Hamburg. Insgesamt neunmal ist „Ein Wintermärchen“ mit Katharina Thalbach und Daniel Hope in der Elbphilharmonie zu erleben. Ein Spaß mit Ansage.
Alle Jahre wieder … laden Musiker Daniel Hope und Schauspielerin Katharina Thalbach in die Elbphilharmonie. Zu einer Veranstaltung namens „Ein Wintermärchen“, bei der das Publikum durch weihnachtliche Musik und (mehr oder weniger) besinnliche Geschichten in Festtagsstimmung versetzt werden soll. Große Kunst ist das natürlich nicht, keine Verstörung, kein Infragestellen bestehender Positionen, das ist Unterhaltung. Aber, das dann eben auch: Unterhaltung auf höchstem Niveau. Das Belgrade Chamber Orchestra etwa unter der Leitung von Daniel Geiss ist bestens aufgelegt und versteht es, Mozart, Vivaldi, Haydn mit einer ganz eigenen Stimmung zu versehen, lyrisch, sensibel.
Und das Publikum im ausverkauften Saal lässt sich begeistert ein auf diese Unterhaltung. Was beim „Wintermärchen“ passiert, ist keine Überraschung, manches kennt man schon von den vorangegangenen Ausgaben. Aber Weihnachten ist ja grundsätzlich nicht besonders überraschend – Ochse, Esel, Christuskind, um 18 Uhr gibt es Kartoffelsalat, im Anschluss Bescherung. Weswegen sollte man etwas, das seit langer Zeit funktioniert, ändern? Und vielleicht ist dieser unbeschwerte, etwas legere Zugriff auf das „Wintermärchen“ auch einer, mit dem man den Charakter dieser Veranstaltung am besten einfängt?
„Ein Wintermärchen“ in der Elbphilharmonie: Das Publikum ist glücklich – nur darum geht es
Also, unbeschwert. Hope betritt die Bühne und begrüßt das Publikum: „Moin!“ Das ist kein salbungsvolles Heilige-Nacht-Getue, in das ein Moderator mit weniger Entertainmentqualitäten angesichts des Termins vielleicht verfallen wäre, das ist das geschickte Einfangen einer Stimmung. Der 51-Jährige weiß, dass er in Hamburg ist, er weiß auch, dass die Zuschauer hier nicht als besonders fromm bekannt sind, stattdessen ein gewisses Gespür für trockene Ironie haben. Also kommt er bodenständig rüber. Und kündigt, nach Mozarts Ouvertüre aus der „Hochzeit des Figaro“, Vivaldis „Konzert für zwei Violinen a-Moll“ an. „Vivaldi ist bekannt für die ,Vier Jahreszeiten‘ – genau das wollen wir heute nicht spielen.“ Den Witz hat er vor zwei Jahren auch schon gemacht, ebenso wie das folgende Violinenduell mit Stanko Madić vom Belgrade Chamber Orchestra, egal. Das Publikum hat er jedenfalls von dieser Sekunde an auf seiner Seite.
Bühne frei für die Stargäste. Sopranistin Fatma Said (war vor zwei Jahren schon dabei) singt Mozarts „Alleluja“, Trompeterin Lucienne Renaudin Vary (war vor zwei Jahren ebenfalls schon dabei) spielt das Allegro aus Haydns „Trompetenkonzert Es-Dur“, Katharina Thalbach rezitiert Georg Kreislers fieses Gedicht „Weihnachten ist eine schöne Zeit“ (welches sie auch schon vor zwei Jahren vortrug). Wie gesagt, wenig Überraschungen. Aber noch einmal: Das ist hier auch nicht wichtig. Zumal es bei den folgenden Aufführungen Variationen gibt: Said ist nur noch am 23. und am 25. Dezember um 20 Uhr, verfügbar, am 26. Dezember um 12 Uhr singt Yeonjoo Katharina Jang, bei anderen Vorstellungen tritt Tanja Kuhn mit Joseph Haydns „Come il vapor s’accende“ an ihre Stelle.
Lucienne Renaudin Vary spielt ihre Soli mit jazzigem Unterton und tänzelt um ihre Trompete herum
Und das klingt ja auch wirklich herzerwärmend. Said jubiliert bis in höchste Himmelshöhen, Vary spielt ihre Soli mit jazzigem Unterton und tänzelt ansonsten gar reizend (und barfuß) um ihre Trompete herum, das Orchester setzt eindrucksvolle Laut-Leise-Akzente, und Thalbachs raue Whiskystimme steht ohnehin jenseits jeder Kritik. Dass sie mit dieser Stimme am Ende auch noch in den Jazzgesang wechselt und Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ intoniert, ist da nur folgerichtig (machte sie vor zwei Jahren übrigens auch schon).
Was diesem „Wintermärchen“ auch nicht angemessen ist: erbsenzählerisch die Parallelen zu früheren Jahren zu notieren. Es gibt nämlich auch Neues! Thalbachs Texte etwa sind mit Ausnahme des Kreisler-Gedichts ausgewechselt, sie liest Agatha Christies (etwas harmlose) Weihnachten-aus-Esel-Perspektive-Geschichte „Der unfolgsame Esel“, Herbert Rosendorfers Besinnlichkeitsaustreibung „Der Weihnachtsdackel“ sowie Gerda Gränzigs „Die Verkündigung nach Lukas 2 (auf Berlinerisch)“. So etwas Ähnliches gab es vor zwei Jahren auch schon, mit Carla Eisfeldts „Politisch korrekt“, aber womöglich ist Thalbach ja aufgegangen, dass es angesichts des aktuellen Rechtsrucks womöglich unpassend ist, die Weihnachtsgeschichte mit Spott über gendergerechte Sprache zu würzen. Jedenfalls: Der „Icke, wa“-Humor passt hier wie Topf auf Deckel.
Mehr Hamburg-Kultur
- Kultur in Hamburg 2024: Das war großartig – das war großer Mist
- „Jephtha“ in der Elbphilharmonie: Beim späten Händel blieben plötzlich Plätze leer
- Adam Angst im Molotow: Buhrufe gab es gleich am Anfang des Konzerts – eine Kritik
Bodenständig geht der Abend auch zu Ende: Nachdem Daniel Hope im „Kleinen irischen Medley“ ein bisschen zu bemüht Geschwindigkeitsrekorde auf der Violine gebrochen hatte, gibt es als Zugabe, natürlich, „O du fröhliche“. Und zwar gesungen vom Publikum. Das klingt humorvoll-schräg, und wenn man den Gesichtsausdruck von Fatma Said korrekt deutet, spürt die Starsopranistin in diesem Moment körperliche Schmerzen. Aber egal, das Publikum ist glücklich, und das ist es, worum es beim „Wintermärchen“ geht, nicht um die große Kunst, für die Said ansonsten steht.
„Ein Wintermärchen“ wieder am 23. Dezember, 16 und 20 Uhr, 25. Dezember, 16 und 20 Uhr, 26. Dezember, 12, 16 und 20 Uhr, Elbbphilharmonie, Platz der Deutschen Einheit, Tickets unter www.elbphilharmonie.de, alle Veranstaltungen ausverkauft, Restkarten u.U. an der Abendkasse
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!