilbig.
Was aber ist, wenn es am Steuer nicht mehr geht? „Dann ist es notwendig, dies auch klar auszudrücken. Manchmal hilft es auch, einfach mal vorzurechnen, was denn der Unterhalt eines Autos kostet, im Vergleich zum Nutzen. Ich bereite meine Senioren vor und beginne, den Führerschein ,auszuschleichen‘.“ Außerdem weise sie die Senioren gern in die Assistenzsysteme neuer Fahrzeuge ein.
Verkehr: Junge Autofahrer fahren häufiger betrunken als ältere
Auch eine wissenschaftliche Analyse, inwieweit ältere Menschen ab 65 Jahren bei Trunkenheitsfahrten in Hamburg eine Rolle spielen, wird in dem Buch abgehandelt. Für die Abhandlung wurden Blutalkoholprotokolle des Instituts für Rechtsmedizin am UKE ausgewertet. Das Ergebnis: Den größten prozentualen Anteil mit 18,6 Prozent nimmt die Altersgruppe der 25 bis 29 Jahre alten Autofahrer ein. Ab 70 Jahren beträgt der Anteil insgesamt nur noch 1,5 Prozent, spielt also eher eine untergeordnete Rolle.