Hamburg. Das riesige Quartier ist schlecht angebunden – das soll sich ändern. Aber: Neue Haltestelle ist Teil eines viel größeren Projekts.
Es ist eines der größten und bekanntesten Stadtentwicklungsprojekte Hamburgs: In der „Mitte Altona“, früher „Neue Mitte Altona“ genannt, entstehen auf ehemaligen Gleisanlagen rund 3500 neue Wohnungen – 1600 im ersten Bauabschnitt sind bereits fertig und bezogen, weitere 1900 Wohnungen sollen im zweiten Abschnitt ab etwa 2030 folgen, sobald der Fernbahnhof Altona nach Diebsteich verlegt worden ist und die Bahn ihre Flächen geräumt hat.
Das bisherige Gleisdreieck wurde von Anfang an bewusst als „autoarmes Quartier“ geplant, mit breiten Fuß- und Radwegen und einer guten Anbindung an den ÖPNV. Doch genau die lässt aus Sicht der Bewohner noch zu wünschen übrig. Zwar gibt es mit Altona, Ottensen, Diebsteich und Holstenstraße gleich vier S-Bahn-Stationen rund um die Mitte Altona, doch egal, wo im Viertel man wohne und zu welcher Haltestelle man auch gehe – der Fußweg dorthin betrage fast immer deutlich mehr als einen Kilometer, klagen Anwohner. Kein Problem für junge, fitte Menschen, für Ältere und Mobilitätseingeschränkte hingegen schon.
HVV Hamburg: Mitte Altona soll eigene S-Bahn-Station mit Namen „Altona Mitte“ bekommen
Diese Sichtweise wird von der Verkehrsbehörde geteilt. Daher soll die Mitte Altona eine eigene S-Bahn-Station bekommen. In der Präsentation des Senats zum neuen Verbindungsbahnentlastungstunnel (VET) vom Dienstag war diese ebenso unter dem Namen „Altona Mitte“ eingezeichnet wie in der Machbarkeitsstudie der Bahn vom März – explizit erwähnt wurde sie in diesem Zusammenhang aber nicht.
Auf die Frage des Abendblatts, in welchem Stadium die Überlegungen für diese Haltestelle seien, hieß es aus der Verkehrsbehörde: „Die Station hat aus Sicht der Stadt Hamburg einige Vorteile für die gezielte und zentrierte Erschließung des Quartiers Mitte Altona.“ Man rechne dort mit etwa 3500 Ein-, Aus- und Umsteigern täglich. Im Rahmen der VET-Vorplanung werde der Bau „daher vertieft untersucht, mit dem klaren Ziel der Realisierung“. Dieses Statement darf als deutliches Bekenntnis gewertet werden: Der Senat will diese S-Bahn-Station haben.
Neuer S-Bahnhof Ottensen bringt wenig für die Erschließung der Mitte Altona
Der Vorgang hat eine lange Vorgeschichte. Schon im „Mobilitätskonzept“ für die Mitte Altona aus 2013 wurde darauf hingewiesen, dass der erste Entwicklungsabschnitt „unzureichend durch den ÖPNV erschlossen“ sei, die Zugangszeiten zur S-Bahn lägen bei „mehr als einer Viertelstunde“. Als Lösung wurde damals noch ein neuer S-Bahnhof Ottensen angesehen; doch obwohl der mit etlichen Jahren Verzögerung mittlerweile eröffnet wurde, hat er nichts am Grundproblem der Mitte Altona geändert.
„Die umliegenden Stationen befinden sich allesamt ca. einen Kilometer vom geplanten Standort der Station Altona Mitte entfernt“, räumt die Behörde ein. Insbesondere die Station Ottensen könne „nur durch die Überwindung einiger Barrieren“ wie einer oberirdischen Gleistrasse erreicht werden. „Insofern stellen diese umliegenden Stationen keine direkte, geschweige denn gezielte Erschließung des neuen Stadtquartiers dar.“ Mit anderen Worten: Es braucht eine weitere Haltestelle.
