Hamburg. Joe Marx vermöbelte auf St. Pauli Leute. Kam nach Santa Fu, dann nach Kolumbien. Eine ungewöhnliche Gangsterstory – mit Beigeschmack.

Es harmoniert prächtig in diesem Vierteiler, das Wollen der Macher (Regie: Peter Dörfler, Produktion Christian Beetz und Georg Tschurtschenthaler) und das des Protagonisten. Hans-Joachim „Joe“ Marx weiß genau, wie er sich darstellen will. Als die Kamera einmal einfängt, wie er einen Koffer packt, liegt neben den Klamotten eine Pistole. Auf dem Gelände einer kolumbianischen Finca posiert er mit Gewehr. Die Waffe sei „immer geladen“, sagt der ältere Herr.

Er ist der Betrachtungsgegenstand des jetzt auf Amazon Prime abrufbaren Porträts „German Cocaine Cowboy“. Aufgewachsen ist er im Schwäbischen, was man ihm anhört. Aber auf Verbrechen geeicht wurde Marx auf der Reeperbahn, auf dem Kiez. Verbrecher ist er gern, auch das gehört zur Selbstinszenierung des Joe Marx („Ich will es in Hamburg im Sommer schneien lassen“), der in den 90er-Jahren eine Zeit lang für das Cali-Kartell den Kokainschmuggel nach Europa organisierte: Er spricht von seinem Beruf respektvoll als einer, der zu dem steht, für das er sich schon früh entschieden hat.

Neue Serie „German Cocaine Cowboy“ auf Amazon Prime: True Crime mit St. Pauli und Kolumbien

Seine Entwicklung vom Zuhälter zum Drogenschmuggler, seine kriminelle Karriere, die ihn für fast drei Jahrzehnte in den Knast brachte, wird in dieser True-Crime-Produktion detailliert beschrieben. Für das dramatische Element, also die Spielszenen, eignen sich Vorgänge wie die Flucht nach Kolumbien, bei der der deutsche Staat unfreiwillig half, das Aufeinandertreffen mit dem großen Cali-Boss, Verhaftungen, aber auch die länger zurückliegende Hamburger Bekanntschaft mit Kiez-Killer Werner Pinzner hervorragend.

German Cocaine Cowboy
Joe Marx fing als Zuhälter auf St. Pauli an. Später schmuggelte er in großem Stil Kokain. © © beetz brothers film production, 2024 | © beetz brothers film production, 2024

In der Erzählgegenwart ist der ernsthaft erkrankte Marx mit seiner Lebensgefährtin Doris, einer studierten Musikerin, die auf dem Kiez bei „Cats“ aushalf, zurück in Deutschland, wieder einmal. Drei Jahrzehnte vorher war er schon einmal von Kolumbien nach Europa gereist, damals unfreiwillig, er wurde nach Deutschland ausgeliefert. Anschließend verurteilt zu zehn Jahren Haft, abzusitzen in der JVA Fuhlsbüttel, im Volksmund „Santa Fu“ genannt. Speziell dieses Gefängnis ist sein zweites Zuhause. Er nimmt das alles in Kauf, auch die Trennung von seinen zwei kleinen in Südamerika lebenden Kindern. An seiner Entscheidung, kriminell zu sein, zweifelt er nie wirklich. Mit 15 hat er 30-mal den „Paten“ gesehen. Danach war klar, was er einmal sein wollte. Marx wollte seiner Familie ein gutes Leben ermöglichen. Dass dies nie der einzige Grund war, mit Drogen zu handeln, wusste Marx allerdings selbst. Er liebte sein Leben in Kolumbien.

„German Cocaine Cowboy“ porträtiert die ehemalige Kiezgröße Joe Marx

Wenn „German Cocaine Cowboy“ der typischen Generationsprägung von Joe Marx nachspürt, dem Antiautoritären, erklärt sich nicht, warum aus der Weigerung, sich von jemandem etwas sagen zu lassen, ein äußerst brutaler Kiezschläger wurde. Marx berichtet, er sei vom Willen nach Vernichtung getrieben, er sei „krank“ gewesen; man habe ihm nicht beigebracht, Dinge mit dem Verstand zu lösen. Ein wenig Distanzierung ist da dabei, dennoch fragt man sich mehr als einmal, ob der Romantisierung des Gangsterlebens, der Sensation, hier einen deutschen „Narco“ befragen zu können, nicht zu viel Raum gegeben wird.

