Hamburg. Was Hamburgs Finanzsenator konkret erwartet – und warum er FDP-Chef Christian Lindner als „Verhinderungsminister“ kritisiert.

Das 49-Euro-Ticket hat dem öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) in Deutschland mächtig auf die Sprünge geholfen. Allein der Hamburger Verkehrsverbund HVV hat die Zahl seiner Abonnentinnen und Abonnenten gegenüber der Vor-Corona-Zeit um ein knappes Drittel auf fast eine Million steigern können. Die Auslastung von Bussen und Bahnen nimmt spürbar zu.

Doch wird das Deutschlandticket, wie es offiziell heißt, immer so günstig bleiben? Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) ist da skeptisch. Angesichts der äußerst angespannten Haushaltslage aller Bundesländer und der befristeten Vereinbarung von Bund und Ländern über die Finanzierung rechnet er perspektivisch mit einer Erhöhung.

HVV: Warum das 49-Euro-Ticket in einigen Jahren teurer werden könnte

„Das 49-Euro-Ticket ist eine attraktive Absprungbasis“, sagte Dressel im Gespräch mit dem Abendblatt. „Der Bund hat es in der Hand, durch eine langfristige Finanzierungszusage – eine Hälfte der Kosten übernimmt er, die andere die Länder – dafür zu sorgen, dass wir dieses Ticket noch für viele Jahre zu diesem Preis anbieten können.“ Bislang ist bis 2025 vereinbart, dass Bund und Länder pro Jahr je 1,5 Milliarden Euro aufbringen, um die Einnahmeausfälle der Verkehrsunternehmen auszugleichen.

Doch was ist danach? Oder wenn die drei Milliarden pro Jahr nicht ausreichen sollten? Alles offen. „Völlig klar“, sei für ihn aber, dass das Deutschlandticket „in zehn Jahren nicht mehr 49 Euro kosten wird“, so Dressel. „Angesichts der allgemeinen Kostenentwicklung, der Lohnentwicklung und vor allem der immensen Steigerungen bei den Energiekosten wird sicher in ein paar Jahren eine 5 vorne im Preis stehen.“

Dressel kritisierte auch CDU-Vorschläge für Umsonst-Kitas und günstige Seniorentickets

In dem Zusammenhang kritisierte der Finanzsenator den Vorschlag der Hamburger CDU für ein Seniorenticket zum Preis von 29 Euro pro Monat: „Das 49-Euro-Ticket ist bereits eine Revolution unserer Ticketstruktur, wir sind damit wieder auf dem Preisniveau der 90er Jahre angekommen“, so Dressel. „Zudem investieren wir in Hamburg massiv in den quantitativen Ausbau der ÖPNV-Kapazitäten und in die Qualität, da kann man nicht auch noch alle Tickets massiv runtersubventionieren. Alles drei gleichzeitig können wir nicht finanzieren.“

Mit der gleichen Begründung hatte der Finanzsenator zuvor bereits den Vorschlag von CDU-Chef Dennis Thering, die Kita-Gebühren in Hamburg für zehn Stunden pro Tag abzuschaffen (derzeit sind fünf Stunden pro Tag kostenlos), scharf angegriffen. Auch auf diesem Gebiet investiere die Stadt bereits massiv in den Ausbau der Kapazitäten und die Verbesserung der Qualität. Angesichts von laufenden Kita-Kosten von 1,1 Milliarden Euro im Jahr könne man nicht auch noch auf Gebühreneinnahmen von 100 Millionen Euro im Jahr verzichten.

„Wachstumschancengesetz“ würde Hamburg mehr als 600 Millionen Euro kosten

Dressel übte zudem scharfe Kritik an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und seinem Entwurf für das „Wachstumschancengesetz“. Dieses habe aufgrund noch einmal verbesserter Abschreibungsbedingungen für Hamburg noch gravierendere finanzielle Konsequenzen als bislang bekannt, bis 2028 würden der Stadt Einnahmen in Höhe von insgesamt 628 Millionen Euro entgehen. Zunächst war „nur“ von knapp 550 Millionen die Rede.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zieht sich mit dem „Wachstumschancengesetz“ den Zorn vieler Bundesländer zu – weil sie den größeren Teil der Kosten tragen sollen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zieht sich mit dem „Wachstumschancengesetz“ den Zorn vieler Bundesländer zu – weil sie den größeren Teil der Kosten tragen sollen. © dpa | Fabian Sommer

