Hamburg. Vertrauensmann muss Ende des Monats gehen – Antrag wurde abgelehnt. Nachfolger nicht in Sicht. Welcher Vorwurf im Raum steht.
In der kommenden Woche am Freitag ist Jörg Stahls großer Tag. Der 17. November. 60 Jahre. Sechs null. Wenn das kein Grund zum Feiern ist. Doch so richtig zum Feiern ist dem Vollzugsbeamten der Feuerwehr nicht. Und das hat einen ungewöhnlichen Grund. Denn nur zwei Wochen nach seinem 60. Ehrentag ist schon wieder ein besonderer Tag: Stahls erster Tag als Ruheständler. Dabei ist für den Beamten, der seit acht Jahren Hamburgs Gesamtvertrauensperson für Schwerbehinderte ist, an Ruhe derzeit überhaupt nicht zu denken.
Der Hintergrund: Gerne würde Stahl sein Amt als Gesamtvertretung der Schwerbehinderten in Hamburg für zwei weitere Jahre ausüben, da er sich den beeinträchtigten Menschen und auch seinen Wählern verpflichtet fühle, sagt Stahl, der gerade erst vor wenigen Monaten für eine neue Amtszeit von drei Jahren gewählt wurde. Sein Problem: Das Personalamt, das in dieser Frage zuständig ist, will das nicht. Der offizielle Grund: Stahl ist dann 60 Jahre alt und als Feuerwehrbeamter damit im Rentenalter. Der inoffizielle Grund: Stahl ist unbequem, nervig, eckt an. Er vertritt 4852 Schwerbehinderte in Hamburgs Behörden – und geht dabei im Sinne seiner Klienten auch keinem Konflikt aus dem Weg.
Schwerbehindert in Hamburg: vom 1. Dezember an fällt Gesamtvertretung weg
Nun könnte man meinen, dass die ganze Geschichte schnell erzählt ist. 60 Jahre sind 60 Jahre, Regeln sind Regeln, und nun wird Stahl eben ab dem 1. Dezember durch einen Nachfolger ersetzt. Doch genau an dieser Stelle wird die Geschichte spannend. Denn einen Nachfolger gibt es nicht – und es ist auch keiner in Sicht. Zudem will auch Stahls Stellvertretung aus Protest gegen das Vorgehen zum 1. Dezember zurücktreten, was bedeutet, dass es nach dem 30. November vorerst keine Schwerbehindertenvertretung mehr in Hamburgs Behörden gibt – und was nun sogar vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden könnte.
„Meine große Sorge ist, dass es für mindestens sechs Monate ein Vakuum auf dieser Position geben würde, wenn ich tatsächlich ab dem 30. November in den Ruhestand müsste. Viele Dienststellen ohne gewählte Schwerbehindertenvertretungen in Hamburg, für die ich mich einsetze, wären dann komplett ohne Vertretung“, sagt Stahl, dessen Stellungnahme bereits Mitte Oktober bei Gericht eingegangen ist. „Unzählige Themen, an denen wir arbeiten, würden liegen bleiben. Gerade in der heutigen Zeit, in der man doch immer über Inklusion spricht, wäre das aus meiner Sicht ein fatales Signal. Ich halte das Vorgehen des Personalamtes und der neuen Amtsleitung in der Feuerwehr für nicht wirklich sozial.“
Personalamt in Hamburg will dabei bleiben, Jörg Stahl in den Ruhestand zu schicken
Das Personalamt sieht den Sachverhalt naturgemäß anders. „Die aktuelle Gesamtvertrauensperson, Herr Stahl, ist Beamter in der Laufbahn der Fachrichtung Feuerwehr und tritt gemäß § 114 Satz 2 i.V.m. § 108 HmbBG mit dem Ende des Monats, in dem er das 60. Lebensjahr vollendet, in den Ruhestand“, heißt es ganz nüchtern in einer schriftlichen Stellungnahme von Volker Wiedemann, dem Leiter Personalamt. Und weiter im Beamtendeutsch: „Sowohl die Schwerbehindertenvertretungen der Dienststellen als auch die Gesamtschwerbehindertenvertretung werden nach den Bestimmungen des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB IX) und der hierzu erlassenen bundesweit geltenden Wahlordnung der Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO) gewählt.“
Alles, was Wiedemann schreibt, ist richtig. Zumindest in der grauen Theorie. In der Praxis bedeutet das kompromisslose Vorgehen des Personalamtes, dass ein Stahl-Nachfolger, sofern denn einer gefunden wird, voraussichtlich erst im kommenden Sommer das so wichtige Amt aufnehmen könnte – was nun wiederum die zahlreichen Schwerbehindertenvertretungen der unterschiedlichen Behörden auf den Plan ruft.
