Hamburg. Er staubte im Depot vor sich hin: Ein chinesischer Buddha-Kopf war 1941 im Hafen konfisziert worden und lagerte im Museum am Rothenbaum.

Kleiner Hörsaal, großes Aufsehen: Auf einem Sockel thronte das Objekt, weswegen sich am Montagmittag eine Delegation von Historikern, Kuratorinnen und Anwälten im MARKK versammelt hatte: der Kopf einer Marmor-Buddha-Statue, 45 Zentimeter hoch, 20 Kilogramm schwer. Zu erkennen sind einige der sogenannten Schönheitsmerkmale des Buddhas, etwa die drei Halsfalten, lange Ohrläppchen, das leuchtende Stirnmal „urnâ“ sowie der Schädelauswuchs „ushnîsha“. Vermutlich stand die Statue einst in einem chinesischen Tempel.

Wie der Kopf ins Museum am Rothenbaum gelangt ist, konnte lange Zeit nicht erklärt werden. Er staubte im Depot vor sich hin. Bis Kuratorin Rahel Wille 2019 bei den Vorbereitungen der Ausstellung „Steppen & Seidenstraßen“ auf die Sammlung Johanna Ploschitzki und den dazugehörigen Buddha-Kopf aufmerksam wurde und zu recherchieren begann. „Von insgesamt sieben Objekten waren sechs chinesische Keramiken aus der Zeit der Tang-Dynastie und mehrere Bücher als Rückgabe im Jahr 1951 verzeichnet, der Kopf jedoch nicht“, sagt ihre Kollegin Jana Reimer, die am Haus in der Provenienzforschung tätig ist. Nun, 76 Jahre nachdem die Kunstsammlerin einen Antrag auf Rückerstattung gestellt hatte, wird er an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben.

Seit 83 Jahren überfällig: NS-Raubgut wird vom MARKK restituiert

Johanna „Hansi“ Ploschitzki lebte in der Vorkriegszeit mit ihrem Mann Hermann Ploschitzki und zwei Töchtern in Berlin. Hermann Ploschitzki war Miteigentümer des späteren Karstadt-Kaufhauses in Potsdam. Nach seinem Tod 1932 fiel sein Vermögen an Johanna Ploschitzki als Vorerbin. Dazu gehörten eine gemeinsame und für sie Ende der 1920er-Jahre entworfene Villa in Berlin-Dahlem und eine umfängliche und prominente Kunstsammlung. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 waren sie und ihre Familie durch ihre jüdische Herkunft von nationalsozialistischer Verfolgung betroffen.

Der chinesische Buddha-Kopf war lange Zeit im Depot des Museums am Rothenbaum; er ist 45 Zentimeter hoch und wiegt 20 Kilogramm.
Der chinesische Buddha-Kopf war lange Zeit im Depot des Museums am Rothenbaum; er ist 45 Zentimeter hoch und wiegt 20 Kilogramm. © Paul Schimweg/MARKK. | Paul Schimweg/MARKK.

Zwischen 1935 und 1939 soll Johanna Ploschitzki mehrfach in die USA gereist sein, wo sie 1939 blieb. Die Kunstsammlerin heiratete in dritter Ehe den Unternehmer Leon M. Share und nahm seinen Namen an. Nach der endgültigen Ausreise in die USA blieb Hansi Shares Umzugsgut, das zur Verschiffung vorgesehen war, in neun Transportkisten im Hamburger Hafen. Wie in vielen vergleichbaren Fällen auch wurde ihr Eigentum 1941 durch die Geheime Staatspolizei konfisziert und der Hamburger Gerichtsvollzieher Heinrich Bobsien beauftragt, die darin enthaltenen Kunst-, Einrichtungs- und Haushaltsgegenstände öffentlich zu versteigern.

Das Museum für Völkerkunde ersteigerte geraubte Kunstgegenstände

Das umfangreiche Protokoll der Anfang Dezember 1941 an der Drehbahn in Hamburg durchgeführten Auktion ist im Staatsarchiv Hamburg verwahrt. Es dokumentiert die einzelnen Positionen und die Namen der Käufer, darunter Kunsthändler, Privatpersonen und Museen. Auch das einstige Hamburger Museum für Völkerkunde (heute MARKK) wird darin erwähnt: Sein damaliger Direktor Franz Termer erwarb mit behördlichen Sondermitteln einen Buchbestand für die Bibliothek und sieben Kunstgegenstände aus Ostasien – darunter der Kopf einer Buddha-Statue.

Wiedergutmachungsverfahren waren für die Betroffenen und Beraubten nach 1945 schwierig und mühsam; oft zogen sie sich über mehrere Jahre hin. Im Fall von Hansi Share dauerte das Hauptverfahren von 1948 bis 1965. Aus den Wiedergutmachungs-Akten geht hervor, dass sie noch 1960 versucht hat, ihre Kunstsammlung auf Grundlage der wenigen Angaben im Versteigerungsprotokoll zu identifizieren. Zu diesem Zeitpunkt ging es bereits um eine finanzielle Entschädigungssumme, die meisten Kunstwerke erhielt die Sammlerin nicht zurück.

