Hamburg. Der US-Gitarrist Marc Ribot kuratierte an drei Tagen fünf Konzertprogramme. Das Publikum kam nicht nur aus Deutschland zu diesem Ereignis.
Wie wäre das wohl vor der Eröffnung der Elbphilharmonie gewesen? Ein Musiker fernab des Mainstreams kuratiert an drei Tagen fünf Konzertprogramme zwischen freiem Jazz und Americana mit krachenden Noise-Elementen, zwischen augenzwinkernd gespielter Musik aus Kuba und dem Soundtrack zu einem skurrilen Horrorfilm. Der Publikumsandrang hätte sich vermutlich in engen Grenzen gehalten und bei fast 20 eingeflogenen Musikerinnen und Musikern wäre jeder Veranstalter finanziell knietief im Dispo gelandet.
Heute sieht die Sache ganz anders aus. Mit Marc Ribot bekommt ein Mann ein eigenes Reflektor-Festival der früher als Kassengift gegolten hätte – und sämtliche Konzerte im Großen und Kleinen Saal sind nahezu ausverkauft. Auch, weil die Elbphilharmonie als Veranstaltungsort natürlich weit über Hamburg hinaus strahlt; entsprechend das Sprachengemisch in den Foyers an den drei Tagen.
Reflektor-Festival: Ohne die Elbphilharmonie gäbe es das alles nicht
Und denen, die gekommen sind, wird tatsächlich ein fantastisches und in dieser Form nirgendwo auf der Welt zu erlebendes Minifestival geboten, das die enorme Bandbreite des 70 Jahre alten Gitarristen, Sängers und Komponisten zeigt. Was er im Laufe seiner langen Karriere alles erlebt hat, davon erzählt Ribot am Sonntagmittag bei der von Tom R. Schulz kundig moderierten Listening Session im Kaistudio 1. Da geht es dann um die Gewaltausbrüche eines Wilson Pickett, den Moment, als Tom Waits ein Loch in seine Lederjacke biss oder um die rituelle Kraft eines Albert-Ayler-Konzerts. Davor aber liegt viel Musik von Ribot und denen, die er nach Hamburg eingeladen hat.
Beindruckend schon das Soloset, bei dem er sich auf seiner alten abgeschrabbelten Gitarre begleitet und zum ersten, aber nicht zum letzten Mal an diesem Wochenende seine Bestürzung über den Wahlsieg von Donald Trump äußert. Seine Großeltern seien 1905 von Hamburg aus in die USA emigriert, sagt er, vielleicht sei es nun für ihn an der Zeit, den umgekehrten Weg einzuschlagen. Doch, auch das wird deutlich, Ribot ist keiner, der aufgibt, sondern ein Kämpfer. Einer, der dazu auffordert, sich als Teil der US-Zivilgesellschaft Trump und dessen Helfern entgegenzustellen. Den Soundtrack zur Wut gibt es im zweiten Teil mit dem Trio Ceramic Dog, eine Art Punkjazzband, die auch Nummern von Albert Ayler und John Coltrane im Repertoire hat. Für dieses Festival sei er gezwungen gewesen, seine alten Sachen noch einmal anzuhören, sagt er und fügt grinsend hinzu: „Manche waren ganz okay.“ Der Jubel am Schluss dieses vor Energie berstenden Auftritts geht allerdings weit über „ganz okay“ hinaus.
Am Sonnabendabend geht es im Großen Saal dann kubanisch zu
Kontrastprogramm dann am Sonnabend. Zunächst erweitert Ribot sein Trio Hurry Red Telephone um zwei der heißesten Namen der New Yorker Szene: Gitarristin Mary Halvorson und Saxofonist James Brandon Lewis. Anschließend steht Lewis, den manche als Coltrane-Nachfolger betrachten, unter anderem mit Trompeter Kirk Knuffke und Cellistin Tomeka Reid im Red Lily Quintet auf der Bühne. Ein stetiger Fluss furioser Attacken, die improvisiert wirken und doch weitgehend auskomponiert sind. Gute 60 Minuten später wird es im Großen Saal dann kubanisch: Die von Ribot Ende der 90er-Jahre ins Leben gerufene (und bald wieder zu Grabe getragene) Band Los Cubanos Postizos erlebt eine Neuauflage. Tatsächlich wird in den Gängen Salsa getanzt und ist Ribot Gitarrensound absolut unverkennbar, doch als Sänger fehlt ihm für diese Musik der Schmelz in der Stimme und überhaupt wirkt das alles etwas unentschieden: Parodie oder Hommage – man weiß es nicht so recht.
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Das ist dann aber auch die einzige Einschränkung an diesem sonst großartigen Wochenende, bei dem am Sonntag Mary Halvorson mit ihrer Jazzband Thumbscrew einmal mehr zeigt, was für eine außergewöhnliche Gitarristin und vielfältige Komponistin sie ist – ein von ihr kuratiertes Reflektor-Festival wäre sicher eine gute Idee.
In der Zeit vor der Elbphilharmonie hätte wohl kein Veranstalter ein solch spezielles Festival gewagt, jetzt ist es nicht nur künstlerisch, sondern auch in Sachen Publikumszuspruch ein großer Erfolg. Besser geht‘s kaum.
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