Hamburg. Was die Sopranistin Fatma Said über Erfolgsdruck und Opern-Tode denkt, erfahren Sie in dieser Folge von „Erstklassisch mit Mischke“.
Sie lebt für die Musik und für die Bühne, ist aber noch nie als tragische Opern-Heldin auf einer gestorben. Für die ägyptische Sopranistin Fatma Said ist das einer von vielen Berufswünschen, die sich bitte bald erfüllen mögen. Ihr erster, dramatisch verlaufener Auftritt fand mit 14 Jahren im Opernhaus von Kairo statt, nach einem Stipendium an der Mailänder Scala begann eine internationale Karriere. Mitte Februar ist Said neben Joyce DiDonato in einer Aufführung von Purcells „Dido and Aeneas“ in der Elbphilharmonie zu hören. Wie Said mit Erfolgsdruck einerseits und andererseits mit den Musical-Hits von Andrew Lloyd Webber groß geworden ist, erzählt sie in diesem Interview.
Hamburger Abendblatt: Über Sie habe ich Überschriften gefunden wie „Diese Stimme kennt keine Grenzen“, „Sie ist das neue Licht aus dem Orient“. Für diese Art von Druck von außen würde ich mich aber herzlich bedanken.
„Druck“ ist ein Gefühl, mit dem ich immer umgehen muss, schon fast mein ganzes Leben lang. Wir haben einen Witz in meiner Familie, wenn wir auf Arabisch drauflosquatschen. Der Name des Vaters gehört immer zum Namen, manchmal auch der Name des Großvaters, bei mir also: Fatma Ahmed Hassan Said. Und öfter sagen wir dann „Fatma Ahmed Druck Said“.
Wie haben Ihr Umfeld, Ihre Familie, die Freunde auf die Ansage „Ich will Sängerin werden“ reagiert? Und nicht nur darauf, sondern auch darauf, dass Sie diese sonderbare europäische Klassik singen wollten?
Natürlich war das schwierig, aber ich musste mich nicht durchsetzen, um klassische Musik zu machen. Die Idee Musik war generell eine Herausforderung. Dass es auf einmal eine Künstlerin in der Familie geben sollte. Der Druck bestand daraus, dass ich damit sehr erfolgreich sein musste. Wenn, dann aber auch sehr, sehr gut, auf höchstem Niveau. Wenn ich irgendetwas unternehme, und sei es das einfachste Hobby, dann immer zu 100 Prozent. 99 Prozent genügen nie.
Fatma Said vor Konzert in der Elbphilharmonie: „99 Prozent genügen nie“
Ist es nicht schrecklich, wenn Sie womöglich bei Engagements darauf reduziert werden, eine muslimische Sängerin aus Ägypten zu sein?
Ich hoffe, dass es nicht der Fall ist, das kann ich nie herausfinden. Aber ich versuche immer, dass meine Kunst für mich spricht. Ich arbeite so hart und ich gebe mir so viel Mühe. Deutsche Lieder zu interpretieren ist so viel harte Arbeit. Ich muss mich stärker vertiefen, ich muss mich mehr kümmern, um die Texte zu verstehen, um bestimmte Wörter, Fachwörter, die nicht in meinem normalen Vokabular sind, auf Deutsch wirklich zu verstehen. Und ich wünsche mir, dass man dann nicht nur sagt „Ja, sie ist talentiert“, sondern: „Das ist wirklich durchdacht.“
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Druck aushalten zu können, liegt bei Ihnen in der Familie. Ihr Vater war nicht nur Politiker, sondern hat als Schwimmer an den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles teilgenommen. Aus Ihnen wäre fast die nächste Steffi Graf geworden, oder fast eine Tänzerin. Diesen Umgang mit Ehrgeiz und Erfolgsdruck haben Sie also von Ihrem Vater geerbt?
Zu 100 Prozent. Aber ich wäre nicht die nächste Steffi Graf gewesen, nur um ganz ehrlich zu sein. Eine Medaille hat er nicht gewonnen, doch damals war es für Ägypten etwas sehr Großes, dort überhaupt zu konkurrieren. Mein Vater hat viel in seinem Leben erreicht, aber am stolzesten auf ihn bin ich wegen der Olympischen Spiele, weil ich weiß, wie viel harte Arbeit und wie viele Opfer es braucht, damit man so etwas erreichen kann.
Wie hart ist es für Sie, mit dieser Art von Einstellung und Willen in diesem Beruf, wenn Sie auf der Bühne merken, dass es heute einfach nicht reicht, egal was Sie anstellen? Drei plus, besser wird es nicht.
