Hamburg. Ein fulminanter Auftritt für vier Meister ihres Fachs im Großen Saal der Elbphilharmonie. Vor allem eine Schlagwerk-Legende ist furios.
Vielleicht hätte das Konzert der Jan Garbarek Group featuring Trilok Gurtu im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie den umgekehrten Titel verdient. Denn die indische Schlagwerk-Legende Trilok Gurtu drischt von der ersten Sekunde an auf die Felle ein, bedient unermüdlich diverse Perkussionsinstrumente, singt traditionelle indische Kathak-Gesänge, versetzt mit Händen, Füßen, Stimme alles in rhythmische Schwingung – und dominiert damit scheinbar mühelos den Abend.
Der feine, zurückhaltende Norweger Jan Garbarek überlässt seinem langjährigen Jazzkomplizen aber gern den Raum. Und behauptet sich daneben mit ungewohnt expressivem Spiel auf dem Saxofon. Meist gibt er eine seiner typisch eingängigen, liedhaften Melodien vor. Dann wechselt er in die Improvisation, tritt zurück, überlässt seinen drei Mitstreitern das Feld, und da wird einiges umgepflügt.
Jan Garbarek Group in der Elbphilharmonie: Brüninghaus sorgt für überraschendsten Solomoment
Jeder der vier Musiker absolviert seinen ausführlichen Soloauftritt. Eine gelungene Dramaturgie, die mit gängigen Traditionen von Jazzabenden bricht und das Konzert angenehm abwechslungsreich gestaltet. Alle vier sind ausgewiesene Meister ihres Fachs.
Zuerst darf der brasilianische Bassist Yuri Daniel seinen Double Bass mit diversen Motiven zu einem vollen Klangerlebnis sampeln. Mal streift er sanft über die Saiten, mal lässt er die Finger tanzen und am Schluss wird auch noch fröhlich geslappt. Trilok Gurtu verschanzt sich hinter gleich mehreren Schlaginstrumenten, Becken, Hi-Hats und Snare-Drums. Mal bedient er auch mit großer Fingerfertigkeit eine Sitztrommel, dann wieder bis zur Ekstase indische Tablas.
Wirklich experimentell wird sein Spiel am Schluss bei einem Geräuschkonzert aus Pfeifen, Gesängen, Rascheln und Rauschen, das das Publikum im Nu in die Tierwelt des Dschungels versetzt. Am Ende versenkt er einen Gong in einem mit Wasser gefüllten Blecheimer – mit beeindruckendem Klangeffekt wie aus einer anderen Welt.
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Für den überraschendsten Solomoment des Abends sorgt am Ende allerdings der Jazzpianist und langjährige treue Wegbegleiter von Jan Garbarek, Rainer Brüninghaus. Lange beschränkt er sich darauf, mit unbewegter Miene ein paar Akkorde und Flächen auf seinem E-Piano beizusteuern, das ruhig etwas mehr Dynamik vertragen hätte. Den Flügel lässt er links liegen. Als er sich ihm doch noch zuwendet, fliegen bald seine Finger in atemberaubenden Läufen über die Tasten, stapeln Akkorde, formen verwunschene Melodien und brechen schließlich in eine allumfassende Virtuosität aus.
Bei diesem Konzert ist alles Musik. Auf Ansagen oder Erläuterungen verzichtet Garbarek. Dass drei der Herren schon die 70 überschritten haben, ist dem Abend nicht anzumerken. Vielmehr scheint es, als hätte Jan Garbarek nach längerer Tournee-Pause eine neue Lust am Experiment mit globalen Klängen entdeckt. Und im Zusammenspiel mit Trilok Gurtu sogar an entfesselten Momenten des Freejazz. Fulminant.
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