Hamburg. Josh Tillman ist zurück mit dem irre guten „Mahashmashana“. Versteht man die Texte? Ja und nein. Es ist alles also wieder genau richtig.
Wie heftig die Geigen gleich vom ersten Takt an schwelgen. Muss man wollen, so was, darf man wollen. Wenn man den Hang zur großen Geste hat wie Josh Tillman. Als Father John Misty veröffentlicht der Amerikaner nun sein neues, sein sechstes Album „Mahashmashana“, und beim eröffnenden Titelstück feuert er dabei gleich aus allen Rohren, das längst rehabilitierte Saxofon ist also auch am Start. Es ist in diesem bestechenden Opener, der fast zehn Minuten lang ist (das ganze Album umfasst acht Songs und 50 Minuten), alles Mistysche dabei. Der Größenwahn, das Predigen, das beobachtende Allumfassen der Gegenwart.
Man kann sich über seine Lyrics beugen, als analysierte man im Proseminar Anglistik-Poeme. Lana Del Rey, ebenfalls eine anspruchsvolle Texterin, ist großer Father-John-Misty-Fan. Der aus einer religiösen Familie stammende 43-Jährige, der in seinem ersten Musikerleben Schlagzeuger war, unter anderem bei Fleet Foxes, reitet beim Texten im Galopp in so ernste Gefilde, dass er am Ende doch nur unernst sein kann. Man hat ihn deswegen auch einen Satiriker genannt.
Ganz unparodistisch am Knarzen ist aber sein neuer Rocker „She Cleans Up“. Einen Reim auf den Trip, den das lyrische Ich in diesem Stück erlebt, kann man sich nicht so recht machen.
Neues Album von Father John Misty: Verfechter des Schönklangs
Aber was heißt das schon; die semantischen Spielräume („I had a vision that Mary of Magdalene/Saw the future that awaits just before good Friday eve/Figured the wages of salvation were a little too steep/Said no one‘s fucking with my baby, lord, and got on to the teet“) gehören unbedingt mit zum Gesamtkunstwerk Father John Misty. „Mahashmashana“ ist ein Albumtitel, den der Mann mit der kräftigen Stimme doch sicher auch wegen seines Klangs ausgewählt hat, wo er doch so ein eminenter Verfechter des Schönklangs ist.
Das orchestral tönende Album wird, so ehrgeizig es auch ist, die Zeit nicht überdauern. Weil nichts für die Ewigkeit ist. „Mahashmashana“ ist, da hilft Google, ein Sanskrit-Begriff, der wörtlich mit „großer Feuerbestattungsplatz“ übersetzt werden kann. Er meint im übertragenen Sinn auch die Vergänglichkeit des Lebens. Aufgeblasen, diese Bedeutungshuberei? Ja, aber sicher. So ist er, der Father John Misty, man mag ihn genau deswegen.
Father John Misty: „Screamland“ kann nur Amerika sein
Das zentrale, das majestätische „Screamland“ ist ein ziemlich verzweifelter Aufschrei, der der Gegenwart ein sehr ungefähres Optimismus-Defizit attestiert. Hammersong mit krachendem Refrain! Mit Blick auf Josh Tillmans Heimat kann das Screamland übrigens tatsächlich nur Amerika sein. Zum Schreien, diese Trumperei. Und zum Niederknien, diese edel vertonte Verzweiflung. Aber anstrengend könnte diese penetrante Ambition auf die Dauer doch sein, wäre es nicht so, dass Father John Misty etwa seinem solipsistischen Epos „I Guess Time Just Makes Fools of Us All“ einen ultraentspannten 70s-Swing verpasst hat.
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Auch „Josh Tillman and the Accidental Dose“ hat einen eher fröhlichen Sound. Womit sich der nicht unpassende Modus einmal mehr bewährt hat: Der exaltierte Singer/Songwriter Josh Tillman, der seinen Kampf mit Depressionen einmal erwähnt hat, ist irgendwie unzufrieden mit dem Zustand der Welt. Große, erhebende Kunst will er auf dieser Grundlage aber doch errichten, und schlechte Laune soll sie bitte nie machen.
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