Im Kino spielt er den Teufel, auf der neuen Live-CD auch mal den Romantiker - und im Thalia-Theater erklingt seine Musik zu Robert Wilsons “Woyzeck“.
Hamburg. In der Kantine des Thalia-Theaters kursieren immer noch Anekdoten und Döntjes über Tom Waits. Dabei ist es schon zwanzig Jahre her, dass der Musiker zusammen mit dem Regisseur Robert Wilson erst den "Black Rider", dann "Alice" auf die Bühne hievte. Legendär ist sein Proben-Striptease, mit dem er der herumstockernden Annette Paulmann zeigen wollte, wie weit man gehen muss, um "I'll Shoot The Moon" mit der nötigen Emphase zu singen.
Oder der Diebstahl von Waits' gesammelten Noten und Aufzeichnungen kurz vor der "Black Rider"-Premiere. Angeblich soll Ludwig von Otting, kaufmännischer Geschäftsführer des Thalia-Theaters, gegen ein Lösegeld die Notizen und Kassetten wiederbeschafft haben. Otting kann sich an diese fabulöse Geschichte zwar nicht mehr erinnern, aber an eine andere. "Einer unserer Schließer fand Tom Waits schlafend in einer Zuschauerloge und komplimentierte ihn ziemlich rüde hinaus. Als ich ihn fragte, was er da mache, antwortete er: 'Da war wieder dieser Penner. Den habe ich gestern schon rausgeschmissen.'" Waits ging sehr gelassen mit diesem doppelten Rauswurf um. Als Otting sich bei ihm entschuldigen wollte, sagte er nur: "Beschuldige bloß nicht deinen Schließer. Ich sehe eben aus wie ein Penner."
Mehr als 150-mal wurde der "Black Rider" nach der Premiere am 31. März 1990 am Thalia-Theater gespielt und war damit eine der erfolgreichsten Produktion in der Intendantenzeit von Jürgen Flimm.
Am 23. Januar kehrt Tom Waits ans Thalia-Theater zurück. Zwar nicht leibhaftig, aber wenigstens mit seinen Songs. Die junge Regisseurin Jette Steckel wird dann die "Woyzeck"-Fassung von Robert Wilson und Tom Waits auf der Bühne am Alstertor inszenieren. Im Jahr 2000 hatte die Büchner-Bearbeitung Premiere im Kopenhagener Betty Nansen Teatret, inzwischen sind die Rechte an den Songs und der Stückfassung freigegeben worden. Mehrere Theater haben sich darum gerissen, unter anderem wurde die Kopenhagener Fassung schon in Oberhausen und am Deutschen Theater Berlin aufgeführt, unter der Regie der ehemaligen Thalia-Regisseurin Jorinde Dröse.
Jette Steckel (27) hat das Angebot des neuen Thalia-Intendanten Joachim Lux, das Büchner-Musical zu inszenieren, liebend gerne angenommen. "Meine Eltern sind große Tom-Waits-Fans. Diese Musik verfolgt mich, seit ich auf der Welt bin. Ich liebe diese Musik, weil in ihr so eine tiefe Wahrheit liegt. Wenn ich sie höre, geht mir das Herz auf", sagt sie. Genau wie zum "Black Rider" und zu "Alice" hat Tom Waits auch die "Woyzeck"-Songs als CD veröffentlicht. Unter dem Titel "Blood Money" kamen sie 2002 heraus, zeitgleich mit den zehn Jahre älteren "Alice"-Songs.
Wer Tom Waits selbst erleben möchte, hat zumindest auf der Leinwand Gelegenheit dazu. Als der Regisseur Terry Gilliam ihm einen Part in "Das Kabinett des Doktor Parnassus" anbot, zögerte Waits nicht eine Sekunde. "Ich bin dabei", war seine bestimmte Antwort, bevor er überhaupt eine Seite des Drehbuchs gelesen hatte. Zumal es sich um eine Rolle handelte, die Waits wie auf den Leib geschrieben scheint. Im "Kabinett des Doktor Parnassus" (am Donnerstag in den deutschen Kinos angelaufen) spielt er den Mr. Nick - und das ist niemand Geringerer als der Teufel.