Dagegen kann ich nichts tun, solche Abende gibt es. Dann versuche ich, anders zu denken, und wenn ich ein 70-Prozent-Gefühl habe, gebe ich diese 70 Prozent zu 100 Prozent. Man muss aber auch sicher sein, alles getan zu haben, damit eine Performance ein bestimmtes professionelles Niveau nicht unterschreitet. Da gibt es für mich eine rote Linie, weil das Publikum dafür bezahlt hat, ein bestimmtes Niveau zu hören. Habe ich das Gefühl, das nicht erreichen zu können, gehe ich nicht auf die Bühne.
„Bei einem Liederabend kann es sein, dass man mehrmals stirbt“
Beim letzten Mal, als wir gesprochen haben, hatten Sie noch den ersten Bühnentod vor sich. Und Sie wollten unbedingt, dringend auch mal sterben auf der Bühne. Hat das seitdem geklappt?
Nein, es ist noch nicht passiert. Ich sterbe zwar viel, nicht in Rollen, aber ich sterbe die ganze Zeit bei Liedern. In der Oper stirbt man einmal am Ende und das war‘s. Bei einem Liederabend kann es sein, dass man mehrmals stirbt. Es ist nicht so, dass niemand mir eine Rolle angeboten hätte. Ich nehme mir mehr Zeit, um mir die Rollen anzuschauen, in denen ich am liebsten sterben möchte.
Haben Sie das Sterben schon geübt, zu Hause vorm Spiegel?
Ich denke, man kann das Sterben nicht üben. Man kann auch nicht das Leben üben. Man lebt oder man stirbt.
Brauchen Sie am Abend in der Garderobe besondere Rituale: einen Beruhigungssekt, fünf Gummibärchen oder nur unbedingt den linken Schuh als Erstes anziehen?
In der halben Stunde vor meinem Auftritt mag ich es, allein zu sein. Ich mag es sehr, durch meine Texte zu gehen und mich zu erinnern, wo die Probleme waren. Und in den letzten Minuten habe ich diese Sport-Mentalität, diese Rocky-Mentalität: Ich gehe jetzt raus auf die Bühne, es wird toll sein. Diese Energie brauche ich, dieses sportliche Aufwärmen, als ob ich gleich in einen Boxring steigen würde.
Sind Sie bei Rückschlägen nachtragend? Bei „Ted Lasso“ gibt es diese schöne Regel „Be a goldfish“, weil der alle zwei Sekunden wieder aufs Neue vergisst, was gerade war.
Wenn ich mit meinem Auftritt fertig bin, weiß ich immer genau, wo ich die Fehler gemacht habe. Und das ist gut. Es ist mir wichtig, das aufzuschreiben. Aber während man singt, muss man diese Ted-Lasso-Regel anwenden. Wenn man weiter darüber nachdenkt, nur für eine Sekunde, ruiniert man die Sekunde danach. Wenn auf der Bühne etwas schiefgeht, habe ich eher ein Lächeln auf dem Gesicht, das geht bei mir automatisch.
War das schon immer so?
Dazu habe ich eine ganz süße Geschichte, eigentlich aber eine Traumageschichte: Ich war 14 und hatte ein Konzert im Opernhaus in Kairo, meine Gesangslehrerin hatte mich eingeladen, um etwas aus Bachs „Magnificat“ zu singen. Damals hatte ich eine Erkältung. Bei der Generalprobe war noch alles glattgegangen. Dann habe ich mich entschieden, die nächsten drei Stunden gar nicht zu singen, damit ich die Stimme schone. Auch vor dem Auftritt nicht. Ich ging auf die Bühne – und kein Ton kam. Nur Luft. Den Pianisten habe ich angeschaut, dass ich es wieder von Anfang an probieren wollte; wieder angefangen, wieder kein Ton. So ein Schock in den Gesichtern im Publikum! Ich habe gelacht und gesagt: Wie ihr merkt, habe ich keine Stimme, es tut mir sehr leid, aber ich kann heute nicht singen. Danach bin ich wieder hinter die Bühne und habe zwei Tage lang geheult.
„Andrew Lloyd Webber war sehr wichtig“
Weil Sie Kairo erwähnten: Im Januar 2023 haben Sie im Neuen Nationalmuseum gesungen, aber im Oktober 2023 nicht mit Jonas Kaufmann vor den Pyramiden. Weil das Konzert wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig abgesagt wurde. Gab es für Sie von Kaufmann einen Gutschein für einen späteren gemeinsamen Auftritt?
Die Bühne bei den Pyramiden war einmalig, so schön! Alles hochprofessionell geplant, perfekt vorbereitet. Und dann war es wirklich herzbrechend, als es nicht stattfand. Es gab aber keinen Gutschein und Kontakt mit Herrn Kaufmann. Ich habe nur in den sozialen Medien gesehen, dass er ein schönes Sightseeing in Ägypten hatte, dass er die Pyramiden gesehen und mein Land genossen hat.
