Hamburg. Die Hamburger Kammermusikfreunde feiern in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag – doch altbacken ist der Verein trotzdem nicht.
Am 14. September 1922 erlebt Hamburg einen historischen Moment. Im großen Festsaal des Hotel Atlantic ist das Busch Quartett zu Gast, eins der herausragenden Ensembles dieser Zeit. Es spielt zum Gründungskonzert der „Hamburgischen Vereinigung von Freunden der Kammermusik“, die jetzt ihren 100. Geburtstag feiert.
„Der Name ist natürlich nicht besonders sexy“, räumt der heutige ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins, Ludwig Hartmann ein. „Aber ich finde es eigentlich auch ganz reizvoll, so einen völlig aus der Zeit gefallenen Namen zu haben. Und ich glaube, wir können selbstbewusst behaupten, dass wir trotzdem alles andere als altbacken sind.“
Jubiläum: Hamburger Kammermusikfreunde nicht veraltet
Wohl wahr. Die Hamburger Kammermusikfreunde wirken alles andere als gestrig. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie haben sie einen großen Zulauf und steigende Mitgliederzahlen verzeichnet. Nicht zuletzt durch neue Formate wie etwa die Vorkonzerte der Initiative Jugend-Kammermusik Hamburg. Oder dank Programmideen wie dem Kammermusikfest „Mehr Demokratie wagen!“ im vergangenen September, bei dem das Publikum am Wahlsonntag auch die Stücke selbst auswählen konnte.
Ja, da tut sich was beim traditionsreichen Verein. „Ich kann besten Gewissens sagen, dass wir unser langjähriges Publikum extrem in Ehren halten“, erklärt Ludwig Hartmann. „Aber es ist auch sehr befriedigend, dass mehr und mehr jüngere Menschen kommen.“
Abende blieben vorerst elitäre Angelegenheit
Hartmann – im Berufsleben Musikredakteur bei NDR Kultur – möchte ein breites Publikum in die Konzerte locken. Da hatten seine Vorgänger vor 100 Jahren noch etwas andere Vorstellungen: Die Gründer der neuen Kammermusikreihe – initiiert von wohlhabenden Hamburger Bürgern wie dem Kaufmann und Juristen Emanuel Fehling und dem Bankier Georg Tillmann – wollten nicht nur „die führenden Kammermusikvereinigungen des In- und Auslandes“ nach Hamburg holen, wie es in einer Rückschau von 1970 heißt, sondern dabei auch schön unter sich bleiben.
Die Konzerte der ersten Saison wurden weder beworben, noch von Kritikern besprochen, weil es Privatveranstaltungen waren. Das änderte sich erst ab der Spielzeit 1927/28. Doch mit ehrgeizigen Programmen und hohen Eintrittspreisen blieben die Abende der Vereinigung auch dann noch eine elitäre Angelegenheit.
Festschrift umfasst spannende Aufsätze und Interviews
Das ist heute zum Glück anders. Doch das Streben nach höchster künstlerischer Qualität, das sei unverändert, betont Ludwig Hartmann. „Die Besten der Besten der Kammermusik nach Hamburg zu holen, das betreibt die Vereinigung seit 100 Jahren, und da gehen wir auch keine Kompromisse ein.“ Mit wem dieser hohe Anspruch eingelöst wurde und wird, ist jetzt auch in der Festschrift zum Jubiläum zu lesen. Eine wahre Schatzkiste, nicht nur für eingefleischte Kammermusikfans.
Auf 456 Seiten umfasst das Buch neben spannenden Aufsätzen und Interviews mit Persönlichkeiten wie András Schiff, Mischa Maisky oder Sabine Meyer auch eine Liste aller Interpreten, die in rund 1250 Konzerten bei den Kammermusikfreunden aufgetreten sind. Sie belegt namensprall, dass schon so ziemlich alle Ensembles der Spitzenklasse aus Vergangenheit und Gegenwart zu Gast waren. Die Bandbreite reicht vom Amadeus-, Amar- und Alban-Berg-Quartett über das Beaux Arts Trio, Belcea, Ébène, Hagen, Juilliard, und Melos bis zum Trio Fontenay und dem Zehetmair Quartett. Natürlich stehen die Standardgattungen der Kammermusik wie Streichquartett und Klaviertrio im Zentrum – aber Hartmann und sein Vorstand haben auch schon Bläserquintette wie das Azahar Ensemble oder den Kunstpfeifer Nikolaus Habjan eingeladen.
Drei-Generationen-Gesprächskonzert war ein Herzensprojekt
Die Lust darauf, Neues auszuprobieren, demonstrieren die Kammermusikfreunde auch mit Formaten wie „Auf dem Wasser“, das Interpreten und Gäste mit einer Hafenbarkasse auf der Elbe herumschippert. „Natürlich brummt es da manchmal ein bisschen“, sagt Hartmann. „Aber diese tolle Musik zu hören, während die Landschaft und die großen Pötte an einem vorbeiziehen: Das ist schon etwas Besonderes und sehr hamburgisch.“
Die beiden Haupt-Heimaten der Konzertreihen sind jedoch die Laeiszhalle und, seit 2017, auch die Elbphilharmonie. Dort hat die Vereinigung im Laufe der Jahrzehnte viele unvergessliche Höhepunkte präsentiert. Ein besonderes Herzensprojekt, so Hartmann, sei etwa das Drei-Generationen-Gesprächskonzert mit der Cellistin und KZ-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch, ihrem Sohn, dem Cellisten Raphael Wallfisch und dem Enkel Simon Wallfisch gewesen.
Jubiläum: Kammermusikfreunde dankt Förderern
Ähnlich eindrucksvoll und wichtig: Das Wochenende mit allen 17 Streichquartetten von Mieczysław Weinberg im Oktober 2019, zum 100. Geburtsjahr des 1996 verstorbenen und lange Zeit vergessenen Komponisten. „Ein Festival, bei dem uns viele für verrückt gehalten haben“, bekennt Hartmann. „Aber künstlerisch war das einfach hervorragend.“
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Solche Projekte sind natürlich nicht das, was man Kassenschlager nennen würde. Umso dankbarer ist Hartmann allen Förderern der Kammermusikfreunde – darunter die Behnke Stiftung, die die Vereinigung seit etwa zehn Jahren unterstützt. „Das ist ein Riesen-Glück für uns und geradezu lebensnotwendig. Dadurch können wir erheblich mehr wagen.“ Dieser Wille, etwas zu wagen, spiegelt genau die Risikofreude, die große Kammermusik oft auszeichnet. Das hilft dabei, auch mit 100 Jahren geistig jung zu bleiben.
Nächste Termine: Porträtkonzert Tetzlaff Quartett So 18.9., 20.00, Laeiszhalle; „Musik, die man stinken hört“ – Abwege der Musikkritik Mo 19.9., 19.30, Elbphilharmonie, Kleiner Saal; Kammermusikfest „Jahrhundert-Impressionen“ So 25.9., 20.00, Elbphilharmonie, Großer Saal