Hamburg. Nach dem Tod seiner Partnerin zog sich Falke ins Kloster zurück. Dann ist ein Priester tot. Fake ermittelt – dieser harte Fall ist speziell.

Ein neuer, richtiger Hamburg-„Tatort“ ist weiterhin nicht wirklich in Sicht. Falke und Grosz, das Ermittlerduo von der Bundespolizei, übernahm den Job zuletzt 13 mal, wobei nicht immer in der Hansestadt ermittelt wurde. Bis dann dieses Team zuletzt hochdramatisch das Zeitliche auf dem Bildschirm segnete, als die Ermittlerin dran glauben musste.

Tatort in der ARD: Um was es in „Schweigen“ mit Wotan Wilke Möhring genau geht

Grosz ist also tot, sie wurde auf dem Kiez erstochen. Falke (Wotan Wilke Möhring) plagen seitdem Albträume, auch im Kloster in der Eifel (gedreht wurde diese neue vom NDR produzierte Folge in der Abtei Mariawald in Heimbach), in das er sich zum Retreat zurückgezogen hat. Er nennt das selber so, das Beten und Arbeiten mit den Mönchen, Priestern und anderen: Retreat. Der Rückzug als Bewältigungsmaßnahme, die dann entschieden behindert wird, als sie quasi schon vorbei ist. Pastor Wigald Otto (Hannes Hellmann), ein auf Glaubensmission weitgereister Mann, verbrennt in seinem auf dem Klostergelände geparkten Wohnwagen.

Falke ist dann schnell wieder im Dienst, und die neue „Tatort“-Folge „Schweigen“ gibt Falke-Darsteller Möhring ebenso fix die Möglichkeit zu glänzen. Vielleicht ist es aber auch das Team (Regie Lars Kraume, Buch Stefan Dähnert) hinter diesem „Tatort“, das für das Gelingen einer schwierigen Szene einen Teil der Verantwortung trägt. Wie zeigt man eine Szene, in der ein Mann, Vater eines (erwachsenen) Kindes auch, sich Hunderte pornografische Aufnahmen von 9- bis 13-jährigen Jungen anschaut? Hier gelingt es: Möhring hockt übernächtigt und verstört vor den Dias, man sieht sein Gesicht in Großaufnahme, gestresst, er schaut weg.

Heikles Thema im NDR-„Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring: Sexueller Missbrauch in der Kirche

Der Krimi nimmt sich also eines heiklen Themas an: sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen in der Kirche. Gemeinsam mit der Dorfpolizistin Eve Pötter (Lena Lauzemis) entdeckt Falke die Schreckenssammlung des Glaubensmannes. Flippt aus, beschimpft die Kirche, es ist der gerechte Zorn eines Mannes, den „Tatort“-Fans ohnehin als Temperamentbolzen kennen. Pötter ist praktizierende Christin, sie geht bei den Ermittlungen im Kirchenumfeld, zu dem auch Domvikar Billing (Sebastian Blomberg) gehört, behutsamer vor.

Tatort: „Schweigen“
Ein Toter auf dem Klostergelände: Kommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), Kommissarin Eve Pötter (Lena Lauzemis), Polizeihauptmeister Schültke (Michael del Coco) und Bruder Jonas (Falilou Seck, v.l.) tappen buchstäblich im Dunkeln. © NDR/Kai Schulz | NDR/Kai Schulz

Falke stößt schnell auf einen geistlichen Pädo-Ring, und man fühlt sich jedes Mal erleichtert, wenn er tobt wegen der Zustände im scheinheiligsten aller Sozialräume. Am Ende wird sich einer erhängen, und man macht sich dann so seine Gedanken über die Opfer, die Täter werden, und das lebenslange Leiden, in das Missbrauchsopfer befördert werden. Florian Lukas spielt den zerquälten früheren Klosterschüler Daniel, den die Dämonen der Vergangenheit jagen: eine gute Besetzung.

„Tatort“ im Ersten: Möhring ermittelt wegen Kindesmissbrauchs

Es gibt wenig Hoffnung in diesem Krimi, kein Wunder. Wie in der Wirklichkeit, in der nach der katholischen auch die evangelische Kirche ins Visier gerückt ist, kommt die Institution nicht gut weg. Die Gedrängtheit der Bedrohungslage wird gesteigert, als das Storyboard den minderjährigen Sohn der lokalen Ermittlerin Pötter mit Aplomb in die Szenerie schreibt. Er war der Liebling des die Fußballmannschaft coachenden toten Pfaffen. Und in der Tatnacht unter Umständen im Wohnwagen, genau wie der viel ältere, im Leben gestrandete Daniel, den eine Bromance mit dem aus Hamburg zugereisten Klostertouristen Falke verbindet.

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Falke wollte an der Arbeit, Ruhe und Abgeschiedenheit genesen, nun zieht er gegen das Kloster zu Felde. Dieser „Tatort“ hat ein emotional enorm besetztes Thema, und man kann sich am Ende nur kurz fragen, ob die katholische Kirche hier ins wirklich genau richtige Licht gerückt wird. Dass es nicht einen einzigen Geistlichen gibt, dem man als Betrachter Sympathie entgegenbringen kann, ist tatsächlich konsequent. Kirchenleute als verschwiegene Weggucker, das ist das Muster, das in der Realität all zu oft anzutreffen war. Dem insgesamt gekonnt inszenierten Krimi gelingt es, die bekannten Mechanismen des Missbrauchs glaubwürdig zu zeigen.

„Tatort: Schweigen“ 1.12., 20.15 Uhr, ARD

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