Hamburg. Die SPD hält zehn Stunden kostenlose Kita pro Tag für unmöglich. Will Hamburg nicht, oder kann Hamburg wirklich nicht?

Wenn es um die Betreuung von Kindern geht, wird die Debatte schnell emotional. Vielleicht hilft ein nüchterner Blick auf die Zahlen: Wenn Eltern ihr Kind in Hamburg für zwölf Stunden am Tag in die Kita geben, zahlen sie mit 204 Euro pro Monat aktuell weniger als für ein Paar Apple AirPods (299 Euro). Ganz egal, ob sie eine Million oder 100.000 Euro verdienen. Auch das Mittagessen ist damit abgedeckt. Und auch, dass ihre Kleinen jemand tröstet, ihnen die Windel wechselt oder auf den Arm nimmt.

Beziehen die Eltern hingegen Bürgergeld, einen Kinderzuschlag oder Wohngeld, müssen sie gar nichts zahlen. Und verdient jemand wenig Geld, aber immer noch so viel, dass er Beiträge zahlen muss, ist es mit 22 Euro pro Monat in etwa so viel wie für eine Kinder-Eintrittskarte in den Zoo (19 Euro).

Kostenlose Kita für zehn Stunden: Will oder kann Hamburg nicht?

Da sich Deutschland aktuell jedoch in einer Wirtschaftskrise mit einer Inflationsrate von 6,2 Prozent befindet, dürfte ein Zoo-Besuch für viele Familien gerade aber wohl sehr weit weg sein. Doch genau das will der Hamburger Oppositionsführer Dennis Thering (CDU) nun ändern und damit nicht nur finanziell stark belastete Familien entlasten, sondern alle. Und zwar mit einer Ausweitung des kostenlosen Kita-Angebots für zehn Stunden pro Tag. Das forderte er diese Woche in einem Abendblatt-Interview und machte es damit auch gleich zu einem Wahlkampf-Thema für die kommende Bürgerschaftswahl – na wennschon, dennschon.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering machte im Abendblatt einen überraschenden Vorschlag zu Kitas – den die Regierung nicht gänzlich ablehnt.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering machte im Abendblatt einen überraschenden Vorschlag zu Kitas – den die Regierung nicht gänzlich ablehnt. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Nun ist es der Job eines Oppositionspolitikers, die Regierung in ihrem aktuellen Kurs zu kritisieren und Vorschläge zu machen, wie man es denn besser machen könnte. Und der Job der Regierung ist es eben, ihr Vorgehen zu verteidigen. Und so nannte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) den Vorschlag des CDU-Fraktionschefs politisch gesehen „einen schlechten Witz“, erklärte ihn für nicht finanzierbar und attestierte Thering dafür sogar eine gewisse „Wurstverkäufer“-Mentalität. Doch ist der Vorschlag wirklich so wurstverkäuferartig, und lohnt sich nicht doch ein näherer Blick?

Kostenlose Kita: Für Hamburg wirklich nicht finanzierbar?

„Wir brauchen in der Krise keine Schönwetter-Politiker, die allen alles versprechen, und das noch für umsonst.“ Nein, es war nicht der Finanzsenator, der diesen Satz noch hinterherschob. Vielmehr war es der CDU-Politiker und Sozialsenator Dietrich Wersich, der diesen Satz zur Zeit des von Ole von Beust (CDU) geführten schwarz-grünen Senats vor gut 13 Jahren in einem Abendblatt-Interview sagte.

Und warum ist das jetzt wichtig?

Nun, weil der damalige Sozialsenator sich damit gegen die Kritik an der von ihm geplanten Erhöhung der Kita-Gebühren wehrte. Angesichts der weltweiten Finanzkrise und der Rekordverschuldung des Senats war dies eine Maßnahme, die „Senator Herzlos“ („Bild“) und „der Bürgerschreck von Beust“ („Spiegel“) 2010 gegen alle Widerstände seitens der SPD und Zehntausender Eltern durchsetzten, um den Hamburger Haushalt zu entlasten und die Kinderbetreuung weiter auszubauen.

Schwarz-Grün führte Erhöhung der Kita-Gebühren ein

Bis zu 500 Euro mehr pro Kind und Monat waren es, die Besserverdiener für ihre Kinder dadurch bezahlen mussten. Wobei Wersich mit dem Begriff der Besserverdiener „nichts“ habe anfangen können.

Der Widerstand in der Hamburger Bevölkerung war daraufhin so groß, dass der Landeselternausschuss (LEA), der die Interessen der Eltern von Kita-Kindern vertritt, sogar eine Volksinitiative startete. Und das wiederum nutzte ein Sozialdemokrat für sich, der zu diesem Zeitpunkt vom Bund als Landesvorsitzender in die Hamburger Politik zurückkehrte und bereits auf den Bürgermeisterposten schielte.

Es war kein Geringerer als Olaf Scholz (SPD), der die Abschaffung der Kita-Gebühren daraufhin zu einem zentralen Wahlversprechen machte und bereits 2011 mit dem LEA eine schriftliche Vereinbarung darüber traf – ein Vorgehen, das dem SPD-Politiker den Vorwurf der Hybris einbrachte. Im Gegenzug verpflichtete sich der LEA, für den Fall der Einlösung aller Versprechen seine Volksinitiative mit noch weitergehenden Forderungen zu stoppen.

