Hamburg. „Spiegel“-Redakteurin gibt Einblick in investigative Recherchen. Wie sich unser Umgang mit strukturellem (Macht-)Missbrauch verändert.
Wie hat #MeToo unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt verändert? Mit dieser Frage beschäftigt sich Juliane Löffler in ihrem Buch „Missbrauch, Macht & Medien“. Im Fokus stehen struktureller Machtmissbrauch und wie die „Spiegel“-Journalistin das Thema in den journalistischen Arbeitskontext einordnet. Auf Kampnagel hat sich ihre Hamburger Leserschaft versammelt, augenscheinlich sind nur wenige Männer vor Ort.
Löffler ist seit 2022 Redakteurin beim „Spiegel“ und veröffentlicht regelmäßig im Themenbereich sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch. Für ihre Recherchen zu Ex-„Bild“-Chef Julian Reichelt wurde sie 2021 vom „Medium Magazin“ als Journalistin des Jahres ausgezeichnet. Im Oktober ist nun ihr erstes Buch erschienen.
Journalistin aus Hamburg zu sexueller Gewalt: „Missbrauch existiert überall“
2017 bildete der Hashtag MeToo den Ausgangspunkt einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt und den gesellschaftlichen Strukturen, die sich dahinter verbergen. „Missbrauch existiert überall. Beruflich, privat und oftmals in den Graubereichen dazwischen“, heißt es dazu im Buch. Löfflers Perspektive ist die einer Journalistin, die sich über Jahre mit dem Thema befasst und mit unzähligen Quellen über ihre Erfahrungen gesprochen hat. Das alles hat sie nun in einem Buch gesammelt.
„Im Journalismus haben wir immer nur begrenzt Platz, diese Geschichten zu erzählen“, erklärt sie am Mittwoch. Betroffenen würde im öffentlichen Diskurs schnell die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Deshalb komme es auf einen sensiblen Umgang mit Informantinnen an, Persönlichkeitsrechte und Objektivität müssen gewahrt werden – auch in Bezug auf Beschuldigte. Aber niemand müsse Verständnis für gewaltsame Handlungen haben, sagt sie, auch eine Journalistin nicht: „Es gibt die Pflicht zur Objektivität im Journalismus, nicht zur Neutralität“, heißt es ergänzend im Buch. Trotz der Komplexität des Themas gelte es, bei den Fakten zu bleiben und sich an die journalistischen Regeln zu halten.
Das Thema ist so komplex, dass sich Löffler auch beim Vorlesen verhaspelt
Ein unfreiwilliges Beispiel für diese Komplexität gibt sie beim Vorlesen: Löffler verhaspelt sich ob der multiplen Konjunktiv-Formulierungen, die den Textabschnitt rechtssicher machen, aber gleichzeitig auch die Lesbarkeit beeinflussen. Die anonymisierte Wiedergabe des Verhältnisses zwischen einem Dozenten und einer Studentin verdeutlicht beispielsweise, wie sexualisierte Gewalt auch ein schleichender Prozess sein kann: Begibt die Studentin sich einmal in die Abhängigkeit zu dem höhergestellten Dozenten, ist sie sukzessive stärker von seiner Förderung abhängig – sei es nun der Werkstudentenjob oder die in Aussicht gestellte Promotion. Die Folge: Er nutzt seine Position aus, um sie von sexuellen Praktiken zu überzeugen, die sie eigentlich nicht durchführen möchte. Gerade hier könne die Situation für Betroffene aussichtslos erscheinen, erklärt Löffler, denn eine Kontrollinstanz sei aufgrund der „geheimen“ Beziehungsdynamik oft nicht vorhanden.
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Vielen Geschädigten falle es auch noch im Nachhinein schwer, die Kontrolle an die Medien abzugeben. Dazu komme auch der Umgang mit Quellen, die mit der Berichterstattung nicht zufrieden sind. „Es gibt einen Abstumpfungseffekt“, beantwortet sie die entsprechende Frage der Moderatorin. Manchmal erwische sich Löffler dabei, im Gespräch mit Quellen ungeduldig zu werden. Doch dann ermahne sie sich: „Das sind nicht hauptberuflich Quellen, sondern Menschen, die mir aus ihrem Leben erzählen“, sagt Löffler. Immer wieder seien die Gespräche allerdings auch „überraschend berührend“.
„Missbrauch, Macht & Medien“: Buch gibt einen Einblick in Löfflers journalistische Arbeitsweise
Branchenweit war Journalismus lange männlich geprägt. Mittlerweile sei der Frauenanteil in den Redaktionen immerhin größer, das Gros der investigativen Recherchen zu dem Thema stammt weiterhin von Journalistinnen. Deshalb soll das Buch einen Einblick in ihre journalistische Arbeitsweise ermöglichen: zum Quellenschutz, zum Umgang mit sensiblen Informationen und dem Umgang mit dem erdrückenden Thema: „Es kann sich schon sehr einsam anfühlen“, gibt Löffler zu.
Eine Abschlussfrage aus der Zuschauerschaft rückt den Wahlsieg Trumps in den Fokus, dessen Präsidentschaft, so fürchtet die Fragestellerin, gesellschaftliche Fortschritte in dieser Hinsicht wieder rückgängig machen könnte: „Das bedeutet jedoch nicht, dass die Menschen aufhören, über ihre Erfahrungen zu sprechen“, antwortet Löffler entschlossen. „Wir nutzen Wörter wie Sexismus, benennen Femizide als solche. Das ist Sprache, die man nicht einfach wieder zum Verstummen bringen kann.“
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