Auf Ihrem zweiten Album „Kaleidoscope“ singen Sie neben Piazzolla-Tangos und Chansons auch Whitney Houstons „I Wanna Dance With Somebody“, als Ballade. Wie verrückt muss man als klassische Opernsängerin sein, um zu sagen, dieses Stück gehe ich an?
Das hat damit zu tun, dass ich nicht als Opernsängerin angefangen habe. Ich komme nicht aus einer musikalischen Familie, erst recht nicht aus einer klassischen Musikfamilie, das ist in Ägypten unüblich. Als Musik in mein Leben kam, habe ich gehört, was meine Eltern gehört haben. In einem Video, als ich drei Jahre war, bin ich zu sehen, wie ich „Another Brick In The Wall“ von Pink Floyd höre. Später kamen Chris de Burgh, Elton John, Céline Dion, die hat meine Mutter geliebt, Whitney Houston, Mariah Carey. Das war, was wir zu Hause gehört haben, auch Musicals, viele, viele Musicals, viel mehr als Oper. Andrew Lloyd Webber war sehr wichtig, „Phantom of the Opera“, lief immer im Auto, wenn meine Mutter uns zur Schule brachte. Klassischer Gesang kam, als ich ungefähr 13, 14 Jahre alt war. Und während ich klassische Musik studierte, habe ich weiter meine Popmusik gehört. Und ich bin davon überzeugt, dass ich davon, wie bestimmte Popkünstler, Whitney Houston oder Frank Sinatra ihre Musik phrasieren, viel für die Klassik lernen kann.
Am 14. Februar stehen Sie mit Joyce DiDonato in der Elbphilharmonie bei Purcells „Dido and Aeneas“ auf der Bühne, englischer Frühbarock. Wie kam es dazu? Ihr Telefon hat geklingelt, am anderen Ende der Leitung war Joyce DiDonato und sagte: Frau Said, wir müssen reden, ich habe da eine Tournee im Kopf?
Leider hat sie mich nicht persönlich angerufen, das kam über unsere Plattenfirma, weil das Projekt auch aufgenommen wird. Die Idee war, dass wir auch auf Tournee gehen. Ich habe mich sehr gefreut, dass man an mich gedacht hat. Sie ist eine der Sängerinnen, der ich gefolgt bin, als ich jünger war, ich habe mir ihre Meisterklassen auf YouTube angesehen. Als Kollegin auf der Bühne hat man das Gefühl, diese große Sängerin, dieser große Sänger gibt so viel, ich muss mindestens genauso viel wieder zurückgeben.
Also keine Angst davor, dass es so wird wie damals in Kairo mit 14: Sie stehen nebeneinander, der erste Ton soll kommen und es kommt nur Luft?
Ich hoffe, dass ich nicht krank sein werde (lacht).
Es gibt ein sehr lustiges Video mit Ihnen, das „BR-Klassik-Verhör“, da werden Sie in einem Verhörraum mit dummen Fragen bearbeitet. Das allererste, was man Ihnen vorwarf: „Schmuckfimmel“.
Ich liebe Schmuck, vielleicht ist es auch ein Teil der ägyptischen Kultur, dass Frauen sehr viel Schmuck tragen. Meine Großmutter liebte Schmuck. Ich fühle mich sehr nackt ohne Ohrringe, die sind mir am wichtigsten.
„Ägypten ist in meinem Herzen“
Wie kommen Sie mit Heimweh klar? Gerade sind Sie in London. Brauchen Sie regelmäßig ägyptisches Essen, müssen Sie jeden Tag mit der Familie über Facetime sprechen? Vom Wetter mal gar nicht zu reden.
Es ist nie leicht und es wird nicht leichter, weil man reifer wird und deutlicher merkt, wie viel man verpasst. Am Anfang gab es die Freude auf alles, was kommt, neue Chancen, viele Möglichkeiten, viel Neues zu lernen. Dann merkt man, wie weh es tut, von den Eltern entfernt zu sein. Dass sie ohne uns leben müssen, denn meine Geschwister sind auch alle im Ausland. Mit dem Wetter wird es nie besser, das ist wirklich eine Katastrophe. Schneit es, mag ich es gar nicht, und wenn Leute sagen, dass es doch schön aussieht – ist mir ganz egal. Es ist viel schöner, einen blauen Himmel zu sehen. Mit meiner Familie bin ich täglich in ganz engem Kontakt, ich weiß alles, was passiert, manchmal sogar früher als Familienmitglieder, die in Ägypten leben. Ägypten ist in meinem Herzen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich dorthin zurückmuss, sondern ich fühle, dass ich zu meinen Eltern zurückmuss.
