Hamburg. Geiselnahme in Hamburg-Fuhlsbüttel zeigt einmal mehr: Schutz der „kritischen Infrastruktur“ ist im kritischen Zustand.

Der große deutsche Theaterkritiker Alfred Kerr liegt unweit des Hamburger Flughafens auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben: „Guter Freund, ich will nicht frech sein und übe stets mich in Geduld. Neunmal Pech mag neunmal Pech sein, zehnmal Pech ist Schuld“, dichtete er einst. Irgendwie passt der Reim zum Hamburger Flughafen.

Da mögen die Verantwortlichen betonen, dass die Sicherung des Flughafens allen gesetzlichen Vorgaben entspreche und diese sogar übertreffe – der Eindruck nach den Stunden des Schreckens auf dem Rollfeld ist ein fundamental anderer.

Geiselnahme offenbart gefährliche Sicherheitslücken am Flughafen Hamburg

Die Sicherheitslücken in Fuhlsbüttel sind so gravierend, dass ein Geiselnehmer mit einem geliehenen Allerweltsauto nicht nur das Nordtor durchbrechen, sondern bis vor eine Passagiermaschine fahren kann. Auf dem Weg dorthin warf er noch mehrere Brandsätze. Bleibt zu hoffen, dass Terroristen keine Nachrichten schauen – man mag sich gar nicht vorstellen, welches Unheil Teufelskrieger oder Verrückte hier anrichten können.

Es mutet da ein wenig absurd an, wenn jede Mineralwasserflasche im Handgepäck in einem aufwendigen Kontrollprozess beim Sicherheitscheck entdeckt und einkassiert wird, während buchstäblich auf der anderen Seite des Flughafens der Zugang offen ist. Zumal der Airport nicht zum ersten Mal bundesweit Schlagzeilen schreibt. Im Sommer waren es die Sektierer der „Letzten Generation“, die nur bewaffnet mit einem Bolzenschneider auf das Rollfeld spazieren und den Betrieb über Stunden lahmlegen können. Der Schutz der vermeintlich „kritischen Infrastruktur“ ist in einem kritischen Zustand.

Flughafen Hamburg: Zeiten haben sich geändert – auch in Sachen Sicherheit

Ein Maschendrahtzaun mag in den Fünfzigerjahren ausreichend Schutz geboten haben – in einer Welt, die gerade leicht wahnsinnig wird, reicht er nicht mehr aus. Denn neben der wachsenden Gefahr durch islamistische Terroristen gibt es eben auch noch die ganz gewöhnlichen Wahnsinnigen, bei denen der Streit ums Sorgerecht auf dem Flughafengelände eskaliert.

Wo jeder Irrer in sozialen Netzwerken und Medien eine maximale Öffentlichkeit bekommt, bringt er Gleichgesinnte möglicherweise auf andere dumme Gedanken. Gelegenheit macht nicht nur Diebe, sondern offenbar auch Flughafenstörer.

„Letzte Generation“ zeigte doch schon die Mängel am Airport auf

Zum einen zeigt sich nun, dass der Flughafen nach der Besetzung durch die „Letzte Generation“ seine Hausaufgaben nicht gemacht hat: Er muss nachrüsten und für die Zukunft ausschließen, dass das Rollfeld für jedermann erreichbar ist.

Zum anderen aber ist das Bundesinnenministerium gefordert. Der Vorfall von Fuhlsbüttel reiht sich ein in eine Kaskade von Sicherheitslücken, welche die deutsche Infrastruktur zuletzt erschüttert haben. Gleich mehrfach konnten Linksextremisten in den vergangenen Monaten sensible Kabelschächte in Brand setzen und damit die Deutsche Bahn über Stunden lahmlegen. Hackerangriffe auf staatliche Stellen und öffentliche Dienstleister gibt es mittlerweile mit unschöner Regelmäßigkeit. Und der Angriff auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 zeigt, dass solche Attacken inzwischen Teil hybrider Kriegsführung sind.

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Unsere Welt, so lautet die bittere Erkenntnis, ist nicht nur weniger sicher, als sie uns lange zu sein schien. Sie ist in Zeiten der Digitalisierung auch anfälliger geworden. Es wird niemals 100-prozentige Sicherheit geben, das ist klar. Aber Richtung 99,9 Prozent müssen wir wieder kommen: Maschendrahtzäune und leicht erreichbare Kabelschächte reichen als Standard heute nicht mehr aus. Leider.