Hamburg. Vor Krisengipfel zwischen Bezirksamt und Verein „Schau nicht weg“ kochten Emotionen hoch. Dann meldeten sich die St. Pauli Ultras.
Vor dem Treffen hatte wohl keiner der Beteiligten damit gerechnet, aber dann stieg am Mittwoch doch noch weißer Rauch auf: Nach einem wochenlangen Konflikt um die Verteilung von Lebensmitteln an Obdachlose am Hauptbahnhof haben sich Vertreter des Bezirks Mitte und des Vereins Schau nicht weg e.V. auf eine gemeinsame Lösung verständigt. Der Verein, der zuletzt immer wieder direkt vor dem Hauptbahnhof Spenden ausgab und damit größere Flächen des ohnehin stark frequentierten Geländes okkupierte, hat sich bereiterklärt, künftig an einem anderen Ort zu arbeiten.
Am Mittwochnachmittag schauten sich Vertreter des Bezirks und Jule Wennmacher vom Verein drei Standorte in der weiteren Umgebung des Hauptbahnhofs an, wobei Wennmacher einen Seniorentreffpunkt am Hansaplatz zu präferieren scheint. „Wir klären noch Detailfragen, haben uns aber grundsätzlich auf die Nutzung von Räumlichkeiten eines Seniorentreffs am Hansaplatz verständigt“, sagte ein Sprecher des Bezirksamts Mitte dem Abendblatt.
Hauptbahnhof Hamburg: Konflikt um Obdachlosenhilfe und Neugestaltung des Drob Inn
Damit ist nun also ein vorläufiger Schlusspunkt unter den seit Wochen schwelenden Streit zwischen Bezirksamt Hamburg-Mitte und der Obdachlosenhilfe Schau nicht weg e.V. gesetzt. Hintergrund des Konflikts ist, dass die Sozialbehörde, das Bezirksamt und dessen Leiter Ralf Neubauer die Gegend rund um das Beratungs- und Gesundheitszentrum Drob Inn neu gestalten wollen. Während die Behörden ihre Hilfsangebote zentrieren und besser koordinieren wollen, beharren mehrere Vereine bei ihrer Sichtweise, dass ihre Hilfsangebote nur an den momentanen Standorten funktionieren würden.
Tiefpunkt der Auseinandersetzung war die polizeiliche Konfiszierung von Lebensmittelspenden vor wenigen Tagen, die vom Verein medienwirksam in Szene gesetzt wurde. Der anschließende Tenor: Die böse Politik will die guten Helfer vom Hauptbahnhof vertreiben.
St. Pauli Ultras solidarisieren sich erst – und kritisieren anschließend den Verein
Doch ist das wirklich so? Recherchen vom Abendblatt haben ein differenzierteres Bild ergeben. Denn schon vor dem Entscheidungstreffen zwischen Bezirksamt und Jule Wennmacher von der Initiative Schau nicht weg e.V. kochten am Dienstagmorgen die Emotionen hoch. Grund dafür war ein Posting der Ultras vom FC St. Pauli, die noch am Wochenende beim Spiel gegen Schalke 04 (3:1) zwei Solidarisierungstransparente entrollt hatten, auf denen in wenig feinen Worten stand: „Hamburg Du Stück Scheisse! Solidarität mit der Obdachlosenhilfe!“ Zudem verbreiteten die Ultras einen Spendenaufruf für Wennmachers Verein Schau nicht weg e.V., den St. Paulis Fans am Dienstag – ebenfalls mit drastischen Worten in der Begründung – wieder aus dem Netz nahmen.
