Hamburg. Am Sonntag hat Webers Jäger-Drama „Der Freischütz“ Premiere an der Staatsoper. Worum geht‘s da eigentlich? Und: Gibt es noch Karten?
- Webers „Freischütz“ ist seit der Uraufführung 1821 in Berlin ein absoluter Publikumsliebling und gilt als deutsche „Nationaloper“.
- Die Oper steckt voller eingängiger Melodien, die Musik ist raffiniert und effektvoll komponiert.
- Regisseur Andreas Kriegenburg war lang am Thalia Theater aktiv und kehrt nach einer Strauss-Inszenierung 2017 nun mit diesem Stück nach Hamburg zurück.
Fünf Jahre Verspätung sind für eine Staatsopern-Premiere viel Zeit, aber: Corona machte es 2019 notwendig, dass Andreas Kriegenburgs Neuinszenierung von Webers „Der Freischütz“ mitsamt seinen Chor-Szenen auf eine längere Bank geschoben wurde. Das 1821 in Berlin am 6. Jahrestag der Schlacht von Waterloo uraufgeführte Stück um einen Jäger, eine holde Maid, eine satanische Gestalt namens Samiel und sehr viel sehr deutschen Wald gilt als vertonter Inbegriff der deutschen Romantik.
Staatsoper Hamburg: „Der Freischütz“ feiert am 17. Novemnber Premiere
Im Hamburger Opernhaus an der Dammtorstraße hatte Peter Konwitschnys Version dieses Publikumslieblings 1999 für einiges an Aufregung gesorgt. An diesem Sonntag, 17. November, wird sich zeigen, was Kriegenburg und der Dirigent Yoel Gamzou daraus machen. Hier finden Sie alles, was man vorab dazu wissen sollte.
Wann, wo, was, wer?
Irgendwo in Böhmen, kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs. Max liebt Agathe, die Tochter von Erbförster Kuno. Doch vor die Hochzeit haben die Spielregeln dieser Gesellschaft eine Bedingung gestellt: Max muss sich zunächst als treffsicherer Schütze erweisen. Kaspar, eine reichlich zwielichtige Gestalt, bringt Max dazu, mit ihm um Mitternacht in der Wolfschlucht die passende Spezialmunition anzufertigen, auf der kein Segen, sondern eher ein Fluch liegt – sechs der Kugeln treffen, bei der siebten aber muss man sich machtlos von ihrem Kurs überraschen lassen. Was, klar doch, Folgen haben wird.
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„Der Freischütz“ in Hamburg: Was Sie vor der Opernpremiere wissen müssen
Was es zu hören gibt
In der Ouvertüre steckt schon alles drin: die finsteren Bedrohungen, die Hörner als Symbolklang des Waldes und der Jagd, die wichtigsten Themenideen (ein Konzept, das Wagner später bei seinen Opern in seiner Leitmotiv-Technik aufgriff und perfektionierte). Ein strahlender C-Dur-Akkord, der das Licht im Stück sprichwörtlich anschaltet. Weber befand damals stolz: „Auf die Ouvertüre bilde ich mir was ein.“ Danach kann und wird die schauerlich-schöne Geschichte ihren Lauf nehmen. Und immer wieder wird raffiniert aufblitzen, wie einfallsstark Weber Klangfarben und -wirkungen einsetzt, um der Handlung Spannung und Erzählkraft zu geben.
Flop oder Top?
„Ins Schwarze getroffen“, so freute sich Weber in einem Brief an seinen Librettisten Johann Friedrich Kind nach der umjubelten „Freischütz“-Uraufführung. Die Oper wurde als urdeutsch empfunden, sie war durch und durch romantisch veranlagt, der Erfolg trat sofort ein und hielt sich, bis zum heutigen Tag – obwohl der lodengrün gekleidete Plot durchaus Schwächen und Fußangeln aufweist. Nicht zuletzt auch, weil Weber (auf Anraten seiner Verlobten, die Sängerin war) zu Beginn des Stücks den Prolog wieder strich, darunter auch den ersten Auftritt des Eremiten. „Weg mit den Szenen!“, ordnete sie an, er gehorchte: „Die Oper wird nach deinen Befehlen zurechtgestutzt.“
Der Erfolg der Oper brachte François Henri Joseph Castil-Blaze auf eine Idee
Wären diese Passagen in der Endfassung noch vorhanden und auch vertont worden, wäre sicher einiges klarer, bevor der weise alte Mann kurz vor dem Ende wie der sprichwörtliche Kai aus seiner Kiste kommt und mal eben das Happy End einfädelt. Regisseur Andreas Kriegenburg, so hat er vor der Premiere erklärt, bringt den Eremiten wieder zurück, wohl nicht mit seinen gestrichenen Texten, aber durchaus sichtbar.
