Hamburg. Das Deutschlandticket boomt – doch vielen Älteren bringt es kaum Ersparnis. Die Gründe. Und was es kosten würde, dies zu ändern.
Keine Frage: Das 49-Euro-Ticket hat dem öffentlichen Nahverkehr in Deutschland und in Hamburg einen kräftigen Schub verpasst. Allein dem HVV bescherte es seit dem Start des Angebots im Frühjahr rund 300.000 neue Abonnenten, sodass die Zahl der „Stammkunden“ mit mehr als einer Million weit über dem bisherigen Rekord aus 2019 liegt (786.000 Abonnenten).
Da zudem die Fahrgastzahlen inzwischen bei 108 Prozent des Vor-Corona-Niveaus liegen (nachdem es im April nur 86 Prozent waren) und ein erheblicher Teil der neuen Kunden Befragungen zufolge das Auto stehen lässt (betrifft rund 19 Prozent der Fahrten), sprachen HVV und Senat vergangene Woche von einer „Erfolgsgeschichte“.
49-Euro-Ticket des HVV: Senioren fühlen sich vernachlässigt
In den allgemeinen Jubel über das Deutschlandticket, wie es eigentlich heißt, mögen viele Senioren und Seniorinnen jedoch nicht einstimmen. In Leserbriefen an das Abendblatt beklagen sie, dass es für sie, anders als für Schüler, Azubis, Arbeitnehmer und Bedürftige, keine weiteren Vergünstigungen gibt. „Bei aller Euphorie um das neue 49-Euro-Ticket werden doch die Rentner und Seltenfahrer immer noch vernachlässigt“, schrieb zum Beispiel Annelie K.
Ältere Menschen würden oft nur ein oder zwei Stationen fahren, so die Leserin. Dafür brauche man aber nur einen Einzelfahrschein, doch das System sei immer noch kompliziert und intransparent und die Automaten für Senioren schwer zu bedienen. Indirekt kritisiert sie auch die Preise und schlägt vor: „Wie hilfreich wäre da doch eine einfache Regelung wie zum Beispiel ein bis zwei Stationen für einen Euro und ab drei Stationen zu den bisherigen Preisen.“
Zuschuss für Jobticket zahlen die Arbeitgeber, nicht die Stadt
Mit Blick auf das ab Oktober angebotene „Jobticket Premium“, ein HVV-Deutschlandticket für Arbeitnehmer zum Preis von 25 statt 49 Euro im Monat, schreiben zwei ältere Leser von „Wut“ und dass Rentner wieder einmal nur „die berühmte A...karte“ bekämen. „Wie kann es möglich sein, dass der HVV nur Arbeitnehmern eine solche Vergünstigung zukommen lässt und noch dazu einen Großkundenrabatt gewährt?“, fragt Dietmar J. – sitzt aber einem Missverständnis auf.
Denn das Jobticket ist für Arbeitnehmer nicht wegen eines städtischen Zuschusses so günstig, sondern weil die Unternehmen, also die Arbeitgeber, einen Teil der Kosten übernehmen. Zahlen sie 12,25 hinzu, kostet das Jobticket ihre Mitarbeiter 34,30 Euro, zahlen sie 21,55 Euro dazu, kostet es nur 25 Euro im Monat. Der zusätzliche Großkundenrabatt, den der HVV Unternehmen gewährt, beträgt in jedem Fall nur 2,45 Euro. Und diesen Zuschuss gewähren keinesfalls alle Firmen, im HVV-Bereich sind es bislang 4800 Unternehmen mit 267.000 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen.
Sozialverband SoVD fordert Senioren-Ticket für 29 Euro
„Unser ,Arbeitgeber’ ist die Rentenkasse, und auch wir fordern ein verbilligtes Ticket von 29 Euro“, schreibt Heike D. Sie bezieht sich darauf, dass auch Azubis (bekommen das Deutschlandticket für 29 Euro im Monat), Hamburger Schülerinnen und Schüler (19 Euro, mit Sozialrabatt kostenlos) und Bedürftige in der Hansestadt (dank Sozialrabatt maximal 19 Euro) den bundesweiten Zugang zu Bussen und Bahnen deutlich günstiger erhalten – Senioren aber nicht.
