Hamburg/Bonn. Im Millionen-Prozess um Cum-Ex-Geschäfte fordern die Verteidiger des Hamburger Bankers jetzt seinen Freispruch.

Im Prozess um illegale Cum-Ex-Geschäfte gegen den Hamburger Bankier Christian Olearius haben seine Verteidiger die Vorwürfe der besonders schweren Steuerhinterziehung zurückgewiesen. „Die Verteidigung ist der festen Überzeugung, dass Herr Doktor Olearius unschuldig und freizusprechen ist“, sagte der Anwalt Rudolf Hübner am Mittwoch vor dem Bonner Landgericht.

Es ist das erste Mal, dass sich ein Vertreter der obersten Chefetage eines Bankhauses im größten Steuerskandal der Bundesrepublik vor Gericht verantworten muss. Olearius war persönlich haftender Gesellschafter der traditionsreichen Hamburger Privatbank M.M. Warburg, früher über viele Jahre hinweg ihr Chef. Am 16. Oktober will sich der 81-Jährige erstmals selbst vor Gericht äußern.

Cum-Ex-Skandal: Hamburger Bankier Olearius wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung angeklagt

Seine Anwälte fuhren am Mittwoch schon einmal schwere Geschütze auf: Hübner warf der Staatsanwaltschaft vor, fehlerhaft ermittelt zu haben und „das Narrativ einer Bande“ zu bemühen, das mit der Realität nichts zu tun habe. Klaus Landry, ein weiterer Verteidiger des 81-Jährigen, nannte die Annahme, Olearius habe eine kriminelle Bande gebildet, „absurd“. Landry stellte ihn als honorigen Mann dar.

Angeklagt ist Olearius in 14 Fällen der besonders schweren Steuerhinterziehung im Zeitraum zwischen 2006 und Ende 2019, von denen es in zwei Fällen beim Versuch geblieben sei. Der Steuerschaden habe fast 280 Millionen Euro betragen, so die Staatsanwaltschaft.

Hinter dem Cum-Ex-Skandal steht das womöglich umfassendste System der Steuerhinterziehung in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Der Staat wurde um Milliarden geprellt. Bei dem Steuerbetrug schoben verschiedene Finanzakteure Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch hin und her. Ziel dieses Verwirrspiels war, dass der Fiskus Steuern erstattete, die gar nicht gezahlt worden waren. Die Hochphase dieser Geschäftspraxis lag in den Jahren 2006 bis 2011. Lange war unklar, ob das nur dreiste Abzocke unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke oder ob es von Anfang an eine Straftat war. Dass es Letzteres war, entschied der Bundesgerichtshof 2021.

Cum-Ex-Geschäfte: Christian Olearius‘ Verteidigung beklagt Vorverurteilung vor Bonner Gericht

Seine Verteidigung argumentierte nun, Olearius habe von dem Einsatz von Leerverkäufen nichts gewusst und er hätte deren Einsatz auch nicht gebilligt, wie sein Anwalt Landry erklärte. Leerverkäufe sind ein zentrales Element der Cum-Ex-Geschäfte, bei denen gar nicht gezahlte Kapitalertragssteuern (KESt) erstattet wurden und der Staat dadurch um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt wurde. „Er hat und hätte niemals die Anrechnung oder gar Erstattung von Kapitalertragssteuern beantragt, die zuvor nicht einbehalten und abgeführt worden war“, so Landry vor Gericht.

Der Verteidiger beklagte außerdem, dass es bei seinem Mandanten in der Öffentlichkeit zu einer irreparablen Vorverurteilung gekommen sei. Dass Olearius in einem Bonner Gerichtsurteil gegen zwei britische Aktienhändler im Jahr 2020 und dessen Bestätigung durch den Bundesgerichtshof 2021 als gesondert Verfolgter genannt worden sei, sei eine gerichtliche Vorverurteilung gewesen. „Der Grundsatz ,im Zweifel für den Angeklagten´ ist für ihn außer Kraft gesetzt.“ Ein weiterer Rechtsanwalt des Bankers, der frühere CSU-Bundespolitiker Peter Gauweiler, erklärte, die Tagebucheinträge von Olearius aus den Jahren 2005 bis 2011 seien alles in allem „evident entlastend“ seien. Olearius habe darin notiert, dass die rechtliche Zulässigkeit der Geschäfte sorgfältig geprüft werden müsse. Außerdem habe er seine Rechtstreue betont.