Aus der Versteigerungsposition 626 „alter Kopf“ wurde versehentlich „alter Topf“

Den Buddha-Kopf, von dessen Verbleib im Museum in Hamburg sie keine Kenntnis haben konnte, vermutete sie an der Stelle einer als „Steinfigur“ bezeichneten Position, die von einer Privatperson erworben worden war. Dass sie sich hier jedoch auf genau diese Kopfstatue bezog, beweist eine Fotografie aus der Zeit um 1930, die die USC Libraries, University of Southern California, zur Verfügung gestellt hat. Darauf ist die Bibliothek in der Dahlemer Villa des Ehepaares Ploschitzki abgebildet. Der Buddha-Kopf ist im Bild links vom Kamin zu erkennen.

Blick in die Bibliothek der Dahlemer Villa von Johanna und Hermann Ploschitzki um 1930. Der Buddha-Kopf steht im Bild links vom Kamin.
Blick in die Bibliothek der Dahlemer Villa von Johanna und Hermann Ploschitzki um 1930. Der Buddha-Kopf steht im Bild links vom Kamin. © USC Libraries, University of Southern California | USC Libraries, University of Southern California

Doch warum blieb der Buddha-Kopf so lange unrechtmäßig im MARKK? Hier kam die Provenienzforschung, die seit 2021 am Museum zu diesem Thema betrieben wird, zu zwei erstaunlichen Erkenntnissen: Zum einen gab es einen Übertragungsfehler durch Hansi Shares Anwalt: So wurde aus der Position 626 „alter Kopf“ in den originalen Versteigerungslisten versehentlich „alter Topf“ gemacht und entsprechend auch die Rückgabeforderung an das Museum gestellt. Direktor Franz Termer und Geschäftsführer Eduard Dennert, die für das Museum die ansonsten korrekt aufgeführten Gegenstände und Bücher formal bestätigten, erklärten die Position „alter Topf“ jedoch wiederholt als „nicht identisch“.

Direktorin entschuldigt sich für „Verschleierungsstrategien des Museums“

Zum anderen enthält die Museumsakte für diesen Zeitpunkt zwar eine vollständige interne Überprüfung und Bezugnahme auf entsprechende Verzeichnisse der Sammlung von Johanna Ploschitzki. Doch keiner der beiden erwähnte den Buddha-Kopf im offiziellen Schriftverkehr des Verfahrens. Vielmehr zweifelte die Museumsleitung unter Verweis auf eine angenommene „Freiwilligkeit“ der Versteigerung die Rechtmäßigkeit der Rückgabeforderung an.

Parallel zur Erforschung des umstrittenen Objekts erfolgten auch erste Anfragen seitens der anwaltlichen Vertretungen der Erbengemeinschaft Hansi Shares beim MARKK. So konnte Ende des Jahres 2021 im Sinne der Washingtoner Prinzipien ein Restitutionsverfahren eingeleitet werden. „Dies ist ein wichtiger Moment für das Museum. Es ist die erste Restitution eines jüdischen Kulturguts seit vielen Jahrzehnten“, sagte MARKK-Direktorin Barbara Plankensteiner. „Bei den Nachkommen von Frau Share-Ploschitzki entschuldige ich mich für die Verschleierungsstrategien des Museums in den 1950er-Jahren und bedaure es sehr, dass sie so lange auf Gerechtigkeit warten mussten.“ Die Verwechslung von Kopf und Topf erscheine heute absurd; umso erfreuter sei sie, dass das Rätsel aufgeklärt werden konnte.

Hamburger Museum: Der Buddha-Kopf wird noch eine Weile im MARKK bleiben

Hansi Share starb 1981 in Los Angeles; in Kalifornien lebt auch ihr Enkel Steven Maass. Dieser bedankte sich bei dem Museum für die Kooperationsbereitschaft, vorgetragen durch seinen Anwalt Louis-Gabriel Rönsfeld. Sein Kollege, der Anwalt Ewald Volhard, vertritt die andere Erbenseite, Hansi Shares Tochter Marion Tolnai und die American Friends of the Hebrew University. „Dank des proaktiven Einsatzes, vor allem der Provenienzforscherin Jana Reimer, können wir die Rückgabe des Kopfes feiern“, sagte er im Hörsaal. „Die Universität wird gemäß ihrer Satzung die Forschung und die Studierenden in Jerusalem unterstützen.“

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Für die Erben ist nun entscheidend, wie viel der Buddha-Kopf wert ist – denn teilen kann man ihn nicht. Er soll verkauft und der Erlös aufgeteilt werden. Eine Weile wird der Kopf noch im MARKK bleiben. In den kommenden Wochen soll eine Expertin aus Paris nach Hamburg reisen, das Objekt begutachten und einen Restauratoren empfehlen. Dann wird es in ein Auktionshaus übergeben. „Derartige Objekte aus Marmor sind sehr selten“, so Ewald Volhard. „Der Kopf wird vermutlich einen Käufer aus China finden.“