Unterstützung kommt vom Sozialverband SoVD, der kürzlich auf einer Demonstration in Hamburg gemeinsam mit Seniorenverbänden das 29-Euro-Ticket für ältere Mitbürger gefordert hat. „Denn allein in Hamburg gelten rund 67.000 Menschen über 65 Jahre als arm“, so der SoVD-Landesvorsitzende Klaus Wicher zum Abendblatt. Sie hätten sich schon das frühere HVV-Seniorenticket nicht leisten können. „Für sie ist auch das 49-Euro-Ticket einfach viel zu teuer.“
Verkehrsbehörde: Deutschlandticket macht den ÖPNV auch für Senioren günstiger
Immer mehr Rentner stünden bei den Hamburger Tafeln für Lebensmittel an, so Wicher. Viele von ihnen müssten gerade Mehrkosten für die Pflegeversicherung tragen und bekämen keinen Inflationsausgleich: „Deshalb finde ich die Forderung nach dem reduzierten 29-ÖPNV-Ticket gerecht und legitim“, sagte Wicher. „Für diejenigen, die Grundsicherung im Alter beziehen, sollte es sogar komplett kostenlos sein – übrigens sollte dies für alle Bedürftigen gelten, denn nur so bleibt für sie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich.“
Doch warum wurden im Zuge der Einführung des 49-Euro-Tickets zwar allerlei Vergünstigungen beschlossen, aber keine für Senioren? Auf diese Frage des Abendblatts antwortete die Verkehrsbehörde: „Das Deutschlandticket hat den ÖPNV für alle günstiger gemacht, auch für Seniorinnen und Senioren. Konnten Seniorinnen vor dem Deutschlandticket für 54 Euro ,Hamburg AB’ fahren, können sie nun für 49 Euro durch ganz Deutschland fahren.“
Hamburger Schüler fahren ab Herbst 2024 kostenlos mit Bussen und Bahnen
Der Beschluss, den gesamten ÖPNV für Hamburger Schüler kostenlos zu machen, wie es für Herbst 2024 angekündigt ist, sei Teil des rot-grünen Koalitionsvertrages aus 2020 und damit unabhängig von der Einführung des Deutschlandtickets gefallen. Das Jobticket dagegen sei seit Jahren etabliert und „zumindest für Hamburg nichts Neues, sondern die Fortsetzung eines bereits erfolgreich laufenden Modells“, so die Behörde.
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Senioren, die existenzsichernde Leistungen beziehen, stehe wie allen anderen Bedürftigen auch der Sozialrabatt zu, der in Hamburg 30 Euro beträgt: „Damit stellt Hamburg sicher, dass ältere Menschen gerade auch bei einem geringen Einkommen bzw. einer geringen Rente einen deutlich verbesserten Zugang zur Mobilität haben.“
HVV: Zuschuss zum Deutschlandticket für Senioren kostet Millionen
Zusammengefasst bedeutet das indirekt: Noch weitere Vergünstigungen kann oder will sich die Stadt derzeit nicht leisten. Der HVV hat auf Anfrage des Abendblatts errechnet, was es kosten würde, das Deutschlandticket allen Menschen ab 65 Jahren günstiger anzubieten: Würde nur Hamburg seinen Senioren einen Zuschuss von 20 Euro im Monat gewähren, würde das die Stadt 81 Millionen Euro im Jahr kosten. Bei einem Zuschuss von 30 Euro wären es 122 Millionen Euro. Würde das für alle Senioren im HVV-Gebiet gelten, wären es 180 oder 271 Millionen Euro, die dann auch andere Kommunen anteilig mittragen müssten.
Diese Zahlen setzen allerdings voraus, dass auch alle Senioren dieses Angebot nutzen – was sie natürlich nicht tun. Bisher lag die Nutzungsquote beim Senioren-Abo in Hamburg bei 16,5 Prozent und im Gesamtnetz bei 8,5 Prozent. Selbst wenn es im Zuge des Deutschlandtickets mehr werden, lägen die Kosten also eher im Bereich von 15 bis 25 Millionen Euro.
HVV: Trotz Kritik kaufen sehr viele Senioren das Deutschlandticket
Allerdings ist das HVV-Deutschlandticket trotz der Kritik von Seniorinnen und Senioren bei diesen dennoch sehr nachgefragt. Nach HVV-Angaben haben jedenfalls viele Menschen über 65 Jahre haben in den vergangenen Monaten ein neues Abo abgeschlossen. Die Gesamtzahl der HVV-Abonnenten dieser Altersgruppe sei seit Einführung des Deutschlandtickets um etwa 50 Prozent auf 89.000 gestiegen, so der Verkehrsverbund. „Damit ist der Zuwachs unter den Seniorinnen und Senioren sogar größer als im HVV-Durchschnitt, der Abo-Zuwachs insgesamt betrug im gleichen Zeitraum ,nur’ 42 Prozent.“