Übrigens: Weil der Erfolg dieser Oper in Webers Deutschland so groß war, hatte ein gewisser François Henri Joseph Castil-Blaze die Idee, sich drei Jahre später daran für den französischen Opernmarkt zu bedienen – aus dem „Freischütz“ wurde „Robin vom Walde oder Die drei Kugeln“, umgetopft nach Schottland. Die Franzosen mochten das, Weber war natürlich stinksauer über diesen Diebstahl geistigen Eigentums.
„Der Freischütz“ im Hamburger Opernhaus: Die Bedeutung des Stücks für die Musikgeschichte
Kann man kaum überschätzen. Eine Oper mit deutschem Text, als Singspiel mit dramatisch zu sprechenden Passagen, mit einer Handlung aus einem Märchenbuch, jeder Menge eingängigster Melodien, dem Zeitgeist des erwachenden deutschen Nationalgefühls entsprechend, der Kampf zwischen Gut und Böse, Glaube und Aberglaube, Seelenzustände und dramatische Konflikte – Volltreffer. Und Gegengewicht zu den bis dahin vorherrschenden italienischen und französischen Opern. Und das, obwohl nirgendwo im Stück entsprechende Schlüsselbegriffe erwähnt oder gar politische Anspielungen gemacht werden. Und, obwohl Weber durchaus stilistische Anleihen bei der französischen und italienischen Opern-Ästhetik gemacht hatte – ungemein geschickt, das alles. E. T. A. Hoffmann „Undine“ und Spohrs „Faust“ war es nicht gelungen, sich so sehr ins Repertoire einzubetonieren.
Der berühmte O-Ton von Richard Wagner 1844, am Grab Webers: Es habe „nie ein deutscherer Komponist“ gelebt. Wagners Schwanenritter „Lohengrin“, 1850 uraufgeführt, ist ein nicht allzu weit entfernter ästhetischer Verwandter des „Freischütz“. Der Philosoph Theodor W. Adorno schrieb gut 100 Jahre später, gezielt bissig: „In der Erinnerung der Emigration schmeckt jeder deutsche Rehbraten, als wäre er vom Freischütz erlegt worden.“
An anderer Stelle analysiert er mit großem Anlauf: „Mit größerem Recht als die ,Meistersinger‘ gilt „Der ,Freischütz‘ als deutsche Nationaloper. Denn das deutsche Element (…) kompromittiert sich nicht durch nationalistische Gesinnung. Man wird dabei freilich nicht zuerst an den Wald denken dürfen, der, wie Canetti in ,Masse und Macht‘ hervorhob, nicht so unschuldig ist, wie von Pflanzen zu denken wäre: ,Das Massensymbol der Deutschen‘, schreibt Canetti, ,war das Heer. Aber das Heer war mehr als das Heer: es war der marschierende Wald. In keinem modernen Lande der Welt ist das Waldgefühl so lebendig geblieben wie in Deutschland. Das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume, ihre Dichte und ihre Zahl erfüllt das Herz des Deutschen mit tiefer und geheimnisvoller Freude.‘“
„Der Freischütz“ an der Staatsoper: Fakten, Fakten, Fakten
Carl Maria wer?!