Marx lässt unverhohlen erkennen, dass Südamerika sein Paradies ist, gerade weil die Gepflogenheiten („In Kolumbien stirbst du schnell“, „Du musst ihn begraben, ehe er dich begräbt, da ist nicht Schlechtes dran, es ist ehrlich“) dort von so existenzieller Klarheit sind. Foltern, Töten – akzeptiert der Nietzsche-Fan, der seine Gefängniszeit zum Lesen nutzt, alles ohne viel Federlesens. Fans der viel gelobten Netflixserie „Narcos“, die unter anderem Pablo Escobar, den Cali-Chefs und der Ermittlungsarbeit gegen sie ein Denkmal setzte, kennen diese Kaltblütigkeit. Jeder Gangsterfilm braucht das Gemetzel, die Erschießungen.

„German Cocaine Cowboy“: Illegale Geschäfte am Set

Wäre eine rein fiktive, an Marx‘ Leben angelehnte Serie über ein deutsch-kolumbianisches Gangsterleben nicht die bessere Entscheidung gewesen? In „German Cocaine Cowboy“ wirken die Einlassungen des Joe Marx, den die Doku in den Interviewpassagen immer ganz nah im Fokus hat (ist ja auch interessant, sein gelebtes, gefurchtes Gesicht), insgesamt doch so, als könne man sie nicht permanent unkommentiert stehen lassen.

German Cocaine Cowboy
Wie „Narcos“: Spielszene aus „German Cocaine Cowboy“. © © beetz brothers film production, 2024 | © beetz brothers film production, 2024

So nimmt die aufwendige, dramaturgisch geschickt aufgebaute Produktion das verruchte Element allzu gerne mit: Wenn die Spielszenen bisweilen aufgebrochen werden, in dem der echte Joe Marx als Zeuge am Set gezeigt wird, wird der Effekt dabei noch gesteigert. Nämlich dann, wenn Marx auch am Set mit illegalen Geschäften beschäftigt zu sein scheint. Und dass sich hier vor der Kamera ein Mann breit der Öffentlichkeit präsentieren darf, der einer Psychologin gesteht, dass er sich bisweilen überschätze, der außerdem narzisstische Züge hat, hat ebenfalls einen Beigeschmack. Dass die Serie dem Drogenhändler Joe Marx reichlich Gelegenheit gibt, sich selbst zu demaskieren, ändert nichts am Tatbestand: Hier ist die Authentizität eine zweischneidige Sache.

„German Cocaine Cowboy“: In Santa Fu war Joe Marx eine respektierte Persönlichkeit

Drogenverherrlichung und ein schiefer Blick auf den Vorgang der Inhaftierung von Cali-Oberpate Gilberto Rodríguez Orejuela, der Marx mochte und förderte, vervollständigen das Bild. Für Marx waren nicht die Drogen-Milliardäre die Verbrecher, sondern die Politiker, die sie angeblich verrieten.

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„Ich war nicht oft draußen, aber wenn ich draußen war, war‘s toll“, sagt Marx einmal, und das sind die entwaffnenden Momente dieses Porträts, das einem ganz sicher ungewöhnlichen Leben gewidmet ist. In Santa Fu war Marx jemand, eine respektierte Größe, in die sich sogar eine hohe JVA-Angestellte verliebte. Bei einer späteren Haftstrafe war unter anderem Marx Darsteller eines Theaterstücks, das im Knast aufgeführt wurde. Das Regionalfernsehen berichtete. Danach wollte Marx Schauspieler werden, bekam aber keinen Freigang. Dann war‘s das, er blieb Verbrecher. Seinen Auftritt auf der Leinwand hat er jetzt dennoch bekommen.

„German Cocaine Cowboy“ ist ab dem 10. November auf Amazon Prime abrufbar.

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