Hamburg. In Hamburg und dem Norden nur Notdienste. Bei Medikamenten-Engpässen erhalten Apotheker unerwartete Hilfe. Krisentreffen gefordert.
- Apotheken in Hamburg und ganz Norddeutschland waren am Mittwoch aus Protest geschlossen.
- Die Aktion richtete sich gegen die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach.
- Sparmaßnahmen und Personaleinsparungen sorgen für Ärger.
Hamburg. An diesem Mittwoch wird der Großteil der Apotheken in Hamburg und ganz Norddeutschland geschlossen sein. Der ganztägige Protest richtet sich gegen die Gesundheitspolitik von Karl Lauterbach (SPD), die Sparambitionen der gesetzlichen Krankenkassen und die dadurch erheblich geschmälerten Einnahmen.
Von den rund 370 Apotheken in Hamburg würden voraussichtlich 90 Prozent bei den Protestaktionen mitmachen, sagte der Präsident der Apothekerkammer, Kai-Peter Siemsen, dem Abendblatt. Die Notdienste sollen dafür sorgen, dass dennoch dringend benötigte Medikamente verfügbar seien.
Apotheke geschlossen: In Hamburg und Schleswig-Holstein ist Protest geplant
Die Apothekerverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein haben zu dem Protesttag aufgerufen, zudem werden in Schwerin und Hannover bei Kundgebungen möglicherweise sogar Tausende Demonstranten erwartet. Sie beklagen, dass die Vergütungen für verschreibungspflichtige Medikamente seit Jahren nicht gestiegen seien. Gleichzeitig liefen die Kosten für das Personal und die Mieten inflationär davon.
Die Krankenkassen verlangen bei Arzneimitteln hohe Rabatte. Allerdings wies etwa das wissenschaftliche Institut der AOK „pünktlich“ zum Apothekerprotest darauf hin, dass die Nettokosten für Arzneimittel im vergangenen Jahr wieder ein Rekordhoch (52,9 Milliarden Euro) erreicht hätten. In zehn Jahren seien diese Ausgaben um 88 Prozent gestiegen.
Protestaktion: Apotheken in Hamburg am Mittwoch zu
Doch dieser Anstieg ist vor allem auf patentgeschützte Medikamente zurückzuführen. Die Tabletten, Säfte und Salben, die aktuell überall fehlen, sind zumeist andere. Sie stammen in der Mehrzahl aus den Pillen-Produktionshochburgen in Indien und China. Kammerpräsident Siemsen sagte, glücklicherweise gebe es derzeit noch keine Infektionswelle wie im vergangenen Jahr. Dennoch fehlten bestimmte Antibiotika (Amoxicillin), einige Insuline für Diabetiker und nach wie vor Krebsmittel. Die offiziellen Lieferengpassmeldungen des Bundesgesundheitsministeriums zeigten am Dienstagmittag 501 fehlende Medikamente. Siemsen schätzt, dass es tatsächlich noch viel mehr seien.
Lauterbachs neues Gesetz gegen diese Lieferengpässe hat nach Ansicht der Apothekerverbände weder kurz- noch mittelfristig eine Wirkung gezeigt. Siemsen sagte: „Es ist schlimmer als je zuvor.“ Die Apotheker stecken in einem engen Korsett. Oft dürfen sie nicht vom Rezept eines Arztes abweichen, obwohl es ein vergleichbares und lieferbares Medikament gibt. Dann muss der Patient zurück zum Arzt, ein neues Rezept besorgen und wieder zur Apotheke. Wenn er Pech hat, hat ein anderer das gerade noch lieferbare Medikament ihm vor der Nase weggekauft.
Karl Lauterbach plant: Apotheken ohne Apotheker
Über mehrere Stunden ihrer wöchentlichen Arbeitszeit telefonieren und mailen sich Ärztinnen und Ärzte sowie Apotheken-Mitarbeiter die Hände wund, um dringend benötigte Arzneien für die Patienten zu bekommen. Die Kranken sind verunsichert, wenn sie plötzlich eine gänzlich andere Packung bekommen, und brauchen Beratung. Dasselbe gilt für Patienten, die von verschiedenen Ärzten mehrere Medikamente verschrieben bekommen – und ihnen erst in der Apotheke erklärt wird, dass einiges sich nicht miteinander verträgt.
Deshalb stoßen den Apothekern nun Pläne von Lauterbach auf, nach denen es künftig in sozial schwächeren Stadtteilen ohne ausreichend Apotheken oder Arztpraxen nun „Filialen“ als Abgabestellen geben soll. Hier würde kein Apotheker mehr arbeiten, es würden keine Rezepturen mehr selbst zusammengemischt, und einen Notdienst gäbe es hier ebenso wenig. Der Apothekerverband Abda befürchtet eine erhebliche Einschränkung der medizinischen Versorgung.
Einschränkungen für Patienten auch bei Ärzten
Das sehen auch die niedergelassenen Ärzte so, die von Parallelstrukturen wie Gesundheitskiosken ohne Ärzte nichts halten. In einer gemeinsamen Protestnote gegen Lauterbach wandten sich Verbände und Kassenärztliche Vereinigungen auch an Bundeskanzler Olaf Scholz. Der Bundesvorsitzende der Kassenärzte, Dr. Andreas Gassen sagte: „Wir wissen, dass viele der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen schon jetzt die Notwendigkeit sehen, ihr Leistungsangebot einzuschränken. Minister Lauterbach hat seinerzeit versprochen, unter ihm werde es keine Leistungskürzungen geben. Tatsächlich läuft seine ganze Politik aber genau darauf hinaus, wenn er die ambulanten Strukturen mit selbstständigen Freiberuflern als Rückgrat der Versorgung zerstört.“
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Nach der „Katastrophe“ um fehlende Medikamente in der vergangenen Erkältungssaison in Hamburg hat die rot-grüne Rathaus-Koalition jetzt gemeinsames Handeln angemahnt. Die Fraktionen bringen am Mittwoch einen Antrag in die Bürgerschaft, der zu einem Krisengipfel mit Behörden, Apotheken, Ärzten und Hamburger Krankenkassen führen soll. Was auf der Bundesebene angestoßen worden sei, sei nur ein Anfang. Der Arzneimittelengpass müsse kurzfristig lokal bekämpft werden.
Apotheker in Not: Medikamenten-Gipfel in Hamburg
In dem Antrag heißt es: „Zudem haben auch bei den Apotheken die finanziellen Belastungen, beispielsweise aufgrund von steigenden Personalkosten, zugenommen. Wachsende Anforderungen an die Arzneimittelversorgung durch neue Therapiemöglichkeiten und individualisierte Medizin, der demografische Wandel und die Zunahme von chronischen Erkrankungen kommen hinzu. Die Situation der Apotheken ist demnach angespannt und muss in Hamburg insgesamt in den Fokus genommen werden, denn Apotheken sind elementar, wenn es um die Sicherstellung von medizinischer Behandlungsqualität, Arzneimittelsicherheit und die Verringerung von Fehlmedikationen geht.“
Die Ärztin und Grünen-Gesundheitspolitikerin Dr. Gudrun Schittek sagte: „Zwar können wir hier vor Ort keine Lieferengpässe verhindern, aber wir wollen bestmöglich vorbereitet sein, damit alle Menschen, die Medikamente benötigen, auch versorgt werden können.“