Kölner Staatsanwaltschaft sieht in Cum-Ex-Skandal Hamburger Banker Olearius als treibende Kraft

Die Staatsanwaltschaft Köln hatte dem Hamburger Banker in der Anklage zu Prozessauftakt am Montag vorgeworfen, er sei eine treibende Kraft bei den illegalen Cum-Ex-Geschäten gewesen – ja, sogar einer der Initiatoren. „Der Angeklagte war darüber informiert und steuerte maßgeblich“, hatte Staatsanwältin Stephanie Kerkering erklärt.

Olearius sei in Krisensituationen eingebunden gewesen, um Risiken abzuwenden, und ihm sei bekannt gewesen, dass das Cum-Ex-Geschäftsmodell auf der Anrechnung beziehungsweise Erstattung von Steuern beruhte, die gar nicht gezahlt worden waren: „Ihm war bewusst, dass es sich um unzutreffende Angaben handelte.“ Bedenken eines Fachmanns zur Rechtmäßigkeit im Jahr 2010 blieben bei Olearius der Anklage zufolge ohne Reaktion – er habe zugelassen, dass Bedenken vom Tisch gewischt worden seien und es weitergegangen sei, so die Ankläger.

Brisant ist der Fall durch die Verbindung zur Politik: Olearius hatte sich 2016 mehrfach mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister und heutigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) getroffen, um eine Rückforderung der Steuerersparnisse zu verhindern. In der Anklage wird Scholz als Zeuge 27-mal erwähnt. Tatsächlich waren die Ermittler durch die genannten Tagebücher auf drei Treffen mit Scholz gestoßen, denn die hatte der Bankier für 2016 und 2017 eingetragen. Dabei versuchte er zu verhindern, dass seine Bank viel Geld an den Fiskus zurückzahlen muss – dies wertet die Staatsanwaltschaft im Bonner Verfahren als versuchte Steuerhinterziehung, weil falsche Angaben gemacht worden seien.

Cum-Ex-Skandal: Olaf Scholz kann sich an Gespräche mit Warburg-Banker nicht mehr erinnern

Scholz hat persönliche Treffen mit dem Warburg-Banker bestätigt, sagte jedoch, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Inhalt der Gespräche. Er habe zu keiner Zeit Einfluss auf das Verfahren geübt, betonte der Bundeskanzler immer wieder. Gegenteilige Beweise hat auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft in dieser Sache bisher nicht zutage gefördert.

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Seine Verteidigung stellte Olearius am Mittwoch vor Gericht als honorigen Mann dar, der sich für das Wohl der Hamburger Gesellschaft eingesetzt habe. Die Annahme der Staatsanwaltschaft, Olearius habe sich mit einem anderen Gesellschafter und mehreren Bankmitarbeitern zu einer kriminellen Bande zusammengeschlossen, sei „absurd“.

Angeklagt in Cum-Ex-Prozess: Christian Olearius galt lange als gut vernetzter Vorzeige-Hanseat

Der heute 81-Jährige galt in der Tat lange als Vorzeige-Hamburger. 1986 hatte Max Warburg den Juristen aus dem Vorstand der Norddeutschen Landesbank an die Spitze der Privatbank M.M. Warburg geholt, eine Hamburger Institution seit Jahrhunderten. Unter der Leitung von Olearius wuchs das Bankhaus, das das Geld vieler vermögender Hamburger verwaltet, kontinuierlich.

Zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte kam politisches Engagement: Er verhandelte auf Bitten des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau (SPD) ab 1988 für die Stadt den Kauf von 41.000 Wohnungen aus dem gescheiterten Unternehmen Neue Heimat; er rettete das Hamburger Stahlwerk; er sammelte Spenden für den Bau der Elbphilharmonie und schmiedete 2009 das Investoren-Konsortium „Albert Ballin“ zur Rettung der Reederei Hapag-Lloyd. Der Warburg-Banker, so die Ankläger von der Staatsanwaltschaft habe seine Kontakte in die Politik, zum damaligen Bürgermeister Scholz, aber auch zum SPD-Politiker Johannes Kahrs und den ehemaligen Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk für seine Zwecke nutzen wollen.

Am kommenden Montag wird der Bonner Strafprozess fortgesetzt, dann will der vierte Verteidiger von Olearius auf die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft eingehen. In dem Mammutverfahren sind insgesamt 28 Verhandlungstermine angesetzt, sie reichen bis weit ins kommende Jahr hinein. mit dpa