Hamburg. Aus einem Text von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat Regisseur Falk Richter eine Inszenierung für die große Bühne geschaffen.
- Nach der erneuten Wahl von Donald Trump schrieb Elfriede Jelinek ihren Text „Endsieg“
- Vor allem in der ersten Hälfte gibt es grandios komische Szenen
- Zur Musik des Abends gehört auch John Denvers romantisch verklärtes „Take Me Home, Country Roads“
„Jetzt werden wir bald freier, sicherer, gesünder werden! Der Herr wird bald kommen, oh, ich sehe, er ist sogar schon da!“, schon die Eingangszeilen des neuen „Gedichts“ von Elfriede Jelinek klingen eher nach einer Drohung als einer Verheißung. Julia Wieninger, Josefine Israel und Sandra Gerling rezitieren sie schneidend, in elegante Roben gekleidet, aus den Logen und dem Rang des Schauspielhauses heraus. Wer mit „Der Herr“ gemeint ist, muss man nicht erklären: Donald Trump, frisch zum zweiten Mal zum Präsidenten der USA gewählter Republikaner mit einer gefürchteten antidemokratischen Agenda.
Es war klar, dass die österreichische Literaturnobelpreisträgerin wie so häufig als Durchlauferhitzerin der Gegenwart die Tinte nicht würde halten könne und ihren assoziativen Gedankenstrom kaum vier Wochen nach der Wahl in einen neuen Stücktext, ein Gedicht, gießen würde. Es trägt nun den beklemmend provokativen Titel „Endsieg“ und kann als dunkles Nachspiel zu „Am Königsweg“ vor acht Jahren gelesen werden. Regisseur Falk Richter – der auch „Am Königsweg“ bildgewaltig und einfallsreich auf die Schauspielhaus-Bühne gebracht und dafür zahlreiche Preise erhalten hatte – ist das waghalsige Experiment eingegangen, dies in nur zwei Wochen tatsächlich in eine Art Inszenierung zu verwandeln. Der furchtlose Regisseur kennt sich bestens aus mit der Autorin und ihrem Werk. Außerdem ist er den Ensemblemitgliedern verbunden, die eigentlich für eine kurzfristig verschobene Premiere vorgesehen waren.
Donald Trump als grotesker Messias am Schauspielhaus
Als Premiere war dieser Abend nicht angekündigt, sondern vorsichtig als „Erstpräsentation“ betitelte szenische Skizze, doch die hat schon erstaunlich viel Kontur und einigen Unterhaltungswert. Die von Nina Wetzel gestaltete Bühne ziert ein Ehrfurcht gebietender Altar, ein riesiges leuchtendes Kreuz segelt aus dem Schürboden herab. Keine Frage, hier erhebt sich jemand zum quasi religiösen Herrscher, wie ein Messias getragen von den Evangelikalen, auf dessen Altar aber einiges geopfert werden dürfte. Da können sich die Abgehängten und Ausgegrenzten noch so freuen und am Bühnenrand Plakate schwenken mit Parolen wie „Queers for Trump“ oder „Latinos for Trump“, sie dürften womöglich bald eine bittere Enttäuschung erleben. Wo „Am Königsweg“ die Trump-Figur mit schrill überzeichneten Pop-Mitteln ins Lachhafte zog, geht es nun um das Volk, das ihn gewählt und zu seinem „Erlöser“ gekrönt hat.