Scholz (SPD) schaffte Kita-Gebühren wieder ab

Und weil Scholz sein Versprechen hielt, schaffte er 2014 die Gebühren ab und machte Hamburg damit zum bundesweiten Vorreiter. Kein anderes Bundesland hatte zu diesem Zeitpunkt ein vergleichbares Angebot für seine Familien. Jetzt ist Scholz Kanzler und hat nicht ganz zufällig mit Grünen und FDP in der Ampelkoalition erst vor Kurzem über das „Kita-Qualitätsgesetz“ vereinbart, die Qualität in der Kindertagesbetreuung zu steigern bis hin zu bundesweiten Standards.

Mit den 86 Millionen Euro, die der Bund diesen Monat deshalb auf das Hamburger Landeskonto überwiesen hat, will die Stadt nun den Fachkraftschlüssel im Krippen- und Elementarbereich verbessern. Ab 2024 soll dieser für Krippenkinder bei 1:4 und bei Elementarkindern bei 1:10 liegen. Zur Orientierung: Aktuell liegt dieser in der Krippe bereits bei 1:4 und bei den Elementarkindern bei 1:10,2.

Zehn Stunden kosten mindestens 80 Millionen Euro mehr

Doch zurück zu den Elternbeiträgen: Angenommen, Hamburg würde wirklich seine Grundbetreuung von fünf kostenlosen Stunden auf zehn pro Tag ausweiten, so würde das die Stadt laut Sozialbehörde mindestens rund 80 Millionen Euro mehr kosten. Im Hinblick auf die insgesamt 1,1 Milliarden, die Hamburg aktuell in die Kinderbetreuung steckt, auf den ersten Blick kein Beitrag, der die Stadt in den Ruin treiben dürfte. Außerdem bieten Bundesländer wie etwa Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz längst die kostenlose Kita an.

Will Hamburg also nicht, oder kann Hamburg nicht?

Hört man sich in den Regierungsfraktionen um, dann stößt Thering mit seiner Idee zumindest nicht auf Widerstand. Im Grunde genommen findet man sie sogar ziemlich gut. Da es aber an einem pikanten Detail – nämlich der Finanzierung für das Vorhaben – fehle, hält man sie nur leider für nicht umsetzbar.

Ausweitung des Angebots? Klar, aber nicht auf Kosten der Qualität, heißt es da aus Regierungskreisen. Wenn schon eine Ausweitung, dann nicht nur quantitativ. Und auch nicht nach dem Gießkannenprinzip. So ganz ohne jegliches Konzept zur Umsetzung klinge der Vorschlag nach Linke 2.0.

Und auch das erinnert an das Jahr 2014, als Hamburg zwar keine Gebühren mehr erhob, die Eltern darin aber eine qualitative Verschlechterung der Betreuung sahen. Der LEA regte damals sogar an, lieber die Beitragsfreiheit noch einmal zu verschieben und dafür in die Qualität zu investieren. Das lehnte der damalige Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) jedoch kategorisch ab – ein Versprechen nicht zu halten, komme für diesen Senat nicht infrage. Und mehr Geld? Das ginge einfach nicht.

Am Ende war der Missmut der Eltern aber so groß, dass diese erneut mit einer Volksinitiative drohten und nur die Einführung eines engeren Betreuungsschlüssels dies noch verhindern konnte. Zwar nur für einen Teil des Krippenbereichs und nur um zehn Prozent, dafür aber mit der Zusicherung, weitere Schritte zu unternehmen.

Kitas fürchten durch Ausweitung größere Personalprobleme

Und was ist mit den Hamburger Kitas? Dort begrüßt man Therings Vorschlag zwar und auch die Tatsache, dass der Oppositionsführer den Fokus auf Familien und Kinder legt. Wenn nicht aber auch den Kitas selbst mehr Geld zukomme und die Finanzierbarkeit der Betriebe endlich nicht mehr von den Stunden der zu betreuenden Kinder abhängt, verbessere es die sowohl finanziell als auch personell schwierige Situation nicht. Im Gegenteil: Durch die Erweiterung des Angebots fürchtet man dort sogar eine Verschlechterung der personellen Situation aufgrund des Fachkräftemangels.

Ist die Ausweitung der kostenlosen Betreuung also am Ende doch keine Frage des Wollens, sondern eher des Könnens? Nicht zwingend. Damals löste sich die Konfrontation zwischen Eltern und Regierung mit der sogenannten Hamburger Erklärung, in der die Stadt am Ende mehr Geld vom Bund für ihre Kitas forderte. Doch das kam ja jetzt schon in Hamburg an. Und bei dem aktuellen Dauerstreit der Ampelkoalition und der Beharrlichkeit des derzeitigen Bundesfinanzministers Christian Lindner (FDP) für das Einhalten der Schuldenbremse dürfte die Aussicht auf noch mehr Geld wohl eher getrübt ausfallen.