Neue S-Bahn-Station wäre Teil des Projekts Verbindungsbahnentlastungstunnel
Doch das ist kein isoliertes Projekt, über das die Stadt allein entscheiden kann, sondern Teil eines viel größeren Rades, das sie derzeit gemeinsam mit der Bahn dreht: des VET. Dahinter verbirgt sich ein neuer S-Bahn-Tunnel, der vom Hauptbahnhof über Dammtor nach Altona führen und bewirken soll, dass auf der oberirdischen Verbindungsbahn künftig vier statt zwei Gleise für den Regional- und Fernverkehr zur Verfügung stehen (daher „Verbindungsbahnentlastungstunnel“). So wollen Bund, Bahn und Stadt den überlasteten Schienenknoten Hamburg fit für den Deutschlandtakt machen, mit dem die Zahl der Fahrgäste verdoppelt werden soll.
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Für diesen Tunnel sind seit Dienstag nur noch zwei Trassen im Gespräch, doch beide münden in ein riesiges Kreuzungsbauwerk am Kaltenkircher Platz. Von dort aus zweigt ein S-Bahn-Tunnel nach Norden zum neuen Fernbahnhof am Diebsteich ab und einer nach Süden zum bisherigen Fernbahnhof Altona. Und dieser südliche Ast verläuft unter der Mitte Altona, am westlichen Rand des zweiten Bauabschnitts. Was läge also näher, als hier eine weitere S-Bahn-Station zu bauen und das riesige neue Quartier so optimal anzuschließen?
Die neue Station ist technisch machbar, wegen der Lage aber anspruchsvoll
Diese Bitte hatte auch die Bürgerschaft schon an den Senat herangetragen, und so wird in der Machbarkeitsstudie der Bahn zum VET auch darauf Bezug genommen. Eine S-Bahn-Station Mitte Altona sei technisch machbar, aber aufgrund der komplizierten Bedingungen – Kurvenlage mit Gefälle – „kommt nur eine Haltestelle mit Seitenbahnsteigen in Betracht, die versetzt zueinander in unterschiedlichen Tiefenlagen angeordnet werden“, heißt es dort. Übersetzt heißt das: Die Station würde zwei Etagen haben. Auf Abendblatt-Anfrage ergänzte die Verkehrsbehörde: „Die genaue Lage wird im Rahmen der kommenden Planungsphasen ermittelt.“
Doch das ist nicht das einzige Problem: Eine Haltestelle Altona Mitte würde zudem „betrieblich aktuell nicht in das derzeitige Fahrplankonstrukt der S-Bahn Hamburg“ passen, so die Behörde. Sie sieht darin aber wohl keine unüberwindbare Hürde, da sie hierzu „eine vertiefende Prüfung“ ankündigt und die S-Bahn-Station „Altona Mitte“ als „sehr wünschenswert“ einstuft.
Hamburg müsste sich an den Kosten einer S-Bahn-Haltestelle kräftig beteiligen
Allerdings gilt das nur für die Stadt: Der Bund als Eigner der Bahn drängt zwar auf den Bau des VET und würde dieses Milliardenprojekt (die genauen Kosten stehen noch nicht fest) daher vermutlich weitgehend bezahlen. Eine weitere S-Bahn-Station, die in der komplizierten Tunnellage vermutlich eine dreistellige Millionensumme kosten würde (zum Vergleich: Die oberirdische S-Bahn-Station Elbbrücken hat 69 Millionen Euro gekostet), wäre aber nur planerisch Teil dieses Projekts, kostenmäßig würde sie wohl als Sonderwunsch der Stadt betrachtet werden, da sie nichts zur Entlastung der Verbindungsbahn beitragen würde.
Hamburg müsste sich also mindestens kräftig daran beteiligen. Die Verkehrsbehörde sagt dazu: „Die Finanzierungsverhandlungen mit Bund und DB laufen derzeit.“ Zeit genug bleibt noch: Da der Verbindungsbahnentlastungstunnel nicht vor 2040 fertig werden dürfte, wird auch die neue S-Bahn-Station Altona Mitte kaum eher eröffnen.