Carl Maria von Weber wurde 1786 in Eutin geboren, ein Kind einer Musikerfamilie, er starb 1826 in London, kurz nach der Uraufführung seiner Oper „Oberon“, mit nur 39 Jahren an Tuberkulose. Am Eutiner See erinnern die Eutiner Festspiele seit vielen Jahren an den mit Abstand berühmtesten Sohn der schleswig-holsteinischen Kleinstadt. Der „Freischütz“, der mit weitem Abstand zu allem anderen größte Erfolg seines Lebens, ist dort ein Nationalheiligtum im Spielplan. Familiärer Fun Fact am Rande: Webers Cousine Constanze war seit 1782 die Gattin eines gewissen Wolfgang Amadeus Mozart.
Die „Hits“
Auch wenn Max zunächst nicht wirklich charakterstark auftritt – mit seiner Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“ ist er von Weber bestens bedient worden. Was so einfach klingen soll, ist es aber nicht. Es braucht schon einen gestandenen Fast-Heldentenor, um mit diesem Auftritt nicht einen Bock zu schießen.
Hätte es damals schon das Kino und den Tonfilm gegeben, die Wolfsschlucht-Szene wäre ein Special-Effects-Fest geworden. In dieser Szene, in der Max und Kaspar sich treffen, um die sieben teuflischen „Freikugeln“ zu gießen, war Weber als Musikdramatiker seiner Zeit enorm weit voraus, hier setzte er die Mittel des Melodrams ein, es wird nicht gesungen, sondern gesprochen. Eine großartig lautmalerisch orchestrierte Weber Horror Picture Show, die von Regie-Einfällen gern ausgereizt wird.
Im Weltbild verjährt dagegen ist der Chor der Brautjungfern, die als Vorbereitung auf die Hochzeit von Agathe in „Wir winden dir den Jungfernkranz“ ein ziemlich spießiges Rollenverständnis besingen. Dafür ist die Melodie ein echter Ohrwurm. Und weil das schon damals so war, ist diese Lästerei von Heinrich Heine überliefert: „Haben Sie noch nicht Maria von Weber‘s ‚Freischütz‘ gehört? Nein? Unglücklicher Mann! Aber haben Sie nicht wenigstens aus dieser Oper das ‚Lied der Brautjungfern‘ oder den ‚Jungfernkranz‘ gehört? Nein? Glücklicher Mann!“
Ein aus heutiger Sicht eigenwilliger Chor kommt selten allein: Auch der „Jägerchor“ ist ein unkaputtbarer Publikumsliebling. „Beim Klang der Hörner im Grünen zu liegen / den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich / ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen / erstarket die Glieder und würzet das Mahl.“ Na dann.
„Der Freischütz“: Das Inszenierungsteam und der Hamburg-Bezug
Regisseur Andreas Kriegenburg war während der Amtszeit von Ulrich Khuon Oberspielleiter und eine Art Hausregisseur am Thalia Theater, später ging er mit Khuon ans Deutsche Theater Berlin. Mit Generalmusikdirektor Kent Nagano verbindet Kriegenburg unter anderem die Zusammenarbeit für einen „Ring“ an der Münchner Staatsoper, wo Nagano damals GMD war.
2017 erarbeitete Kriegenburg mit Nagano für die Staatsoper in Hamburg eine neue Perspektive auf Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ – jene Oper, die der nächste Hamburger Opernintendant Tobias Kratzer im Januar an der Deutschen Oper in Berlin herausbringen wird. Spektakulärster Nachfahre von Webers Original ist aber natürlich der „Black Rider“ von Bob Wilson und mit der Musik von Tom Waits, der 1990 am Thalia Theater aus dem Stand zum Riesenerfolg wurde.
„Easy said, but schwer getan“, heißt es dort über die Mühen, sein Glück zu finden. Ein Spruch, der womöglich auch zum Umgang der aktuellen Staatsopern-Produktion mit Webers vielschichtigem Meisterwerk passt.
Gibt es noch Karten?
Die Premiere am 17. November ist noch nicht ausverkauft. Die Ticketpreise beginnen dort bei 16 Euro und enden bei 195 Euro. Auch für die weiteren Vorstellungen (20. / 23. / 27. / 29. November, 3. / 5. Dezember) sind noch Karten zu haben, die Preisspanne: 7 Euro bis 116 Euro. Informationen unter www.staatsoper-hamburg.de
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