„Wir haben uns entschieden, unseren Post zur Solidarität mit der Obdachlosenhilfe zu löschen, um den darin enthaltenen Spendenaufruf aus dem Internet zu nehmen“, hieß es in dem Post auf X (vorher Twitter). Und weiter: „Als uns bewusst wurde, dass die Organisation, die dahintersteht, problematisch ist und rechte Hetze bei Facebook betreibt, wollten wir uns dazu verhalten. (...) Wir wollen einer Organisation, die rassistische Propaganda teilt, keinerlei Reichweite geben.“
Schau nicht weg e.V. in Hamburg spielt Flüchtlinge und Obdachlose gegeneinander aus
Hintergrund der Stellungnahme war ein Meinungsbeitrag des Vereins vom Wochenende, in dem die Bedürfnisse und Interessen von deutschen Obdachlosen und Flüchtlingen offen gegeneinander ausgespielt wurden. Wörtlich hieß es in dem (mittlerweile gelöschten) Facebook-Eintrag: „Fakt ist, dass in Armut lebende Deutsche, davon ein sehr hoher Prozentsatz an Rentnerinnen und Rentnern, von unseren Sozialämtern SCHLECHTER behandelt werden als Flüchtlinge.“ Und: „DEUTSCHE, die Grundsicherung oder Bürgergeld beziehen, erhalten von den Sozialämtern keine Leistungen für Strom und es gibt Obergrenzen für die Leistungen der andere Nebenkosten, wie Heizung. FLÜCHTLINGE erhalten von den Sozialämtern Leistungen für alles.“
Auch die Kommentare unter dem problematischen Eintrag sprachen Bände. Auf einen kritischen Eintrag wiederholte Schau nicht weg e.V., dass Migranten alles bezahlt bekämen, deutsche Rentner aber nicht mit ihren Renten auskommen würden. Ein anderer Benutzer schrieb an den Verein gerichtet: „Zu meinem eigenen Leidwesen muss ich gestehen, dass ich früher gegen die AfD gewesen bin. Nach langer und gründlicher Information hat sich das grundlegend geändert. Ich werde nachfragen, ob die AfD Euch auch unterstützen kann.“
Hamburger Obdachlosenhilfe Schau nicht weg e.V. relativiert Facebook-Eintrag
Als das Abendblatt Jule Wennmacher mit den Postings konfrontierte, erklärte diese, dass ihre Nachrichten missverstanden worden seien. In dem Gespräch wiederholte Wennmacher zwar erneut, dass deutsche Rentner immer weniger hätten und Flüchtlinge sehr viel Unterstützung erhielten, betonte aber auch, dass sie keine rechten Meinungen verbreiten wollte und ein Erstarken der AfD nicht befürworte.
Innerhalb der Szene der Initiativen rund um den Hauptbahnhof werden Wennmacher diese Worte aber nur bedingt abgenommen. Das Abendblatt sprach mit einer Reihe von Vereinen und Initiativen, die allesamt starke Vorbehalte gegen den Verein Schau nicht weg e.V. haben. Eine davon ist Gülay von der Initiative GoBanyo, die Obdachlosen unter anderem einen Duschbus zur Verfügung stellen. „Struktureller Rassismus zieht sich sowohl durch zivilgesellschaftlich organisierte Initiativen, als auch durch staatlich geförderte Hilfsprogramme. Wir dürfen nicht qua Geburtsort oder Hautfarbe entscheiden, wer einen sicheren Schlafplatz, medizinische Versorgung oder ein Essen zum Überleben braucht und wer nicht. Dass wir es uns nicht leisten können, allen auf der Straße überlebenden Menschen zu helfen, ist eine Lüge.“, sagt die Mitgründerin von GoBanyo.
Hauptbahnhof Hamburg: Auch andere Initiativen kritisieren Schau nicht weg e.V.
Der schwere Vorwurf der ausländerfeindlichen Einstellungen ist aber nicht der einzige Kritikpunkt, der von anderen Initiativen und der Politik Schau nicht weg e.V. gemacht wird. Im Gegensatz zu den meisten anderen Hilfsangeboten sei Schau nicht weg e.V. nicht wirklich vernetzt, würde an Arbeitskreisen nicht teilnehmen und sei bei den Angeboten auch nicht zielführend. Behörden, Kirchen, bürgernahe Beamte, Politiker und andere Organisationen, so der mehrfach geäußerte Vorwurf, würden das Vorgehen des Vereins und die unkontrollierte Verteilung am Hauptbahnhof durchweg kritisch betrachten.
Auch Sozialpolitiker Lothar Knode von den Grünen in Mitte kritisiert: „Die Verteilung muss man nicht dort machen, wo es sowieso überfüllt ist. Es gibt in Hamburg 20 Orte, an denen Obdachlose Speisen bekommen. Und mit der AfD liebäugelnde Äußerungen des Vereins bei Facebook, bei denen Menschen mit wenig Geld und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt werden, sind mir unverständlich und zuwider.“
- Hauptbahnhof Hamburg: Neues Verbot – Helfer von Räumung „schockiert“
- Obdachlose in der City – Tourismusverband fordert Lösung
- Melanie Schlotzhauer: „Aggressives Betteln ist nicht erlaubt“
Wennmacher betonte dagegen mehrfach, dass sie nicht mit AfD-Positionen liebäugele, sie aber erklären wolle, warum immer mehr Menschen die AfD wählten. Sie selbst sei unpolitisch, sagte sie, auch wenn sie sich bei Facebook für das Engagement der FDP bedankt habe. Doch auch einer ihrer Schlusssätze bei Facebook klang zumindest höchst problematisch: „Wir wollen auch in Zukunft in einer ,lupenreinen‘ Demokratie leben (...).“