Hamburg. Der Sammler Alexander Schröder hat der Galerie der Gegenwart die größte Schenkung seit Bestehen gemacht. Was hat das Publikum davon?

Allein das Bild, das als Plakatmotiv für die Ausstellung „In.Sight“ gewählt wurde, hat es in sich: Zu sehen ist das Schwarz-Weiß-Porträt eines Mannes, zwei Drittel des Gesichts sind jedoch von einem angebissenen Apfel verdeckt. Nur der akkurat gezogene Scheitel, ein Teil der Stirn und die rechte Augenbraue sind zu erkennen.

Der dänische Konzeptkünstler Henrik Olesen, Jahrgang 1967, hat es mit Tintenstrahldruck auf Papier gebracht. Die Abkürzung „A.T.“ bezieht sich auf den britischen Kryptowissenschaftler Alan Turing, der entscheidende durch Enigma verschlüsselte Codes der deutschen Armee knackte und somit mutmaßlich zur Verkürzung des Zweiten Weltkriegs führte. Aufgrund seiner Homosexualität wurde Turing ausgegrenzt, 1954 beging er Selbstmord.

„Angeblich durch einen vergifteten Apfel, den man bei ihm fand“, erzählt Brigitte Kölle, Leiterin Kunst der Gegenwart an der Hamburger Kunsthalle. Und es gibt noch weitere spannende Bezüge: Unweigerlich denkt man bei dem Motiv an das berühmte Apple-Logo.

IN.SIGHT
Die Schenkung Schröder
22. November 2024 bis 6. April 2025
Henrik Olesens Werk „A.T.“, ein Tintenstrahldruck auf Papier von 2019, ist Teil der Schenkung des Sammlers Alexander Schröder an die Galerie der Gegenwart und in der Ausstellung „In.Sight“ zu sehen. © Hamburger Kunsthalle, Schenkung Alexander Schröder, 2024 © Courtesy Galerie Buchholz | Hamburger Kunsthalle, Schenkung Alexander Schröder, 2024 © Courtesy Galerie Buchholz

Das Werk kann stellvertretend für die Sammlung des Berliner Galeristen Alexander Schröder betrachtet werden: „Die gesellschaftskritischen künstlerischen Positionen von den 1970er-Jahren bis heute legen Sichtweisen offen und hinterfragen bestehende Normen in Bezug auf Institutionen, Geschlechtsidentitäten, Nationalstaatlichkeit und Kolonialismus“, so Kölle. 63 bedeutende Arbeiten aus dieser Sammlung hat Schröder nun der Galerie der Gegenwart geschenkt; es ist die größte Gabe seit ihrem Bestehen und wurde mit einem opulenten Director‘s Dinner in der Kunsthalle gefeiert. Die laut Direktor Alexander Klar „großartige Erweiterung der Gegenwarts-Sammlung und fast schon prophetische Werke in Bezug auf Queerness, Feminismus und Migration“ sind in der Ausstellung „In.Sight“ in der dritten Etage der Galerie zu besichtigen.

Sammler Schröder: „Sich von Kunstwerken zu trennen, muss manchmal wehtun“

Die vietnamesische Künstlerin (und neuerdings Professorin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, HFBK) Sung Tieu, Jahrgang 1987, verweist in ihrem Beitrag auf ihr Aufwachsen in Berlin-Marzahn als Kind eines mehr geduldeten als gewollten Leiharbeiters. Ein Koffer zeigt die Dinge, die in dortigen Fabriken hergestellt wurden: ein Schachspiel von VEB Keramische Werke Hermsdorf, ein Handtuch von VEB Frottana und ein Wecker von VEB Ruhla. Eine wichtige Arbeit ist auch die „feministische Fotomontage“ „Cargo Cult“ (1966-72) der 81-jährigen US-Künstlerin Martha Rosler, mit der sie rassistische Strukturen anprangert: Darauf zu sehen ist ein Schiff, das von schwarzen Arbeitern mit Frachtcontainern beladen wird. Die Container zeigen die Gesichter weißer Frauen, die sich schminken.

IN.SIGHT
Die Schenkung Schröder
22. November 2024 bis 6. April 2025
Sung Tieus Arbeit „Juncture“ von 2022 zeigt in der damaligen DDR gefertigte Produkte. Die Vietnamesin wuchs in Berlin-Marzahn auf. © Hamburger Kunsthalle, Schenkung Alexander Schröder, 2024 © Courtesy the artist und Trautwein Herleth, Berlin | Hamburger Kunsthalle, Schenkung Alexander Schröder, 2024 © Courtesy the artist und Trautwein Herleth, Berlin

Den Anfang und das Ende des durch den quadratischen Ungers-Bau vorgegebenen Rundgangs bestreiten die Künstler Félix González-Torres und Manfred Pernice mit ihren Installationen: Während Torres‘ Vorhang aus zartem Stoff die Aussicht auf die Alster verhüllt, stehen die containerartigen Elemente von Pernice für die Sperrigkeit des Berlins um die 1990er-Jahre – übrigens die Gründungszeit der Galerie Neu von Alexander Schröder. „Eine spannende Zeit, in der vieles möglich war und ich das Glück hatte, viele Künstlerinnen und Künstler kennenzulernen“, so der Sammler, der 1994 seine erste Kunst kaufte: Papierarbeiten des Kölners Kai Althoff.

Mehr Ausstellungen

Das Sammeln von Kunst hat Schröder von seinen Eltern geerbt. Und ebenso wie sie ist auch er, der in Berlin geboren wurde, aber viele Jahre in Hamburg lebte, der Kunsthalle eng verbunden. „Ich erinnere mich an die Eröffnungsfeier der Galerie der Gegenwart 1997, ein rauschendes Fest. Sich von Kunstwerken zu trennen, muss manchmal wehtun. Aber ich bin sehr glücklich und stolz, dass ich nun ein Stockwerk mit meiner Kunst bespielen darf.“

„In.Sight. Die Schenkung Schröder“ 22.11.–6.4.2025, Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 16,-/8,- (erm.), www.hamburger-kunsthalle.de

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