Hamburg. Aktionsbündnis fordert mehr Unterstützung von der Sozialbehörde. Was die Teilnehmer zudem der Polizei Hamburg vorwerfen.

Ein paar Taxifahrer, einige Touristen und auch ein Polizist schauten genau hin, als um Punkt 11 Uhr am Dienstagvormittag am Hamburger Hauptbahnhof orangefarbene Westen angezogen und große Plakate ausgerollt wurden. Diesmal waren es aber nicht die Aktivisten von der „Letzten Generation“, die auf den Klimawandel aufmerksam machten.

Sondern Mitglieder des Hamburger Aktionsbündnisses gegen Wohnungsnot demonstrierten am Heidi-Kabel-Platz. „Wir wollen auch auf die Vertreibungspolitik des Senats aufmerksam machen“, sagte Erik Horn vom Jugendsozialprogramm Hude Hamburg.

Obdachlosigkeit in Hamburg: Aktionsbündnis kritisiert Vertreibungspolitik

Im Gegensatz zu den zahlreichen Taxifahrern war zwar kein Mitglied des Senats gekommen, aber dank der zahlreichen Kamerateams vor Ort dürfte die Aktion zumindest nicht ungesehen und ungehört geblieben sein. „Wir fordern seit Jahren vom Senat, dass es mehr Ausstattung und mehr Unterkünfte für Obdachlose geben muss. Das Ziel, bis ins Jahr 2030 Obdachlosigkeit überwunden zu haben, scheint uns in so weiter Ferne“, sagte Horn, der besonders Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer zu mehr Sichtbarkeit und mehr Handeln aufrief.

Was Horn und seine rund 40 Mitstreiter vor Ort besonders ärgert: Seit einigen Monaten würden Polizei und Ordnungsdienste verschärft gegen bettelnde und obdachlose Menschen rund um den Hauptbahnhof vorgehen. „Es ist die falsche Politik, die Not der Menschen aus unserem Blickfeld drängen zu wollen“, heißt es in einem Flyer, der vor Ort an Passanten verteilt wurde. Von der Sozialbehörde war niemand zur Kundgebung gekommen.

Sozialbehörde bekräftigt, dass man mit zahlreichen Maßnahmen helfen würde

Auf Abendblatt-Nachfrage reagiert die Sozialbehörde allerdings mit einem ausführlichen Statement. „Der Senat der Freien- und Hansestadt unternimmt zahlreiche Maßnahmen, um Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht sind, zu helfen“, bekräftigt ein Behördensprecher. Es gebe ein umfangreiches und ausdifferenziertes System der Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe.

So startet auch das Winternotprogramm am 1. November, was allein wegen der Flüchtlingswelle in diesem Winter verstärkt benötigt werden dürfte. Laut Statistischem Bundesamt leben 32.385 Menschen (Stand: 31. Januar) in Hamburger Wohnungsunterkünften. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es 18.848 Menschen. Wobei in dieser Zahl weder Obdachlose noch Menschen berücksichtigt sind, die in der Erstaufnahme wohnen. „Der Bedarf ist also noch viel größer“, sagte Erik Horn vom Aktionsbündnis. Die Sozialbehörde geht etwas von 2000 Obdachlosen in Hamburg aus.

Linke sagt: „Hamburg ist zur Hauptstadt der Wohnungslosen geworden.“

„Es heißt ja vom Senat schon seit längerem, dass auch in Hamburg die Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis zum Jahre 2030 überwunden werden soll. Doch spürbar ist in den vergangenen Jahren nichts passiert. Im Gegenteil: Die Zahlen gehen nach oben!“, kritisiert Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken. „Hamburg ist zur Hauptstadt der Wohnungslosen geworden.“

Dem entgegnet die Sozialbehörde, dass die verschärfte Situation von Wohnungslosen „eine direkte Folge der stark gestiegenen Fluchtbewegungen ist, die unter anderem durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verursacht wurde, aber auch durch zahlreiche anderer Konflikte auf der Welt.“ Man habe die finanziellen Mittel für die sozialräumliche Integration in den Stadtteilen von 5,6 Millionen Euro auf 9,6 Millionen Euro erhöht und zusätzlich einen mobilen Gesundheitsdienst in Höhe von 6,5 Millionen Euro eingerichtet.

Obdachlosigkeit in Hamburg – Schlotzhauer: „Aggressives Betteln ist nun einmal nicht erlaubt“

Auch die Frage des Bettelverbots wurde intensiv am Dienstagvormittag debattiert. „Aggressives Betteln ist nun einmal nicht erlaubt“, hatte Sozialsenatorin Schlotzhauer in einem Abendblatt-Interview vor einem halben Jahr gesagt. Vom Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot hieß es dagegen, dass es offiziell eben kein Bettelverbot in der Innenstadt gebe. Trotzdem würden Obdachlose und auch mehrere Initiativen und Hilfsvereine systematisch vom Hauptbahnhof vertrieben. „Das Hamburger Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot fordert ein Ende dieser diskriminierenden Politik“, heißt es in dem Flyer.

Zuletzt hatten sich mehrere private Initiativen und Vereine einen regelrechten Kleinkrieg mit dem Bezirksamt Mitte geliefert, wo es um die Frage ging, wer rund um den Hauptbahnhof eigentlich welche Hilfe leisten soll und darf. Dabei waren allerdings auch mehrere zweifelhafte Hilfsangebote ins Visier des Bezirksamts geraten, die – so der Vorwurf aus der Politik – nicht wirklich helfen würden.

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„Unser Anliegen ist ein politisch komplexes Thema“, sagte Frauke Meyn von der Beratungsstelle Barmbek. „Aber klar ist, dass wir mehr sozialen Wohnungsraum brauchen. Gerade im Winter wird die Not wieder sehr groß sein.“ Deswegen wollen auch die Linken einen Antrag in die nächste Bürgerschaftssitzung einbringen, das Winternotprogramm in diesem Winter ganztägig zu öffnen.

Nach einer halben Stunde wurden die orangefarbenen Westen dann am Hauptbahnhof wieder eingesammelt, die Plakate eingerollt. Der Kampf gegen Obdachlosigkeit in diesem Winter hat dagegen gerade erst begonnen.