Hamburg. Dem Wirtschaftsminister gelingt, woran viele scheitern: Er erklärt Weltpolitik und nimmt die Menschen mit.
Es ist ein Bild mit Seltenheitswert: Auf der Internetplattform YouTube hat sich eine politische Rede unter die meistgesehenen Videos gemischt – es trendet. Zwischen einer koreanischen Boyband und dem Rapper Capital Bra steht ein 54-Jähriger im schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte, mit ernstem Gesicht und einer klaren Botschaft: Robert Habeck spricht über Antisemitismus in Deutschland. Und fast jedes Wort verfängt.
Der Grünen-Politiker macht klar, dass in Deutschland fast 80 Jahre nach dem Holocaust kein Platz für Antisemitismus ist und sein darf. Das gilt für alte Nazis wie für junge Migranten. Habeck droht antisemitischen Zuwanderern ohne Aufenthaltstitel mit Abschiebung. Er nimmt die muslimischen Verbände in die Pflicht. Er spricht nicht nur von den Tätern, sondern einfühlsam von den Opfern – jüdischen Mitbürgern, die sich in ihrer Heimat Deutschland nicht mehr heimisch fühlen, sondern in Angst leben. So werden die Opfer ein weiteres Mal zu Opfern.
Robert Habeck mutet eigenen Parteifreunden und Anhängern einiges zu
Habeck ordnet ein, er erklärt und klagt an. Der Wirtschaftsminister mutet den eigenen Parteifreunden und Anhängern einiges zu, weil er den Antisemitismus in Teilen der politischen Linken beim Namen nennt. Er unterscheidet sauber zwischen der berechtigten Kritik an der israelischen Siedlungspolitik und der abartigen „Solidarität“ auf deutschen Straßen mit Terroristen. Habeck sagt, was ist: „Die Hamas will nicht die Aussöhnung mit Israel, sondern die Auslöschung von Israel.“
Und er benennt, was mit jedem Tag seit den Terrorangriffen vom 7. Oktober mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten droht: „Es war die Hamas, die Kinder, Eltern, Großeltern in ihren Häusern bestialisch ermordet hat. Deren Kämpfer Leichen verstümmelt haben, Menschen entführt und lachend der öffentlichen Demütigung ausgesetzt haben. Es sind Berichte des schieren Horrors – und dennoch wird die Hamas als Freiheitsbewegung gefeiert? Das ist eine Verkehrung der Tatsachen, die wir nicht stehen lassen können.“
Robert Habeck versteht offenbar viel vom Völkerrecht
So bringt der Flensburger Klarheit in eine Welt, die immer unübersichtlicher erscheint. Und er erfüllt den Satz von der Staatsräson mit Leben. Habecks Rede versendet sich nicht, sie bleibt. Sie wird dokumentiert, nachgedruckt werden, in Schulbücher Einzug finden. Er hat die Macht des Wortes in einer Zeit der Bilder neu belebt. Und bewiesen, dass Politik, die erklärt, Menschen mitzunehmen vermag. Das ist in Zeiten des Populismus und des Vertrauensverlustes nicht hoch genug einzuschätzen.
Viele werden sich fragen, warum dieser brillante Redner sich mit Heizungsgesetzen ins Seitenaus regiert, statt im Kabinett an anderer Stelle zu wirken. Da lohnt es. noch einmal in den Archiven zu kramen: Die Filmemacher Reinhold Beckmann und Falko Korth zeigten 2020 den Machtkampf bei den Grünen in ihrem Film „Baerbock und Habeck – Kurs aufs Kanzleramt?“ Damals qualifizierte die spätere Spitzenkandidaten ihren Co-Vorsitzenden ab: „Vom Hause her kommt er – Hühner, Schweine,... Kühe melken. Ich komme eher aus dem Völkerrecht. Da kommen wir aus ganz anderen Welten.“
Youtube-Hit: Bundesregierung sollte von Habecks Rhetorik lernen
Ein böses Foul, das heute noch rüpeliger wirkt. Viele schütteln noch immer fassungslos den Kopf darüber, dass Außenministerin Annalena Baerbock sich bei der israelfeindlichen UN-Resolution enthalten hat, einer Resolution, welche die Hamas nicht für den Angriff auf Israel verurteilt und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht einmal erwähnt. Da dürften sich manche einen Robert Habeck an ihrer Stelle gewünscht haben.
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Für die gesamte Bundesregierung könnte die Rede aufrüttelnd wirken - weniger im Inhalt, aber mehr in der Tonalität. Denn Habeck gelingt, woran viele Spitzenpolitiker scheitern. Weder Kanzler Olaf Scholz noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sind in der Lage, mit so viel Leidenschaft und Lust zu sprechen. Das heißt aber nicht, dass Habeck damit der bessere Kanzler ist. Als Handwerker der Macht dürfte Scholz die bessere Wahl sein.
Aber Habeck belegt, was die Ampel könnte, wenn sie wollte – und sich auf ihre Stärken besinnt. Die Koalition war einmal angetreten, über politische Lager die Republik zu führen und mehr Fortschritt zu wagen. Stattdessen regieren Zwist und Streit. Habecks Rede deutet an, dass mehr drin wäre. Ein Mann, der die Politik erklären kann, hat diese Regierung jedenfalls.