Hamburg. Starkes Regiekonzept und ein Dirigent, der die Sänger auf Händen trägt: In der Staatsoper feierte „Die Frau ohne Schatten“ Premiere.

Überirdisch blau leuchtet der Bühnenraum, schräge weiße Pfähle durchziehen ihn wie riesige Mikadostäbe und öffnen ihn ins Unendliche. Doch dann stolpert eine Frau im fleckigen Kittel durch das suggestive Bild. „Zu viel ...“, stöhnt sie, „... nimm mich fort von hier.“ Und krümmt sich auf einem Lager an der Rampe zusammen.

Noch bevor Kent Nagano den Einsatz zu Richard Strauss’ Oper „Die Frau ohne Schatten“ gibt, ist klar: Wenn das Orchester sich erst in die Abgründe von Fagott und Basstuba stürzt und dann die Streicher schneidend in die Höhe fahren, wenn zwei weißgewandete Wesen in abenteuerlich gezackten Linien von tödlicher Gefahr singen, dann ist das ein Traum – und Albtraum – der Frau auf dem Lager.

Die Handlung

Aus ihrer Sicht erzählt der Regisseur Andreas Kriegenburg das Stück an der Hamburgischen Staatsoper, der spezielle Blickwinkel ist Kriegenburgs Signet. Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal meinten mit der Titelfigur nämlich eigentlich die Kaiserin, ein Geisterwesen, das sich nach einem Jahr sorgloser Liebesnächte einer handfesten Bedrohung gegenübersieht.

Hofmannsthal hat in dem Text zusammengerührt, was die literarische Hausapotheke so hergab. Neues Testament, Grimms Märchen und „Tausendundeine Nacht“ klingen an. Doch Kriegenburg lässt sich von dem Überangebot an Querbezügen nicht beirren. Er erzählt die Geschichte in einer gelassenen Klarheit, die ihresgleichen sucht.

Nicht alles erscheint logisch

Kinderlosigkeit ist Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Sie verbindet zwei Paare, die sich bei aller Ungleichheit ineinander spiegeln. Da ist zum einen das hohe Paar, der Kaiser und seine Frau, die weltabgewandt nur der eigenen Lust hingegeben leben. In ihrer weltentrückten Sphäre findet alles Zauberische statt, wehen Geister und hört der Kaiser (der Tenor Robert Saccà geht stimmlich etwas unter) den Falken (Gabriele Rossmanith) das Schicksal des kaiserlichen Paares beweinen.

Umso krasser wirkt der Kontrast zu der Bleibe, die der Bühnenbildner Harald B. Thor dem anderen Paar, einem Färber und seiner Frau, im Untergeschoss eingerichtet hat: Küche, Werkstatt und Schlafplatz in einem, so roh wie der Ton der drei behinderten Brüder des Mannes, wenn sie sich ums karge Essen balgen oder die Färberin mit derben Sprüchen belegen.

Widrigkeiten des menschlichen Lebens

Hier ringen die beiden mit den Widrigkeiten des menschlichen Lebens. Ehe und Sex gehen, wie man weiß, nicht notwendig zusammen. Wieder und wieder zerschellen die Avancen des Färbers an den Garstigkeiten seiner Frau. Kriegenburg nun bringt es fertig, dass der Betrachter mit beiden fühlt, mit dem gutmütig-einfältigen Barak (mit Wärme gesungen von Bass Andrzej Dobber) genauso wie mit dessen junger Frau, die ihn in einem fort beschimpft und sich dann doch wieder an ihn schmiegt.

So weit, so alltäglich. Surreal wird es, wenn Amme und Kaiserin bei der Färberin vorsprechen, dann fällt Licht aus der Welt der Kaiserin in die Hütte, wie die Ahnung eines besseren Lebens. Die Färberin träumt nicht nur sich selbst in jene Welt hinauf, Kriegenburg schickt noch weitere Doppelgänger auf die Bühne. Nicht alles erscheint zwingend logisch – aber es ist gerade eine Stärke dieser Inszenierung, dass sie nicht behauptet, das Verrätselte und Verschmockte des Stoffs rückstandsfrei aufzulösen.

Anrührendes Rollenporträt

In der Färberhütte sind sie dann mal wieder beisammen, die Strauss-typischen starken Frauenfiguren mit den hochalpinen Vokalpartien. Lise Lindstrom als Färberin hat die dankbarste Rolle. Jede Gemütswendung ihrer Figur beglaubigt sie mit ihrem strahlkräftigen, metallischen Sopran und vollem Körpereinsatz. Linda Watson bewältigt die jähen Intervallsprünge der Amme souverän, wenn auch mit der Schärfe und dem etwas zu weiten Vibrato des hochdramatischen Soprans vom Dienst. Zu ihrer dämonischen Figur passt das.

Und ein wirklich anrührendes Rollenporträt gelingt der Sopranistin Emily Magee als Kaiserin. Anfangs wirkt sie wie entrückt in ihrem zahnpastaweißen Gewand. Das ist natürlich Absicht. Umso eindrücklicher verkörpert Magee die Entwicklung dieses Wesens in eine Person, die mitfühlen und Verantwortung übernehmen kann. Für ihre groß angelegte Selbstanklage im dritten Akt hat sie noch allen Schmelz und alle Beweglichkeit zur Verfügung. Da muss das Schicksal ja ein Einsehen haben.

Umsichtig abgetönter Strauss

Nagano und das Philharmonische Staatsorchester tragen die Sänger aber auch auf Händen. Die Partitur mag monströs besetzt sein und der Graben aus allen Nähten platzen, einen so lebendigen, umsichtig abgetönten Strauss erlebt man selten.

Und ein so hemmungsloses Happy End auch nicht. Minutenlang dürfen die beiden geretteten Paare ihr Glück besingen, während um sie herum ihre künftigen Kinder alias Alsterspatzen sich von den Totenmasken befreit haben und mit bunten Bällen spielen.

Im Traum ist schließlich alles möglich. Sogar eine „Frau ohne Schatten“.

„Die Frau ohne Schatten“ Weitere Termine: 23. und 29.4., 4. und 7.5., jeweils 18.00, Staatsoper. Kartentelefon: 35 68 68,
www.staatsoper-hamburg.de