„Herr Lindner will inszeniert sich mit diesem Gesetz als Kämpfer für mehr Wachstum, aber fast zwei Drittel der Kosten überlässt er den Ländern“, sagte der Finanzsenator und betonte: „So geht das nicht. Zumindest müsste man in einem föderalen Finanzsystem mal darüber reden. Das hat er aber noch nicht getan.“ Angesichts des Widerstands von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) gegen das Gesetz forderte Dressel vom Bundesfinanzminister: „Wenn er mit seinem Wachstumschancengesetz nicht im Bundesrat ebenso auf Grund laufen will wie im Bundeskabinett, muss er jetzt mit uns reden und Vorschläge machen, wie eine Verständigung möglich ist. Klar ist: Ganz ohne Kompensation wird das schwierig. Denn diese Mindereinnahmen sind in keinem Bundesland eingeplant.“

Dauerhaft niedrige Mehrwertsteuer für die Gastronomie? „Nicht ohne Kompensation!“

Ähnlich sehe es bei der verringerten Mehrwertsteuer für die Gastronomie aus. Diese war im Zuge der Corona-Krise von 19 auf sieben Prozent reduziert worden und habe allein Hamburg 42 Millionen Euro gekostet. Die Maßnahme läuft Ende des Jahres aus, die FDP und einige stark vom Tourismus abhängige Länder würde sie gern verlängern. „Das kann man machen“, sagt Dressel, „aber nicht ohne Kompensation. Es geht nicht, dass der Bund das bestellt und die Länder fast die Hälfte der Kosten tragen lässt.“

Lob und Tadel gibt es vom Finanzsenator dagegen beim Thema Flüchtlingskosten. Hier habe der Bund jetzt zugesagt, dass er die Länder in diesem Jahr mit insgesamt 3,9 Milliarden unterstütze, davon entfielen 105 Millionen Euro auf Hamburg. „Es ist gut, dass der Bund dieses Versprechen einhält, denn dieses Geld brauchen wir auch“, sagte Dressel. Doch 2024 sacke diese Förderung nach jetzigem Stand wieder auf 900 Millionen Euro pro Jahr ab: „Das ist zu wenig. Solang die Flüchtlingszahlen so hoch bleiben wie sie jetzt sind, muss auch die finanzielle Unterstützung des Bundes für die Länder auf dem Niveau von 2023 bleiben.“

Dressel: „Christian Lindner ist auf dem besten Weg zu einem Verhinderungsminister“

Der Finanzsenator schlägt sogar eine Brücke nach Berlin: „Wenn der Bund signalisiert, dass er uns bei diesem Thema weiter hilft, erhöht das sicher die Chancen, dass die Ländern seinem Wachstumschancengesetz zustimmen. Wenn der Bund sich nirgendwo bewegt, wird das ein heißer Herbst für die Bund-Länder-Finanzbeziehungen.“

An seiner kritischen Haltung zum Bundesfinanzminister würde das aber wohl nichts ändern. „Herr Lindner ist mal mit dem Anspruch angetreten, ein ,Ermöglichungsminister’ zu sein“, erinnert Dressel. „Doch jetzt ist er auf dem besten Weg zu einem Verhinderungsminister. Er will sich finanzpolitisch als harter Hund profilieren und nimmt dabei Kollateralschäden bewusst in Kauf, auch in den Ressorts seiner Parteifreunde.“ So sei der Digitalpakt Schule zwischen den Ländern und dem FDP-geführten Bildungsministerium gefährdet, und FDP-Verkehrsminister Wissing könne wegen der harten Haltung seines Parteichefs die Co-Finanzierung des Bundes für das 49-Euro-Ticket nicht verlässlich zusagen.

Finanzsenator fordert vom FDP-Chef, Widerstand gegen Industriestrompreis aufzugeben

Besonders scharf kritisierte der Finanzsenator, dass Lindner sich zudem gegen den geplanten Industriestrompreis sperre – obwohl dafür noch Kreditmittel im Wirtschaftsstabilisierungsfonds bereit stünden: „Ich mache mir große Sorgen, dass diese Mittel nicht genutzt werden. Eine neoliberale Finanzpolitik, die massenhaft gut bezahlte Industriearbeitsplätze in Deutschland vernichtet, rechnet sich gesamtgesellschaftlich nicht“, so Dressel. „Mit diesen Jobs würden Milliarden an Steuereinnahmen und gesellschaftlicher Zusammenhalt verloren gehen.“

Daher müsse das Land jetzt eine Brücke bauen bis zu dem Zeitpunkt, an dem Windstrom in ausreichender Menge und zu günstigen Priesen zur Verfügung steht. „Das sind vielleicht fünf bis acht Jahre, in denen wir den Strompreis für die Industrie auf etwa vier bis sechs Cent subventionieren müssen“, sagte der Finanzsenator. „Diese Entscheidung muss in diesem Herbst fallen.“ Dass auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dem Industriestrompreis skeptisch gegenüber steht, habe aus seiner Sicht eher taktische als inhaltliche Gründe – möglicherweise wolle der Kanzler seinen Finanzminister nicht zu deutlich düpieren, so Dressel. „Die SPD-Position pro Industriestrompreis ist völlig klar.“