Hamburg. 40-Stunden-Woche ade: Weshalb eine Hamburger Kita die Viertagewoche für Mitarbeiter einführt und wie das für die Kinder funktioniert.

Noch ist es still in der „Kleinen Heimat“ in Eimsbüttel an diesem Morgen um halb acht. Noch sind alle Spielzeugbagger ordentlich in den Holzregalen verstaut, und noch liegen die geblümten Kissen frisch aufgeschüttelt auf dem weißen Landhaus-Ikea-Bett in der „Speicherstadt“, einer von drei Gruppen der Kindertagesstätte.

Noch. Denn spätestens um 8 Uhr ist das vorbei. Dann strömen 40 Kita-Kinder zwischen ein und sieben Jahren in den weitläufigen Flur im Kleinen Kielort und „wollen gesehen und gehört werden“, sagt Kita-Gründerin Vivika Sommer. Um dem auch gut gerecht zu werden, bedürfe es aber mehr als der bloßen Anwesenheit der Erzieherinnen.

Hamburger Kita führt Viertagewoche ein – mit überraschendem Ergebnis

„Da unser Prinzip auf der bedürfnis- und bindungsorientierten Betreuung beruht, ist es wichtig, dass es auch uns Mitarbeiterinnen gut geht“, sagt Sommer. Nur so könnten die Erzieherinnen den Bedürfnissen ihrer „Kunden“ (den Kindern) gerecht werden, und nur so könne man in Sommers Augen „gute Arbeit leisten“. Und um jene Maxime umsetzen zu können, gehen die Pädagogin und ihre neun Mitarbeiterinnen seit März neue Wege und testen die Viertagewoche für Erzieherinnen.

Das Ergebnis? „Ich war bis auf eine einzige Woche keinen Tag krank“, sagt Svenja Tolle, die als Erzieherin eine Elementarkindergruppe betreut und eine der ersten in der Kleinen Heimat war, die auf das neue Arbeitszeitmodell umgestiegen ist. Zudem stelle die 40-Jährige fest, dass sie viel besser schlafe und wieder gerne in die Kleine Heimat komme. Das sei zu Beginn dieses Jahres noch ganz anders gewesen.

Viertagewoche der Notwendigkeit geschuldet

Denn, was nun nach New Work und Experimentierfreudigkeit klingt, ist in Wahrheit der Not geschuldet. Der Not, nicht genügend Personal zu haben, um die Kinder der Krippengruppe und der zwei Elementargruppen entsprechend betreuen zu können. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil Erzieherin Tolle überlastet war.

„Es fing damit an, dass ich das Gefühl hatte, während der Arbeitszeit andauernd Fieberschübe zu bekommen.“ Immer und immer wieder sei das so gewesen. „Als ich dann aber Temperatur gemessen habe, hat das Thermometer nichts Auffälliges angezeigt“, sagt Svenja Tolle. Zudem habe die Schleswig-Holsteinerin extreme Schlafprobleme gehabt und kaum noch Geduld im Kita-Alltag aufbringen können.

Als Tolle das erzählt, steigen ihr die Tränen in die Augen. Denn zusätzlich zu den 40 Stunden, die die Erzieherinnen in der Kita verbringen, gehören auch Aufgaben wie Elterngespräche vorbereiten und führen, Förderpläne erstellen, Elternabende veranstalten oder das Einkaufen für die tägliche Verpflegung der Kinder zu den Dingen, die Sommer und Tolle erledigen müssen. „Mit dem freien Tag, der mir jetzt in der Woche bleibt, richte ich mir eine richtige Pause mitten in der Woche ein. Ich unternehme jetzt auch wieder mitten in der Woche etwas – das war vorher undenkbar“, sagt Svenja Tolle.

Im Gegensatz zu Lehrerinnen und Lehrern werde die Vorbereitungszeit, die Sommer und ihr Team für die Betreuung der Kinder benötigten, nicht mit in ihre Arbeitszeit hereingerechnet. „Das führt dazu, dass ich im Durchschnitt 60 Stunden pro Woche arbeite“, sagt Sommer. Denn im Gegensatz zu ihren drei Mitarbeiterinnen, denen die 51-Jährige eine Viertagewoche ermöglicht, arbeitet Sommer jeden Tag – anders lasse sich die aktuelle Situation nicht bewältigen.

„Auch wir kämpfen mit dem Fachkräftemangel. Zwar habe ich von Anfang an mit einem höheren Betreuungsschlüssel als von der Behörde vorgegeben geplant, aber dass Svenja zum Beispiel ganz ausfällt, das können auch wir uns nicht leisten“, sagt Sommer. Also hätten die studierte Sonderpädagogin und Tolle sich zusammen hingesetzt und ein Konzept erarbeitet. „Ich habe die Dienstpläne komplett neu strukturiert, und wir haben duale Studentinnen angestellt, die uns unterstützen“, sagt Sommer.

Positive Auswirkungen auf Qualität der Arbeit

Neben dem Effekt, dass kaum noch eine der drei Erzieherinnen mit einer Viertagewoche krank sei, habe die Kita-Leiterin „direkt“ gemerkt, dass der zusätzliche freie Tag in der Woche auch Auswirkungen auf die Qualität der Arbeit der Erzieherinnen hat: „Svenja und die anderen sind wieder viel kreativer. Sie machen jetzt wieder Vorschläge für besondere Aktionen und Unternehmungen oder entwickeln neue Konzeptideen.“ Das sei zuvor oftmals auf der Strecke geblieben. Und auch Svenja Tolle stellt selbst fest: „Ich kann wieder viel geduldiger auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, seitdem ich nur an vier Tagen in der Woche arbeite.“

Und wie reagieren Kinder und Eltern? „Die meisten Eltern freuen sich richtig für uns und gönnen uns das auch“, sagt Svenja Tolle. Bei den Kindern sei es wichtig, dass die Erzieherin und ihre Kolleginnen es immer wieder erklärten, wer von ihnen am kommenden Tag da sei und wer nicht. „Das gibt den Kindern Orientierung und Verlässlichkeit“, erklärt die Erzieherin.

Kita-Leitung: „Müssen grundsätzlich über neue Arbeitsmodelle nachdenken“

Auf lange Sicht, so sieht Sommer es, werde sich das Modell der Viertagewoche ohnehin durchsetzen. „Ich finde, wir müssen grundsätzlich über neue Arbeitszeitmodelle nachdenken“, sagt die Pädagogin. Auch für die Kita-Kinder sei eine Viertagewoche gar nicht schlecht. „Wer sagt denn, dass die Kinder an fünf Tagen die Woche in die Kita wollen? Auch für die ist der Alltag in der Gruppe acht Stunden pro Tag anstrengend.“ Außerdem hätten viele Familien es verlernt, auf andere Hilfsmodelle wie etwa ihre Nachbarn oder Nachbarschaftstreffs zurückzugreifen.

„Im Hinblick darauf, dass der Personalmangel sich immer weiter verschärft und wir unsere Kita wegen Krankheit oftmals ganz schließen müssten, ist es mir lieber, vier Tage gesichert zu öffnen als teilweise nur zwei oder drei Tage pro Woche.“ Und weil das Modell so gut funktioniere und in Sommers Augen mehr positive Auswirkungen als Nachteile auf den Kita-Alltag habe, sucht die Hamburgerin nun Verstärkung für ihr Krippenteam – „auch drei Tage wären denkbar. Wir sind da flexibel.“