Hamburg. Für die Ausstellung „Tausend Töpfe“ hat das MARKK die Stadt (und Carsten Brosda) einbezogen. Die Hamburger ließen sich in die Töpfe gucken.

Was als Erstes ins Auge sticht: die langen Fabelwesen aus dunkelgrauem weichem Stoff, die auf dem Boden liegen. So, als würden sie nach einem ausgiebigen Mahl einen Mittagsschlaf halten. Passt irgendwie zur Jahreszeit, in der bei Adventsfeiern, Weihnachtsmärkten und Gänsebraten zum Fest ordentlich geschlemmt wird. Und ums Essen geht es auch in der neuen Sonderausstellung des MARKK: „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“. Die Fabelwesen der Künstlerin Rosanna Graf, die als Sitzkissen für Besucherinnen und Besucher gedacht sind, sollen an die knorrige Alraune-Pflanze erinnern, ein auch in Europa beliebtes Superfood.

Mit dieser Schau betritt das Museum Neuland: „Wie und was wir essen, geht uns alle an“, sagt Direktorin Barbara Plankensteiner. „Um den vielen Facetten des Essens nachzugehen, haben wir uns für Hamburgerinnen und Hamburger geöffnet, die ihr Wissen und ihre persönlichen Geschichten ins Museum bringen und mit den Objekten der weltweiten Sammlungen in Verbindung bringen. Sie erzählen, wie sich in Speisen, Geschmäckern und Lebensmitteln Erinnerungen, Zugehörigkeiten, aber auch Ausgrenzungserfahrungen ausdrücken.“

MARKK-Museum weiß, welche Speise ein Hamburger Senator immer bei sich hat

„Tausend Töpfe“ ist eine sogenannte Outreach-Ausstellung, das heißt, dass das Museum in die Stadtgesellschaft hinausgeht: Die Kuratoren Lara Ertener, Noam Gramlich und Weiqi Wang tauschten sich auf Wochenmärkten mit Menschen über Rezepte aus, luden zu Live-Kochveranstaltungen und Workshops über Geschmacksveränderungen und an Essen geknüpfte Geschichten ein. Sie kontaktierten gezielt Gruppen und Vereine, die eine besondere Perspektive auf Ernährung und Migration, Nachhaltigkeit und Landwirtschaft haben. So kamen insgesamt 39 Personen und Gruppen zusammen, die sich nun in fünf Kapiteln buchstäblich in die Töpfe gucken lassen.

Ausstellung Museum am Rothenbaum - Tausend Töpfe – was Essen uns angeht
Bei einer Aktion auf dem Wochenmarkt vor dem MARKK in Rotherbaum tauschten sich die Kuratoren mit Besuchern über Rezepte und Geschichten rund um Speisen und Lebensmittel aus. © MARKK | Markk Armstrong

Maseho, Afrohanseatin, Aktivist, Kuratorin und Storyteller, ist eine von ihnen. In KI generierten Videocollagen erzählt sie über vergessene Lebensmittel wie den afrikanischen Reis, die Vorteile von Hirse (benötigt beim Anbau weniger Wasser als vergleichsweise Mais) und, dass auf dem afrikanischen Kontinent 80 Prozent der Speisen, die verzehrt werden, nicht von dort stammen, was stellvertretend für die absurden Ernährungskreisläufe weltweit steht. In einer Vitrine sind Erntegeräte für Getreide ausgestellt. Als Kontrapunkt dazu wird Alina Sannmann vorgestellt: Die Geschäftsführerin des Biohofs Sannmann in Ochsenwerder spricht über Misogynie, Maskulinität und queere Potenziale in der Landwirtschaft.

Faszinierend: Wie Geschmäcker und bestimmte Speisen uns prägen und begleiten

„Was ist dein Lieblingsgericht?“, wurden die Schülerinnen und Schüler von zwei neunten Klassen an der Stadtteilschule am Hafen in der Neustadt gefragt. Herausgekommen sind bunte, persönliche Geschichten rund um Börek und Chai-Tee, Teigtaschen und Burger. Was die meisten von ihnen damit verbinden, sind Geselligkeit und Gespräche, die etwa beim gemeinsamen Teetrinken entstehen. Ihre Lieblingsspeisen sollten die Mädchen und Jungen in Tonobjekte formen, so wie man auch ein Brot oder einen Kuchen knetet und im Herd backt. Sie sind auf Tellern angeordnet an eine Wand des Ausstellungsraums angebracht und zieren auch das Plakat zur Ausstellung.

Ausstellung Museum am Rothenbaum - Tausend Töpfe – was Essen uns angeht
Das Plakat zur Ausstellung „Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ zeigt eine Gemeinschaftsarbeit der Stadtteilschule am Hafen. Darin sollten Schülerinnen und Schüler ihre Lieblingsgerichte aus Ton formen. © MARKK, Design: Nicole Schardt | MARKK, Design: Nicole Schardt

Wie stark uns Geschmäcker, Gerüche, bestimmte Gerichte und Lebensmittel prägen, Erinnerungen in uns wachrufen und uns in der Zeit reisen lassen können, erzählt auch die Gastronomin Daria Rizzello von der Trattoria Toscana in Ottensen. Obwohl sie mit Nonna Cecilias liebevoll bewahrtem Pasta-Tisch und Nudelstäben ausgerüstet ist, gelingt es ihr nicht, den Geschmack der Sonntagsnudeln ihrer Oma wiederzuerwecken. Immerhin gibt es das entsprechende Rezept der „Sagne“ abgedruckt für die Museumsbesucherinnen und -besucher.

Live Cooking mit der chinesischen Gemeinde in Deutschland e. V. im Innenhof des MARKK.
Live Cooking mit der chinesischen Gemeinde in Deutschland e. V. im Innenhof des MARKK. © MARKK Foto: Weiqi Wang | MARKK Foto: Weiqi Wang

Welches Lebensmittel Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ständig bei sich trägt

Knoblauch, Ingwer und Reis sind heute überall in Hamburg erhältlich. Das war nicht immer so und liegt an der Migrationsgeschichte Deutschlands. Unter dem Titel „Hamburg halal“ berichtet Sarah Khan-Heiser, 1971 in Hamburg geboren und Pressesprecherin des MARKK, zusammen mit ihren Eltern Ambreena (Hausfrau und Superköchin) und Ijaz Khan (Rentner) in einem Video-Interview über den ersten Halal-Supermarkt in Hamburg, Care-Pakete aus Pakistan, Ausgrenzungserfahrungen wegen des Geruchs von Knoblauch in den 1970er-Jahren, aber auch Momente des Verständnisses und kulturellen Austauschs.

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Auch Hamburgs Kultursenator hat eine Audio-Geschichte zur Ausstellung beigetragen: Carsten Brosda spricht über sein Leben mit Typ-1-Diabetes und wie lebensnotwendig die einfache Zugänglichkeit von Dextrose in seinem Alltag ist. In einem Schaukasten liegen ein Päckchen Traubenzucker, industrielles Massenprodukt, und eine Pillendose. Dieses Utensil, das es schon seit über 2000 Jahren gibt, wird häufig benutzt, um die Einnahme des Zuckers zu dosieren und zu organisieren.

„Tausend Töpfe – was Essen uns angeht“ bis 2.11.2025, MARKK (U Hallerstraße), Rothenbaumchaussee 64, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 9,50/5,- (erm.), www.markk-hamburg.de

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