Hamburg. Nach glücklichem Ende der Geiselnahme am Flughafen Hamburg ist die Polizei entsetzt über teils menschenverachtende Beiträge im Netz.
Wer ganz tief in den Abgrund hinunter will, der braucht in diesen Tagen nur ein Handy. Vor allem am vergangenen Sonntag. Denn während die 18 Stunden lange Geiselnahme am Flughafen Fuhlsbüttel ganz Hamburg im Bann hält und sich die meisten vor allem um das vierjährige Mädchen sorgen, scheint es in der digitalen Parallelwelt ganz andere Sorgen zu geben. Zusammengefasst lauten diese: „Warum jagt man so einem Idioten nicht einfach eine Kugel in seinen verdammten Schädel?“
So hat es am Sonntag ein gewisser Martin Köhler beim Nachrichtendienst „X“ (früher Twitter) formuliert. Ob der User wirklich Köhler heißt, ist unklar. Klar ist nur, dass er nicht der Einzige mit so einem menschenverachtenden Post war. Ganz im Gegenteil. Nach Angaben der Hamburger Polizei hat es alleine auf ihren unterschiedlichen Social-Media-Kanälen rund 4500 Kommentare gegeben, wovon rund ein Viertel der User – vorsichtig formuliert – sehr grenzwertige Meinungen kundgetan hat.
Flughafen Hamburg: Polizei nach Geiselnahme über Hetze im Netz entsetzt
Die Polizei habe viele Kommentare auf „X“ erhalten, „die in Anbetracht der tragischen Situation schlicht moralisch verwerflich und menschenverachtend waren“, schrieb Kay Metzke, der Leiter des Social-Media-Teams der Hamburger Polizei, in einem eigenen Post sehr deutlich. „Unter anderem wurde der sofortige und rücksichtslose Einsatz von Scharfschützen gefordert, um monetäre und freizeitorientierte Bedürfnisse zu erfüllen.“
Und die Polizei war in ihrer Beobachtung nicht allein. Auch in der Presseabteilung des Hamburger Flughafens, die ab dem Beginn der Geiselnahme bis zum glücklichen Ende fortlaufend über Social Media über den aktuellen Stand informierte, hat man die Quantität und die Qualität – besser gesagt: die fehlende Qualität – der kritischen, aber auch menschenverachtenden Kommentare registriert. Gegenüber dem Abendblatt bestätigt Flughafensprecherin Katja Bromm, dass eine juristische Prüfung dieser Posts derzeit laufe.
Schreiber bei „X“ forderten die sofortige Erschießung des Geiselnehmers von Hamburg
Auch das Abendblatt hat sämtliche „X“-Kommentare vom Sonntag, die auf den Kanälen der Hamburger Polizei und des Flughafens veröffentlicht wurden, ausgewertet – und ist dabei zu einem ähnlichen Fazit wie der Polizei-Social-Media-Leiter Metzke gekommen. „In Amerika wird so ein Typ sofort erschossen, warum dann nicht auch in Deutschland?“, fragt ein User, der sich Spruecheboyx nennt. Ein Peter Schmidt fordert: „Kleiner roter Punkt auf den Kopf und abdrücken. Schon können die Leute wieder fliegen.“
Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, betont auf Abendblatt-Nachfrage: „Es gibt die Möglichkeit, Hasskriminalität im Internet über das Portal ,Hasskommentare im Internet melden‘ anzuzeigen. Derzeit liegen der Staatsanwaltschaft 230 Anzeigen vor.“ Bei der Generalstaatsanwaltschaft Zentralstelle Staatsschutz seien laut Oechtering in diesem Jahr bereits 33 Verfahren wegen „Hasskriminalität im Internet“ eingeleitet worden.
Geiselnahme an Hamburger Flughafen: Auch rassistische Beschimpfungen wurden gepostet
Was bei den Social-Media-Kommentaren vom Wochenende auffällt: Neben den zahlreichen Aufforderungen, den Geiselnehmer zu erschießen („Hat die deutsche Polizei keine Scharfschützen, die das beenden?“) gibt es auch zahlreiche rassistische Posts. „Sind wir eigentlich noch Herr im Haus???“, fragt beispielsweise ein gewisser Jockel. Mit drei Fragezeichen. Und sagt dann mit drei Ausrufezeichen: „Palästiner-Demos, durchgeknallte Türken, überall nicht integrierte Mohameds und sonstiges Gesocks!!!“ Sein Fazit: „Dieses Land versagt gerade umfassend.“
Noch bevor irgendetwas über den persönlichen Hintergrund des Geiselnehmers offiziell wurde, hat ein gewisser Sid bereits sein Urteil gefällt: „Ich sage es bereits: Christen und Muslime passen nicht zusammen. Wir sollten in unterschiedlichen Ländern leben.“ Ein weiterer User stimmt zu: „Scharfschütze, 1 Schuss ... das Ganze könnte jeden Moment beendet werden, was ist das mal wieder für ne dämliche Pussy-Veranstaltung in unserem Land? Ein wahnsinniger Muslim-Migrant sorgt mal wieder unnötig für Komplikationen und der Staat zeigt keine Eier.“
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Wer glaubt, dass die Kommentare am Flughafen nur „Einzelfälle“ waren, der wurde nur drei Tage später eines Besseren belehrt. Nur wenige Minuten nach dem Polizeieinsatz in Blankenese, wo es am Mittwoch eine Bedrohung durch eine Schusswaffe gab, entlädt sich bei in den „sozialen“ Netzen erneut der ganze Hass. Einer von vielen Posts: „Deutschland fällt zurück in die Steinzeit. Dank des Imports.“
Polizist Kay Metzke will Kommentare wie diese nicht weiter hinnehmen. „Die teilweise stattgefundene Abwertung der beteiligten Personen wiederum können und wollen wir nicht unkommentiert stehen lassen“, sagt er im Hinblick auf den Flughafenvorfall. Die gute Nachricht zum Schluss: Innerhalb weniger Stunden haben 2800 User Metzkes Kommentar geliked, der überwiegende Teil der 177 Kommentare war zustimmend. Milena Guthoerl beispielsweise schrieb: „Vielen Dank für Euren Einsatz, Eure Empathie unter den schwierigsten Bedingungen und dieses Statement!“