Hamburg. Janine Jansen, der Dirigent Sakari Oramo und das NDR Elbphilharmonie Orchester präsentieren sich mit einem originellen Programm in Bestform.
Giuseppe Verdi? Ist das nicht der mit den Mitsingmelodien und dem verlässlichen „Hm-ta-ta-ta-ta-ta“ in den Begleitstimmen? Nicht, wenn Sakari Oramo das NDR Elbphilharmonie Orchester dirigiert. Der wuchtet die ersten Akkorde der Ouvertüre zu Verdis Oper „La forza del destino“ wie Säulen in den Großen Saal der Elbphilharmonie. Statisch, gnadenlos, unverbunden. Dazwischen hasten, murmeln und drängen die Streicher. Sie ahnen schon um die titelgebende Macht des Schicksals. Als die Holzbläser ihren Klagegesang anstimmen, ist das tränenlose Trauer. Fadengerade, ohne ein Gramm Pathos. Das meiste spielt sich ohnehin in den Pausen ab, die Oramo unter eine fast unerträgliche Spannung setzt.
Elbphilharmonie: Grandioser Abend zwischen Stille und Ufftata
Eins ist mal klar: Hier gehts nicht um simplen Herzschmerz, hier gehts ums Ganze. Nach Logik darf man nicht fragen bei der Handlung dieser Oper, aber Blut fließt reichlich. Passend dazu sind die Bühnenrückwände rot erleuchtet. Und passend dazu spielt das Orchester wie um sein Leben. Wie frisch gewaschen wirkt es, nachdem es in jüngerer Zeit gelegentlich einen eher matten Eindruck hinterlassen hatte.
Wie gut die Chemie zwischen Oramo und den Musikerinnen und Musikern funktioniert, zeigen sie im Verein mit der Geigerin Janine Jansen auch beim Violinkonzert von der Schwedin Britta Byström, einem Ko-Auftragswerk des NDR, uraufgeführt im Mai in Stockholm. Die Komponistin hat sich eine originelle Struktur ausgedacht: Das Konzert besteht aus sechs Sätzen, je drei für Tag und Nacht, die sich in der Länge Richtung Nacht verschieben. Byström findet immer neue, berückende Klänge für die Geräusche der nächtlichen Stille, die ja, sind die Ohren erst mal geschärft, eben keine Stille ist. Da seufzt im Schlagwerk ein Käuzchen, und natürlich bringt im Hintergrund das Glockenspiel den Sternenhimmel zum Funkeln, aber es geht beileibe nicht nur platt naturalistisch zu. Wenn die Blechfraktion auf den Mundstücken ein kollektives Glissando produziert, ist das optisch ein witziger Effekt, zugleich zahlt der Klang aber verblüffend auf die Gesamtwirkung ein.
Die Komponistin wird auf der Bühne der Elbphilharmonie bejubelt wie ein Star
Jansen gibt alles an Intensität. Hier und da streut sie beiläufig virtuose Verzierungen über die Musik, vor allem aber bannt sie das Auditorium mit den ewig langen Melodiebögen. Selbst an den äußerst leisen Stellen ist der warme, körperhafte Klang ihrer Stradivari (Vorname „Shumsky-Rode“) im ganzen Saal zu hören. Die Menschen sind spürbar gebannt. Als die Komponistin auf die Bühne kommt, wird sie bejubelt wie ein Star. Wer hätte so etwas vor, sagen wir, zehn Jahren für möglich gehalten?
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Als zweite Konzerthälfte servieren die Beteiligten ein Werk, das hierzulande nur selten zu hören ist, in seinem Heimatland Großbritannien aber ein Dauerhit, nämlich Elgars Zweite. Schon die theatralische Aufwärtsgeste der Geigen nach oben zu Beginn markiert den Anspruch des Komponisten: Diese Sinfonie umfasst die Welt. Mit allen Brüchen und Abgründen, aber von unerschütterlichem Optimismus. Das Edel-Ufftata eines „Pomp and Circumstance“ ist nie fern. Und damit eine Selbstgewissheit, von der wir in diesen Tagen einiges brauchen könnten.
Das Konzert wird am 24.11. um 11 Uhr wiederholt. Restkarten unter www.elbphilharmonie.de
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