"Ich spiele den Teufel. Also nicht einen Teufel oder jemanden, der einfach böse ist. Ich spiele DEN Teufel. Das ist schon ein ziemlich kniffliges Problem - wie zum Teufel spielt man den Teufel?", kommentierte Waits die Herausforderung an seine Rolle. Waits versteht seinen Teufel als einen Berufszocker. Mit Melone, schmalem Oberlippenbärtchen und einer Zigarettenspitze in den langgliedrigen Fingern ist sein Mr. Nick ein Seelenfänger von halbseidener Eleganz. Seine Stimme klingt zwar wie eine rostige Autohupe, doch ist es schwer für die naiven Menschen, sich den Verlockungen dieses Diabolos zu entziehen.
Der Teufel ist eine neue Facette in den vielen Figuren, die Tom Waits verkörpert. In seinen Songs gibt er den Freak und Vagabunden, den Jahrmarktkünstler und Bänkelsänger, den Trunkenbold und Unglücksraben. Der Teufel steht diesen labilen Losern oft sehr nah. "You gotta help me keep the devil way down in the hole", singt er in "Way Down In The Hole"; in "Heartattack And Vine" wird der Teufel als eine andere Gestalt Gottes besungen: "Don't you know there ain't no devil, there's just God when he's drunk", heißt es in diesem frühen Song.
Ein neues Album hat der auf einer Farm im Norden Kaliforniens lebende Musiker Ende des abgelaufenen Jahres ebenfalls abgeliefert. "Glitter And Doom" ist nach dem 1988 erschienenen "Big Time" wieder mal ein Live-Album. Es zeigt vor allem den Sänger Tom Waits. Jenes Unikum mit dieser einzigartigen, so zerstört klingenden Stimme, in die er aber so viel Zartheit legen kann wie in dem traurigen Walzer "The Part You Throw Away". Durchgeknallte Shantys und Bluesnummern wie aus der Gruft gehören ebenso zu seinem Live-Repertoire wie die krude Fake-Jazz-Nummer "Metropolitan Glide". "Dirt In The Ground" wirkt wie der Schlüssel zu seinem Werk. Waits singt davon, wie es sich anfühlt, im Schlamm zu liegen und jede Hoffnung fahren zu lassen. Dieser Song verbindet ihn mit den geschundenen Helden aus den Romanen Cormac McCarthys und Tristan Egolfs; und es gibt keine Stimme, die den Abgrund, den Dreck und die eigenen Verluste spürbarer ausdrücken könnte als die von Tom Waits.
Zu seiner Band gehört übrigens inzwischen sein 24 Jahre alter Sohn Casey, der am Schlagzeug sitzt. Auf ein paar Stücken ist auch sein Jüngster dabei: Sullivan (16) spielt Saxofon und Klarinette, zwei eminent wichtige Instrumente in dem altmodischen Instrumentarium dieses außergewöhnlichen Sängers. Es gibt wohl keinen Künstler in der populären Musik, über den mehr Klischees verbreitet werden als über Waits. Dabei ist der Trunkenbold und Gossenbewohner, den er so trefflich verkörpern kann, längst zur Kunstfigur geworden. Der 60-Jährige ist seit vielen Jahren abstinent und lebt zurückgezogen mit seiner Frau und Koautorin Kathleen Brennan und seinen drei Kindern in einem kleinen Ort nördlich von San Francisco.
Auf "Glitter And Doom" ist nicht nur das wilde Bühnentier zu erleben, sondern auch der zurückgenommene sanfte Romantiker, dessen Songs manchmal haarscharf am Kitsch vorbeischrammen. Aber seine Stimme rettet ihn immer vor einem Abgleiten in pure Schönheit. Mit "I'll Shoot The Moon" findet sich einer dieser zu Herzen gehenden Songs auf dieser Liveplatte. Hamburgs Theatergänger werden den Song aus "Black Rider" in bester Erinnerung haben. Nur Annette Paulmann verbindet damit etwas anderes: Tom Waits in Unterhosen.