Droht der Inklusion in Hamburg ein Rückschlag?
Ria Matthes, die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen der Finanzbehörde, sagt beispielsweise: „In Hamburg haben wir über Jahrzehnte sehr viel für behinderte und gleichgestellte Menschen erreicht, damit diese Menschen es nicht nur im Berufsalltag ein wenig leichter haben. Ich mache mir große Sorgen, dass es bei diesen Errungenschaften einen Stillstand geben könnte, sollte Herr Stahl tatsächlich Ende des Monats in den Ruhestand geschickt werden.“
Matthes‘ Kritik geht sogar noch weiter: „Zuletzt hat sich die Situation der Menschen mit Behinderungen in Hamburg schon ein wenig verschärft. Subjektiv habe ich das Gefühl, dass es diesen Menschen nach vielen Jahren der positiven Entwicklung nun leider wieder das Leben schwerer gemacht wird. Jede kleine Entscheidung ist immer ein großer Kampf, die Lobby der Menschen mit Beeinträchtigungen ist in dieser Hinsicht sehr gefragt.“
6,62 Prozent in den Hamburger Behörden sind schwerbehindert
Ein Vorwurf, den Wiedemann aus dem Personalamt so nicht stehen lassen will. „Für die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) als Arbeitgeberin bzw. Dienstherrin ist die Inklusion ein wichtiges Anliegen. Dies spiegelt sich in der konstant hohen Beschäftigungszahl schwerbehinderter Menschen und diesen gleichgestellten behinderten Menschen bei der FHH wider“, lässt der Chef des Personalamtes in seiner schriftlichen Stellungnahme ausrichten. Und tatsächlich: 2022 lag die Quote mit 6,62 Prozent wieder deutlich über der gesetzlich vorgeschriebenen Quote von fünf Prozent und auch oberhalb der Selbstverpflichtung des Senats von sechs Prozent.
Doch abseits der nackten Zahlen ergeben sich aus dem konsequenten Vorgehen des Personalamtes weitere Fragen. Denn nach Abendblatt-Informationen soll Stahl im vergangenen Mai von der neuen Feuerwehrführung in einem persönlichen Gespräch signalisiert worden sein, dass ein Antrag von ihm positiv beschieden werden würde. Denn laut Beamtengesetz kann der Ruhestand verschoben werden, wenn übergeordnete Gründe dafür sprechen, wie es im Fall von Stahl ja ist. Dem widerspricht Wiedemann: „ Das Verfahren zur Wahl einer Nachfolgerin bzw. eines Nachfolgers ist gesetzlich geregelt. Außergewöhnliche Gründe, die die ordnungsgemäße Anwendung dieser gesetzlichen Regeln gefährden, sind nicht bekannt.“
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Offenbar nach Einspruch des Personalamtes folgte also im Oktober die Kehrtwende der Feuerwehr. „Ich war sehr überrascht darüber, dass mir vor Kurzem mündlich von der neuen Amtsleitung der Feuerwehr mitgeteilt wurde, dass mein Antrag nicht entsprochen werden soll“, sagt Stahl im Gespräch mit dem Abendblatt. Und weiter: „Ich habe bis heute keinen schriftlichen Ablehnungsbescheid bekommen.“
Diesen will Stahl nun auf dem gerichtlichen Weg einklagen. „Es handelt sich um eine Angelegenheit, die schwierige Rechtsfragen aufwirft“, heißt es in der Gerichtsstellungnahme, die dem Abendblatt vorliegt.
Vorwurf: Muss Stahl gehen, weil er für die Hamburger Behörden zu unbequem ist?
Ria Matthes hofft derweil weiter auf ein Last-Minute-Einlenken. „Herr Stahl ist der beste Mann, den man sich auf dieser Stelle wünschen könnte. Er hat jahrelange Erfahrung – sowohl in Hamburg als auch auf Bundesebene. Man könnte ihn gar nicht von jetzt auf gleich ersetzen. Aber natürlich ist Herr Stahl auch unbequem, weil er sich immer für seine Klienten einsetzt. Das könnte ihm nun zum Verhängnis werden.“
Ob es wirklich so kommt, ist noch ungewiss. Klar ist momentan nur eines: Unabhängig von dem Ärger und seiner persönlichen Zukunft als Vertreter der Schwerbehinderten in Hamburg will Jörg Stahl am nächsten Freitag trotzdem sein Geburtstag mit seiner Familie zelebrieren. Man muss nun mal die Feste feiern, wie sie fallen.