Hamburg. Aktion vor Petrikirche gibt verschleppten Israelis Namen und Gesicht. Landesrabbiner Shlomo Bistritzky mahnt: „Nie wieder ist jetzt.“

Gedenken in Hamburg: Zum 9. November erinnern 200 leere Stühle an Geiseln in Gaza

200 Stühle. 200 leere Sitzflächen. 200 Menschen, die schlichtweg fehlen. Auf dem Platz an der Hauptkirche St. Petri erinnern am Mittwoch bestuhlte, festlich für einen jüdischen Sabbatabend eingedeckte Tafeln an die vor nunmehr vier Wochen von der islamistischen Terrorgruppe Hamas in den Gazastreifen verschleppten Israelis. Sie sollen zugleich ein Zeichen gegen Antisemitismus in Deutschland setzen.

Die Aktion unter der Überschrift „Bring them Home“ (dt. „Bringt sie nach Hause“) entstand anlässlich des Gedenktages am 9. November in Kooperation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) und der Hauptkirche St. Petri gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg und weiteren Veranstaltern. Die Eröffnung am Mittwochmittag wurde von Redebeiträgen und jüdischer Musik begleitet. Gegen 16 Uhr sollten die Beteiligten die Installation, die ständigen Polizeischutz erhielt, wieder abbauen.

St.-Petri-Pastor: „Unerträglich, dass Juden in Deutschland Angst haben müssen“

Trotz, oder besser: wegen der 200 Stühle wirkt der Platz neben St. Petri am Mittwoch so leer wie nie. Er symbolisiert nun das, was fehlt – die seit bereits einem Monat leer bleibenden Plätze an den Tischen israelischer Familien, deren Angehörige sich an einem unbekannten Ort in der Gewalt der Hamas befinden.

David, Mia, Sharon: An jeder der Stühle prangen Name und Porträt eines von der islamistischen Terrororganisation Hamas in den Gazastreifen verschleppten Israelis. Denn bei den Geiseln handelt es sich um Menschen, „die einen Namen und ein Gesicht haben, Familie und Freunde, Begabungen und eine Lebensgeschichte“, erinnert Jens-Martin Kruse, Hauptpastor von St. Petri, bei der Eröffnung der Aktion. Er verurteilt den Terrorakt der Hamas scharf und empfindet es ebenfalls als „unerträglich, dass Juden heute in Deutschland Angst haben müssen“.

Existenzrecht Israels sei mehr als bloße Staatsräson

„Angesichts des beängstigenden Antisemitismus in Deutschland soll die Aktion am Vorabend des 9. November ein deutliches Zeichen gegen Judenfeindschaft setzen“, sagt Pastorin Hanna Lehming, Beauftragte der Nordkirche für christlich-jüdischen Dialog.

„Geschichte wiederholt sich nicht einfach“, mahnt sie auf dem Platz an St. Petri und ruft dazu auf, das Existenzrecht Israels nicht als bloße Staatsräson, als „Pflichtübung“, zu begreifen, sondern vielmehr als Selbstverständlichkeit. Zudem fordert sie eine verstärkte Aufklärung über die Kriegssituation in den Schulen Hamburgs.

Sie haben einen Namen und ein Gesicht: Vor der Hamburger Hauptkirche St. Petri erinnern 200 leere Stühle an von der islamistischen Hamas verschleppte Israelis.
Sie haben einen Namen und ein Gesicht: Vor der Hamburger Hauptkirche St. Petri erinnern 200 leere Stühle an von der islamistischen Hamas verschleppte Israelis. © Funke Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Hamburgs Landesrabbiner Shlomo Bistritzky: „Nie wieder ist jetzt“

Mehrere Hundert Menschen finden sich zur Eröffnung der Aktion ein. Sie wandeln zwischen den Stühlen. Still und andächtig oder aber ins Gespräch über die Grausamkeiten des Krieges vertieft, blicken sie in die Augen der Geiseln auf den Porträts: in die von der 85-jährigen Yafa Adar, des 27-jährigen Dor Taor oder der gerade dreijährigen Geschwister Emma und Yuli Cunio, die die islamistische Hamas allesamt gefangen hält.

Landesrabbiner Shlomo Bistritzky spricht ein Gebet, verliest eine Geschichte aus dem Talmud und versichert nach Jesaja: „Die Befreiten des Herrn werden zurückkommen.“ Er sei dankbar dafür, dass eine Vielzahl der Hamburger den Jüdinnen und Juden in einer schweren Zeit mit großer Unterstützung begegnet, und erinnert mit der Formel „Nie wieder ist jetzt“ daran, dass der Kampf gegen Faschismus und Antisemitismus ein beständiger ist.

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Der 9. November ist ein in vielerlei Hinsicht historisches Datum für Deutschland. Vor 85 Jahren, am 9. November 1938, begannen die Novemberpogrome mit der damals verharmlosend genannten „Kristallnacht“. Die gegenwärtigen Angriffe der Hamas auf Israel bezeichnet die Nordkirche als seit der Nazizeit schlimmstes Pogrom an Juden. Im Laufe dieser Woche haben bereits verschiedene weitere Vereine, Einrichtungen und Institutionen Vorbereitungen für den Gedenktag getroffen, etwa vor dem Bahnhof Dammtor.