Einige schnelle Entweder-oder-Fragen: Piano oder Forte?
Piano.
„Callas, immer Maria Callas“
Das Lieblingsinstrument – und das eigene, also bei Ihnen die Stimme, gilt nicht?
Klavier.
Taylor Swift oder Maria Callas?
Die sind zu unterschiedlich, Maria Callas ist eine Interpretin und Taylor Swift ist auch eine Songwriterin. Aber: Maria Callas, immer Maria Callas.
Tango oder Techno?
Tango.
Mit welchem Komponisten würden Sie gerne über seine Musik reden?
Mozart. Nein: Mozart und Abdel Wahab, er ist sozusagen mein ägyptischer Mozart.
Bier oder Champagner?
Champagner natürlich.
Wann haben Sie zuletzt im Konzert gebuht?
Das habe ich noch nie, weil ich mich immer an die Stelle des Künstlers denke und mir nicht wünsche, dass jemand mich so behandelt. Kann sein, dass mir eine Vorstellung gar nicht gefällt, aber ich muss das nicht so klar machen, ich kann das denken, ich kann darüber reden. Aber ich muss das dem Sänger nicht ins Gesicht sagen.
Was ist typisch Ägyptisch an Ihnen?
Vieles. Manchmal übersetze ich arabische Redewendungen, die bei uns sehr normal sind, ins Deutsche oder Englische, ohne dass ich mir darüber Gedanken mache, und das wirkt sehr komisch. Ein Beispiel: In Ägypten sagt man „Bon Appetit“ oder „Mahlzeit“ nicht nur vor dem Essen, sondern auch während und danach. Manchmal verstehen mich deshalb Leute gar nicht. Ich denke sehr Arabisch.
Welche Superkraft hätten Sie am liebsten?
Viele. Ich möchte fliegen können und ich möchte die Gedanken von Menschen hören können, ich möchte unsichtbar sein und an Orten gehen kann, wo man mich nicht sehen kann.
Was hilft bei Ihnen gegen Lampenfieber?
Atmen. Bei Lampenfieber vergisst man zu atmen, dann hilft es, wenn man wieder atmet.
Welche Musik können Sie überhaupt nicht ausstehen?
Punk ist mir ein bisschen zu viel.
Fatma Said über die Zukunft: „All meine Pläne passieren nicht so, wie ich es möchte“
Sie sagten einmal, dass Sie sich nicht allzu viele Gedanken über die Zukunft machen würden. Das kann ich mir kaum vorstellen bei jemandem wie Ihnen, die so fokussiert ist auf das, was sie erreichen will. In Ihrem Beruf muss man unglaublich diszipliniert sein, sonst fliegt man relativ schnell wieder aus der Kurve.
Ich habe nie gesagt, dass man nicht diszipliniert sein soll. Natürlich ist hundertprozentig wahr, dass ich mir sage: Mir ist alles egal, was kommt, ich genieße den Tag. Lebt man die ganze Zeit in der Zukunft, verpasst man sehr viel von dem, was jetzt passiert. Diese Präsenz ist das Einzige, was wir haben. Natürlich habe ich Träume, ich lebe sehr viel in meinen Träumen. Ich versuche zu träumen, was ich noch schaffen möchte, wie ich in zehn Jahren leben möchte. Aber ich kann nicht planen – all meine Pläne passieren nicht so, wie ich es möchte.
Hauptsache, Sie sterben endlich bald zum ersten Mal auf der Bühne.
Ich hoffe sehr, dass ich vor unserem nächsten Gespräch schon mehrmals gestorben bin.
Sie klingen, als ob Sie nichts weniger gern machen würden, als nach dem Konzertende von der Bühne zu gehen und sich vom Publikum zu trennen.
Ich würde mein Ein und Alles sogar geben, wenn nur eine Person zu meinem Konzert kommt. Ich fühle mich immer unglaublich geehrt. Bekomme ich Applaus, habe ich immer das Gefühl: Ihr müsst nicht klatschen, wenn es euch nicht gefallen hat. Ihr könnt auch ganz ehrlich zu mir sein. Klatscht nicht, obwohl ihr fühlt, dass ich das nicht verdiene. Sind nur wenige Menschen dabei, ist mir das Konzert genauso wichtig. Dann sitzen da die Engel, hat mir mein Professor einmal gesagt.
Konzert: 14.2. Purcell „Dido and Aeneas“ mit Joyce DiDonato, Il Pomo d’Oro u.a. Elbphilharmonie, evtl. Restkarten. Aktuelle Aufnahme: Fatma Said „Kaleidoscope“ (Warner Classics CD ca. 18 Euro)