Hamburg. Jedes dritte Kind in Hamburg betroffen. Parteien fordern: Für Kinder wie Majar (4) sollte es deutlich mehr Betreuungsstunden geben.
Wer schon einmal eine neue Sprache außerhalb der Schule erlernt hat, weiß: je früher, desto besser. Und vor allem: Je häufiger die neue Sprache trainiert wird, desto besser. Welcher Ort wäre also geeigneter dafür als der Kindergarten oder die Kindertagesstätte? Ob im Spiel mit Freunden oder beim Mittagessen mit Erziehern: Kaum etwas lässt schneller lernen als sprachliche Förderung, die fest im Alltag integriert ist.
Das sieht auch die Stadt Hamburg so. Laut Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) ist Sprache „ein zentraler Schlüssel für die Bildungs- und Chancengerechtigkeit aller Hamburger Kinder“. Dies gilt umso mehr für Kinder aus Familien, in denen Deutsch nicht als Muttersprache gesprochen wird, wie die Senatorin erst kürzlich beim Besuch einer Kita auf der Veddel sagte. Sollte Hamburg also nicht alles daran setzen, sprachlich alle Kinder bestmöglich auf das Leben und den Schulbeginn vorzubereiten, ganz gleich aus welchem Elternhaus sie kommen und welche Sprache ihre Eltern sprechen?
Kitas Hamburg: Wie sinnvoll sind fünf Stundenfür die Sprachförderung?
Abdelkrim Louafi würde sich das zumindest wünschen. Der 46-jährige gebürtige Algerier lebt zusammen mit seiner Frau und seinen drei Kindern seit mittlerweile 23 Jahren in Hamburg-Harburg. Sowohl er als auch seine Frau haben bereits Deutschkurse besucht und sprechen mittlerweile auf B1-Niveau Deutsch, doch trotz aller Mühe nicht besser. Deshalb und weil sie ihre Muttersprache pflegen will, spricht die Familie zu Hause weitestgehend arabisch.
Und das ist ein Problem. Zumindest für seine Kinder, findet Louafi: „Ich möchte, dass meine Kinder besser Deutsch sprechen als ich. Damit sie einen Job finden und es einmal leichter haben als wir.“ Denn Louafis Situation ist nicht ganz einfach: Wegen eines Bandscheibenvorfalls ist der gelernte Autolackierer aktuell krankgeschrieben und nicht in der Lage, seinem früheren Job nachzugehen. Seine Frau Elhamel, die erst vor knapp einem halben Jahr das jüngste Kind zur Welt gebracht hat, befindet sich noch im Mutterschutz.
Acht Stunden Kita nur bei „dringendem Bedarf“
Weil die junge Familie keine neue Bleibe findet, wohnen die fünf aktuell auf 41 Quadratmetern – das bedeutet wenig Raum für Rückzug und viel Raum für Konflikte. Für ihre viereinhalbjährige Tochter Majar wünscht sich das Ehepaar deshalb, dass sie anstatt wie bisher fünf Stunden täglich acht Stunden in die Kita gehen kann. „Dort kann sie mit ihren Freunden zusammen sein und viel besser und schneller Deutsch lernen als bei uns zu Hause“, sagt Louafi.
Doch dieser Wunsch bleibt aktuell nur ein Wunsch. Rechtlich stehen der viereinhalbjährigen Majar nämlich wie allen anderen Hamburger Kindern zunächst einmal fünf Stunden kostenlose Grundbetreuung zu. Einen Gutschein über acht Stunden bekäme das Ehepaar für ihre Tochter laut Sozialbehörde nur dann, wenn es die Betreuungssituation erfordere und ein „dringender sozial oder pädagogischer Bedarf“ bestünde. „Vermeintliche Defizite deutscher Sprachkenntnisse“ seien kein hinreichender Grund, befindet das Bezirksamt Harburg. Hier hatte das Ehepaar bereits einen Antrag auf acht Stunden gestellt, den das Amt jedoch ablehnte.
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Damit Majar dennoch acht Stunden täglich in die Kita gehen könnte, müssten die Louafis die Kosten also selbst tragen. Für die Sternipark Kita in Harburg, die Marja besucht, wären das knapp 210 Euro pro Monat. Geld, das die Familie aufgrund ihrer aktuellen Situation nicht hat.