Gerade in der ersten Hälfte destilliert Falk Richter daraus grandios komische Szenen. Da wird in Slow Motion das Attentat von Pennsylvania auf die von Mirco Kreibich mit wirrem Blondhaar und Dornenkrone Jesusgleich gegebene „Lichtgestalt“ nachgestellt. Eine Anspielung auch darauf, dass viele glauben, Gott persönlich habe eingegriffen und ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. „Und auch die Kugel war so frei, sie pfiff vorbei und nahm ein Stück mit, mehr hat sie nicht gekriegt, das hatte sie nun davon“, heißt es lakonisch im Text, der nebenbei zu den besten der Autorin seit einiger Zeit zählt. Umringt von seinen Verehrerinnen und Verehrern hebt Kreibich zu einer Rede an, in der er das große Nichts der Worthülsen schier endlos auswalzt – bis der Anhängerschaft zu seinen Füßen die erhobenen Arme erlahmen und die Gesichtsmuskeln erschlaffen. Der Tänzer und Performer Frank Willens, Gast auch schon bei „Am Königsweg“, hebt im Raketenpulli zu einer fulminant improvisierten Rede an, und animiert den Saal launig zum viral gegangenen Trump‘schen Wahlkampftanz.
Bedrohungen gegen die Errungenschaften des Liberalismus und der Demokratie
Es sind Momente wunderbar aufspießender Persiflage und man möchte so gerne darüber lachen, wenn es alles nicht so entsetzlich wäre. Denn natürlich stehen über allem die angekündigten Bedrohungen gegen die Errungenschaften des Liberalismus und der Demokratie. Meist flackern sie in überfordernd schnell geschnittenen Videos von Sébastien Dupouey und Michel Auder über eine Leinwand: Bilder des Hass besessenen Ku-Klux-Klan-Geheimbundes, von Aufmärschen wütender „White Supremacy“-Anhänger dazu Demokratieverächter, posierende Waffennarren und gewissenlose Großunternehmer. Richter bleibt nicht beim US-amerikanischen Kontext, lässt auch Bilder europäischer Führungsfiguren rechter populistischer Parteien projizieren. Auch dabei: das Potsdamer Treffen der Neurechten.
Das gesamte Ensemble – neben den bereits Genannten auch Mehmet Ateşçi und Christoph Jöde – meistert den Abend mit eindrucksvoller Textsicherheit. Dennoch ist es vor allem ein Stück der starken Frauen. In die Trauerfarbe Schwarz gehüllt wandelt Julia Wieninger als eine Art Wiedergängerin der Autorin Jelinek durch die Szene. Auch wenn sich der Text im zweiten Teil des Abends mitunter in Schleifen bewegt, die anstrengen und für Längen sorgen, gelingen Falk Richter und seinem Team doch große Theatermomente. Die Relevanz des Abends überstrahlt zudem jede Halbfertigkeit.
- Deutsches Schauspielhaus Hamburg: Péter Nádas‘ „Der eigene Tod“
- Polarkreis-Theater in Hamburg: Das Publikum muss ganz schön frieren
- Junges Schauspielhaus: Schöne Menschen werden besser behandelt
Per Greenscreen werden das Landleben, das Öl, die Schafe und die brav die Finger blutig stickende Hausfrau beschworen, während Josefine Israel John Denvers romantisch verklärtes „Take Me Home, Country Roads“ anstimmt. Auch die Drehbühne fährt einiges auf: Männer im Karohemd am dampfenden Grill, einen Boxer mit Lust auf Krawall. Passenderweise singt Julia Wieninger auch noch Mazzy Stars „Fade Into You“ – eine 90er-Jahre-Ballade, die von den Schmerzen enttäuschter Liebe erzählt, wie sie womöglich auch bald Teile der US-Wählerschaft heimsuchen werden. Nämlich dann, wenn der als „Schatten“ auftretende superreiche Technikunternehmer das Staatsgefüge umkrempelt für seinen nun in eine absolutistische Robe gehüllten, allmächtigen „König“. „Endsieg“ bleibt dabei eine von Hellsichtigkeit, Ironie und Wortspielen getragene gedankliche Momentaufnahme und keine tiefgehende Analyse: „Der Herr muss nur noch kommen. Ah, wir sehen: Er ist schon angekommen. Er ist da. Jetzt ist er da. Er war nie weg, jetzt aber ist er ganz da. Für uns. Willkommen!“
„Endsieg“ weitere Vorstellungen 6.1., 24.1., jew. 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!