Hamburg. Scharfe Kritik an Vorstoß der Hansestadt gegen Lindners Entlastungspaket. Warum Tschentscher sich selbst einen Brief schreibt.
Wenn jemand sich selbst einen Brief schreibt, löst das selten ein großes öffentliches Echo aus – wie auch? Bei dem Schreiben, das Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am 5. September an den „Präsidenten des Bundesrates“ aufsetzte, ist das anders – obwohl Tschentscher damit sich selbst schrieb, denn er hat gerade auch den Vorsitz in der Länderkammer inne.
Gegen den Inhalt dieses Briefes läuft die halbe Republik Sturm. „Die fieseste Steuer-Attacke des Jahres!“, titelt die „Bild“ in gewohnter Schlichtheit, während die „FAZ“ es etwas nüchterner, aber ebenso zugespitzt umschreibt: „Hamburg will fast alle stärker besteuern.“ Auch Hamburgs CDU ist auf Zinne und fordert: „Krisen erfordern Entlastungen statt Steuererhöhungen!“
Spitzensteuersatz: Warum der Vorstoß aus Hamburg umstritten ist
Was ist da los? Im Kern geht es bei diesem „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Inflationsausgleichsgesetzes“, den Hamburgs rot-grüne Landesregierung in den Bundesrat einbringt, nur um einen Punkt: Die Bemessungsgrenze für den Spitzensteuersatz solle bitte nicht, wie von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gewünscht und von der Ampel beschlossen, im kommenden Jahr weiter angehoben werden.
Sondern nachdem die Grenze, ab der der Spitzensteuersatz gezahlt werden muss, in diesem Jahr bereits von 58.597 Euro zu versteuerndem Einkommen auf 62.810 Euro erhöht worden war, solle auf die für 2024 geplante weitere Erhöhung auf 66.761 Euro verzichtet werden.
Hamburg will weitere Entlastung für Spitzenverdiener verhindern
Alle anderen Punkte des Inflationsausgleichsgesetzes, das der Bundestag im November vergangenen Jahres beschlossen hatte, um krisenbedingte Preissteigerungen abzumildern, trägt Hamburg weiter mit – etwa eine Erhöhung des Grundfreibetrags und Verbesserungen bei Kindergeld und Kinderfreibetrag.
Doch für weitere Entlastungen der Bürger sieht der rot-grüne Senat angesichts enormer Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch die große Zahl an Flüchtlingen, die Tarifsteigerungen, steigende Baukosten und nicht zuletzt die Ausgaben für das Deutschlandticket keinen Spielraum, wie Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt schon vor Wochen sagte – und immer wieder betonte, dass das in den meisten anderen Ländern, auch Unions-regierten, ebenso gesehen werde.
SPD-Finanzsenator Dressel gegen vollen Inflationsausgleich für Spitzenverdiener
„Angesichts der aktuell angespannten Haushaltslage führt ein voller Inflationsausgleich insbesondere im Bereich des Spitzensteuersatzes zu erheblichen Steuermindereinnahmen, die zu unvertretbaren Kürzungen an anderer Stelle führen würden“, heißt es in dem Antrag der Hansestadt. Würde man darauf verzichten, könnten Bund, Länder und Gemeinden insgesamt 3,63 Milliarden Euro mehr einnehmen.
„Senatoren, Minister und andere Spitzenverdiener brauchen keinen vollen steuerlichen Inflationsausgleich – vor allem, wenn dafür an anderer Stelle harte Einschnitte bei staatlichen Leistungen und Infrastrukturen drohen oder wir uns jetzt gezielte Konjunkturimpulse nicht mehr leisten können“, sagte Finanzsenator Dressel dem Abendblatt.
Unterstützung für Hamburg: „Wirtschaftsweiser“ Professort Truger verteidigt Idee
Deshalb schlage der Senat vor, den zweiten Schritt des Inflationsausgleichsgesetzes für 2024 „insbesondere am oberen Ende zu kappen“, sagte Dressel. „Die Entlastungen für 2023 bleiben voll bestehen, und auch für 2024 sollen die Verbesserungen bei Grundfreibetrag, Kindergeld und Kinderfreibetrag natürlich erhalten bleiben.“
Unterstützung kommt dafür von Professor Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („die fünf Wirtschaftsweisen“): Die bundesweite Debatte finde er „ziemlich irreführend“, denn genau diesen Vorschlag habe der Rat vor einigen Monaten auch gemacht, sprang er Hamburg bei „X“ (ehemals Twitter) bei. Mit dem Vorschlag werde lediglich „eine echte Steuersenkung rückgängig gemacht“.
CDU-Chef Dennis Thering: Die Bürger brauchen Entlastung statt Steuererhöhungen
Für Hamburgs CDU-Chef Dennis Thering ist das jedoch der falsche Weg. Angesichts der schwächelnden Konjunktur müssten die Menschen entlastet werden, um neue Kräfte freizusetzen. „SPD und Grüne drohen stattdessen mit einer neuen Steuererhöhung, indem der Spitzensteuersatz bereits früher als bisher von der Bundesregierung geplant greifen soll“, kritisierte er.
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Der CDU-Haushaltsexperte in der Bürgerschaft, Thilo Kleibauer, ergänzte, dass der Senat bereits beschlossene steuerliche Entlastungen für 2024 wieder rückgängig machen wolle, denen er selbst im Bundesrat zugestimmt habe: „Das ist fragwürdig und geht zulasten der Steuerzahler. Mit diesem Vorstoß trifft der Finanzsenator die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft, die gerade jetzt einen Ausgleich für hohe Inflationsbelastungen braucht.“
Inflation Hamburg: Auch Geringverdiener wären von Steuer-Vorschlag betroffen
Die „FAZ“ hatte errechnet, dass die von Hamburg beantragte Änderung beim Spitzensteuersatz sich auch auf geringere Einkommen belastend auswirken würde. Bei einem Jahreseinkommen von 25.000 Euro wären dann zum Beispiel zehn Euro mehr Steuern fällig – im Jahr.
Die Vorsitzende der Hamburger FDP, Sonja Jacobsen, sprach von einem „rot-grünen Tiefschlag“ gegenüber der eigenen Bundesregierung: „Dass nach Ansicht von Rot-Grün in Hamburg der Spitzensteuersatz nun doch wieder schon ab einem Einkommen von 62.000 Euro fällig werden soll, ist ein Witz.“ Auf jeden Euro, den ein Facharbeiter zum Ausgleich der Inflation mehr verdiene, zahle er dann bereits den Spitzensteuersatz. Das sei mit der FDP nicht zu machen.
Höhere Steuern für alle: Was Hamburg wirklich antreibt
Doch Hamburg geht es weniger darum, unbedingt diese Steuersenkung zu verhindern, als vielmehr darum, auf die prekäre finanzielle Lage der Länder und Kommunen hinzuweisen. Diese könnten nicht immer nur mehr Geld vom Bund fordern, etwa für die Flüchtlingsunterbringung oder für die Zuschüsse zum 49-Euro-Ticket, sondern müssten auch Vorschläge machen, woher das Geld kommen könnte, heißt es aus Senatskreisen. Mit diesem Antrag habe man etwas mehr „Verhandlungsmasse“ geschaffen.
„Über diese und andere Maßnahmen, die die Finanzkraft der Haushalte in Bund, Ländern und Gemeinden im Blick haben, muss mit dem Bund geredet werden“, sagte Finanzsenator Dressel. Er hatte übrigens den Brief des Bürgermeisters im Namen des Senats unterzeichnet – damit Peter Tschentscher sich nicht wirklich selbst schreiben muss.