Hamburg. Schostakowitsch und Weinberg? Eine viel zu seltene Kombination, vereint in einem Elbphilharmonie-Konzert der Hamburger Camerata.

„Ich lebte mit dem Vorurteil, dass er nur ein zweitklassiger Schostakowitsch gewesen sei, was für ein Fehler!“, bekannte der für seine Urteilsschärfe gefürchtete Geiger Gidon Kremer, nachdem er zum glühenden Weinberg-Fan und Star-Anwalt geworden war. Mieczysław Weinberg, 13 Jahre jünger als sein stolzer Lehrer und ein enger Freund, war weit mehr als bloß ein begabter Lieferant plumper Imitate. Doch auf die Idee, repräsentative Werke der beiden mit-, gegen- und aufeinander wirken zu lassen, kam so nicht etwa eines der drei großen hiesigen Orchester, sondern die Hamburger Camerata.

Kammermusikalisch-Solistisches im Kleinen Saal der Elbphilharmonie, aus diversen Lebensphasen, mitunter zum Verwechseln ähnlich, aber dennoch mit zwei eigenen Handschriften zu Papier gebracht – das hatte schon der Stilvielfalt wegen theoretisch einen sehr faszinierenden Reiz. Praktisch litt dieser allerdings immer wieder unter, sagen wir mal: ausbaufähiger Detail-Arbeit bei den Camerata-Streichern. Man hörte ihnen zu oft deutlich an, dass ein eindeutiger Unisono-Klang und ungetrübte Intonation keine einklagbare Gottesgabe ist, sondern Ergebnis kollektiver Aufmerksamkeit sein sollte. Ein Problem, bei dem der ansonsten umsichtig ordnende Dirigent Vilmantas Kaliunas nicht mehr allzu viel ausrichten konnte, gespielt ist nun mal gespielt.

Elbphilharmonie Hamburg: Camerata ließ einen unterschätzten Komponisten entdecken

In Schostakowitschs aufmüpfigem Konzertchen für Klavier, Trompete und Streicher bürstete Lilit Grigoryan ihren Part energisch gegen den Strich, der eher nüchterne Klang des Yamaha-Flügels betonte das Anliegen dieser Musik, nicht bloß gefällig sein zu wollen.

Anders interessant wurde im Weinberg-Mittelteil: Seine 4. Kammersinfonie, das allerletzte, 1992 noch vollendete Werk, wirkte wie ein fatalistischer Abschiedsgesang, bis im letzten Abschnitt die Solo-Klarinette (souverän: Johann-Peter Taferner) in eine jener melancholisch bittersüß klezmernden Fantasie-Spielereien verfiel, mit der Weinberg zeitlebens immer wieder eigenwillig überraschte. Einige zarte Triangel-Schläge, die Kaliunas mit rechts mit übernahm, ließen diese Musik eher verlöschen als enden.

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Beim 30 Jahre jüngeren Flötenkonzert, mit Ulrike Höfs als tadellose Solistin, war die Verwechslungsgefahr mit Schostakowitsch riesig, so grazil ironisch, virtuos und verspielt hatte Weinberg diese Bravour-Sause hingeworfen. Abbinder dieser Vergleichs-Werkschau war dann wieder originaler Schostakowisch, dessen zur Kammersinfonie vergrößertes 8. Streichquartett, legendär geworden, weil es mit seinem manischen Kreisen um die vertonte Komponisten-Signatur D-Es-C-H auch eine große, vom Leben verzweifelte Trauer-Arbeit ist. Die Camerata-Streicher gaben ihr Bestes, um dieser Härte, dieser Unerbittlichkeit angemessenen Ausdruck zu verleihen. Und das war an diesem erhellenden Abend nicht wenig.

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