Um eine „gute Förderung der Deutschkenntnisse“ von Kindern zu gewährleisten und damit auch Bildungsgerechtigkeit herzustellen, seien laut eines Schreibens des Bezirksamts Harburg an das Ehepaar Louafi fünf Stunden „grundsätzlich ausreichend“. Gleichzeitig heißt es jedoch: Jede Sprachförderung bleibe unvollständig, „wenn sie nicht zusätzlich vom Elternhaus unterstützt wird“.
Jedes dritte Hamburger Kind spricht zu Hause kein Deutsch
Im Hinblick auf die Überlastung des Bildungssystems und den akuten Lehrermangel stellt sich die Frage: Tut sich Hamburg auf lange Sicht einen Gefallen, wenn es die Grundbetreuung bei fünf Stunden belässt und damit womöglich sprachliche Defizite der Kinder in Kauf nimmt, die am Ende durch die Vorschulen und Schulen ausgeglichen werden müssen?
Erst kürzlich gab das Statistikamt Nord bekannt, dass der Anteil von Kindern, deren Familien kein Deutsch zu Hause sprechen, bei 32,7 Prozent liegt. Jedes dritte Kind ist also potenziell darauf angewiesen, dass es Förderangebote wie Sprachkitas oder das Kita-Plus-Programm mit seiner alltagsintegrierten Sprachförderung wahrnimmt.
Zwar hat Hamburg bereits 2005 die „Viereinhalbjährigen-Vorstellungen“ eingeführt, bei denen jedes Kind an seiner künftigen Grundschule auch auf seine sprachlichen Fähigkeiten hin überprüft und bei Bedarf zu einer Förderung verpflichtet wird. Doch diese Förderung setzt erst ein, wenn ein „ausgeprägter Förderbedarf in der Sprachentwicklung“ festgestellt wird. Erst dann kommt das Kind in eine Vorschulklasse, und nur in Ausnahmefällen kann eine Kita die Sprachförderung übernehmen.
CDU und Linke für Ausweitung der Grundbetreuung
Sollte Hamburg also noch weit vor der Viereinhalbjährigen-Vorstellung bereits eine maximale sprachliche Förderung der Kinder anstreben? Und ist es richtig, dass nicht Deutsch sprechende Eltern mit entsprechenden Gutachten sozialpädagogischer Fachkräfte oder einer ärztlichen Bescheinigung beweisen müssen, dass ihre Kinder wirklich dringend Sprachförderung benötigen?
Selbst Linke und CDU sind sich – wie sonst eher selten – einig: Beide Fraktionen fordern eine Ausweitung der kostenlosen Grundbetreuung. CDU-Fraktionschef Dennis Thering plädiert für zehn Stunden. Insa Tietjen, kitapolitische Sprecherin der Linksfraktion für acht. „Die Mittel für Kitas wurden im letzten Doppelhaushalt um nur rund ein Prozent erhöht. Die Linksfraktion hat damals deutlich gewarnt: Dieser Haushaltsansatz für die Kita-Träger ist unzureichend und nicht zukunftsfest“, sagt Tietjen.
Hamburgs Kitas sollen Sprachentwicklung fördern
Und auch aus der FDP regt sich Kritik. Die fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein forderte bereits in einem Interview mit dem NDR, die Viereinhalbjährigen-Vorstellung bereits auf Dreieinhalbjährige vorzuziehen. Zum einen seien mangelnde Deutschkenntnisse bei Schuleintritt „für die Schüler ein Problem, weil sie im Unterricht nicht mitkommen.“ Zudem sei es für die Klassenkameraden schwierig, weil kein vernünftiger Unterricht gemacht werden könne.
Ria Schröder, Parteikollegin und bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag, fordert darüber hinaus, mehr Investitionen für Bildungschancen statt Sozialleistungen auszuweiten. „Wenn in einem Haushalt kein Deutsch gesprochen wird oder wenig Förderung stattfindet, benötigen die Kinder besondere individuelle Unterstützung – vor allem in Kitas als wichtige Träger frühkindlicher Bildung.“