Hamburg. In der Laeiszhalle herrschte eine einzigartige Atmosphäre. Warum heidnische Folkmusik in der klassischen Konzerthalle so gut funktioniert.
- Wardruna traten am Montag in Hamburg auf und spielten ein einzigartiges Set.
- Frontmann Einar Selvik ist auch aus der TV-Serie „Vikings“ bekannt.
- Der augenscheinliche Gegensatz zwischen Folkmusik und Konzerthalle löst sich sofort auf.
Auf der Bühne der Laeiszhalle stehen am Montagabend archaisch anmutende Horn- und Saiteninstrumente. Der Boden ist mit moosartigem Gewächs geschmückt, Gräser und Büsche sind auf den drei Ebenen drapiert. Die hohen Wände der Konzerthalle schimmern weiß und golden, auf den Plätzen machen es sich vornehmlich schwarz gekleidete Menschen gemütlich, einige von ihnen tragen sogar Felle über den Schultern. Manche werfen schüchterne Blicke in den Saal, machen große Augen ob des neobarocken Ambientes.
Das norwegische Musikprojekt Wardruna ist für ein Konzert nach Hamburg gekommen. Seit 2003 spielt es seine Interpretationen der nordischen Folkmusik und ist besonders populär in der Pagan- und Metalszene. Vielen Besucherinnen und Besuchern dürfte Frontman Einar Selvik bekannt vorkommen: Er trat in der erfolgreichen TV-Serie „Vikings“ als Skalde – also als Dichter am mittelalterlichen Hof – auf.
Wardruna erschaffen in der Hamburger Laeiszhalle eine einzigartige Atmosphäre
Instrumental bedient sich Wardruna an einem breiten Arsenal an Trommeln („Solringen“), Hörnern („Tyr“) und Streichinstrumenten („Hertan“). Statt der sonst in der Laeiszhalle normalerweise zu hörenden Geige handelt es sich dabei aber beispielsweise um die Hardangerfiedel (norwegische Folk-Violine) oder die Tagelharpa (estnische Streichharfe). Die Klänge sind zumeist düster und rhythmisch, mit tragenden und eingängigen Melodien („Lyfjaberg“). Der augenscheinliche Kontrast zwischen Wardruna und Laeiszhalle, zwischen Natur und Hochkultur, löst sich auf, sobald deren mittelalterliche Klänge den Saal erfüllen und eine wirklich einzigartige Soundkulisse erschaffen.
Thematisch bedient sich Wardruna an den isländischen Sagas, der Edda sowie der Skaldendichtung. Dieses Quellenmaterial ist zumeist im Mittelalter entstanden, allerdings nach die Zeit der Wikinger. Ob es die damalige Lebensrealität tatsächlich spiegelt, ist unklar, und Sänger Selvik erklärt dann auch, man strebe keine Zeitreise an und wolle auch nicht so tun, als sei das alles völlig authentisch.
Wardruna: Einar Selvik und Lindy Fay Hella sind ein grandioses Gesangsduo
Gesanglich bilden Selvik und Sängerin Lindy Fay Hella ein grandioses Duo. Hellas ätherische Stimme ergänzt den tiefen Gesang Selviks, gibt den Liedern eine wunderbare Vielschichtigkeit. Am meisten glänzt Selvik jedoch bei seinen Soli („Voluspá“, „Snake Pit Poetry“). Während er die Geschichte des Weltuntergangs (Ragnarök) oder die von Wikinger Ragnar Lodbrok auf Altnordisch rezitiert, kommen seine vokalen Fertigkeiten besonders zum Vorschein, nur begleitet von einer traurig-schaurigen Harfenmelodie.
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Zum Abschluss besingt der Skalde den Weg in die Unterwelt („Helvegen“), ein Ritual, dass beim Verarbeiten des Todes helfen soll. Das Publikum jubelt, es gibt minutenlange Standing Ovations für Wardrunas Auftritt an einem für diese Musik ungewöhnlichen Ort. Gerne mehr davon.
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