Auf „Chemtrails Over the Country Club“ singt Lana Del Rey betörend wie immer. Zum Beispiel über ihre Jahre als Kellnerin.
Das Genie der US-amerikanischen Musikerin Lana Del Rey besteht darin, in ihren Liedern gleichzeitig so dermaßen stark und endfertig zu sein. Wer ist sonst noch mit solch einer kräftigen Stimme gesegnet, navigiert diese aber am liebsten in einem Nachtzauber aus Vergangenheit und Verhangensein somnambul durch Lieder, die alle eine gewisse Verlorenheit ausstrahlen? Und wenn es nur die Verlorenheit der Frau mit dem gebrochenen Herzen ist. Aber hey, es geht immer weiter, zumal im Amerika, in dem jedes noch so schwankende Leben popkulturell aufgepimpt werden kann, das der Musikerin und das des Fans, der ihre Songs hört.
Die Inszenierung Lana Del Reys als begehrende und begehrte Frau zielt stets auf glamouröses Hollywood-Format. Zuletzt, beim völlig zu Recht umjubelten Meisterwerk „Norman Fucking Rockwell!“, verklärte sie ironisch den amerikanischen Traum. Wahrscheinlich ist jeder Song Lana Del Reys in irgendeiner Weise gebrochen. Je mehr sich zuletzt ihre Songwriter-Fähigkeiten in ungeahnte Höhen schraubten, desto doppelbödiger wurden ihre Texte. Das neue Album heißt „Chemtrails Over the Country Club“, es ist das am gespanntesten erwartete in diesem Frühjahr.
Kondensstreifen über dem Idyll
Man ist geneigt, die Idee, die angeblich toxischen Kondensstreifen ausgerechnet und doch völlig konsequent mit dem Idyll der elitären Freizeitanlage kurzzuschließen, für ganz und gar glorreich zu halten: Amerika ist immer in seinem Kern bedroht. Der dazugehörige Titel-Song, der bereits vor einigen Wochen mitsamt einem abgründigen Video veröffentlicht wurde, sticht unter den Stücken auf diesem Album hervor.
Ein Beat ist auch hier nicht zu hören, auf den verzichtet die 35-Jährige wie auf dem Vorgänger erneut konsequent. Nein, jene, siehe Videoclip, zwischen Hausfrauen-Herrlichkeit und Werwolf-Wollust changierende Nummer ist eine gewaltige, ins große Panoramabild der Szenerie ausgreifende Hymne mit fetten Streichern, die ästhetisch an den Vorgänger erinnert. Auch das neue Album wurde von Jack Antonoff produziert, der Taylor Swift zu ihrem Popsound verholfen hat und derzeit als genereller Erfolgsfaktor gilt. Del Rey schrieb die Kompositionen zu den meisten Stücke auf „Chemtrails“ mit ihm gemeinsam.
„Chemtrails“ verlängert ihren Lauf
Die lyrischen Ambitionen Del Reys, die mit bürgerlichem Namen Elizabeth Woolridge Grant heißt, fanden im vergangenen Jahr Niederschlag in dem Spoken-Word-Album „Violet Bent Backwards Over the Grass“. Ein respektables Werk, das Del Reys kunstvoll gebaute Songtexte spiegelte. Ihre privaten und die Sphäre der Kunst verlassenden Äußerungen waren zuletzt nicht immer glücklich. Besonders dann, wenn sie ihre Kritiker, die ihr das Rollenverständnis der schwachen, verletzten Frau unter die Nase reiben, auf den sozialen Netzwerken direkt adressierte und sich dabei kräftig verhedderte. Künstler sollten ihre Kunst nicht selbst erklären. Womit geklärt wäre, dass Lana Del Rey, bei allen zuletzt erreichten Gipfeln musikalischen Schaffens, bei allem Hype um „Norman Fucking Rockwell!“, noch nicht ganz die perfekte Künstlerin ist.
Aber sie verlängert mit „Chemtrails“ ihren Lauf. Insgesamt ist der Sound auf diesem siebten Album Del Reys zurückgenommener, heißt: mehr Piano als Streicher. Del Rey selbst hat es als „Country-Folk“-Album bezeichnet und für die Zukunft gar ein reines Countrywerk in Aussicht gestellt. Mit „For Free“ ist ihre Version eines Joni-Mitchell-Stücks unter den neuen Songs, und in einer Lana-Del-Rey-Bearbeitung bekommt auch jenes Stück mehr Pop-Appeal, als es ein Joni-Mitchell-Song je haben könnte. Die Meisterschaft Del Reys besteht dennoch darin, prima Musik zum Eindösen zu machen, die gleichzeitig vor Leben vibrieren. Von der Rock-Geste eines älteren Stückes wie „Westcoast“ ist sie weiter entfernt denn je.
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Hinter jeder Schnulze lauert ein Monster
Im berückenden, in seinem coolen Kitsch verblüffenden „White Dress“ erinnert sich Del Rey an ihre Teenagerjahre, als sie The White Stripes und Kings of Leon hörte und als Kellnerin arbeitete, eine Zeit, die sie genoss, es gab nichts zu verlieren: „Like look how I got this/Look how I got this/Just sing in the street/Down at the men in music business conference/I felt free ‘cause I was only nineteen/Such a scene“. Wahrscheinlich gibt es in der Karriere jedes Popstars das Kapitel, in dem er mit Rührung zurückblickt, einer Mischung aus Erleichterung, es geschafft zu haben, und Nostalgie, weil das harte Brot der frühen Jahre eben auch schmeckte. Bei Lana Del Rey wirkt auch dieser selbstreflexive Moment wie eine schicke Schnulze, hinter der ein Monster lauert; in dem Fall die Musikindustrie, die jeder und jedem die Unschuld nimmt. Dass Del Rey „White Dress“ betörend schön singt, versteht sich von selbst.
Und „Breaking Up Slowly“ ist ein Pop-Drama, auf das Lana Del Rey sich versteht wie keine andere. Sie spielt clever das alte Lied des Pop: Banalität wird durch Veredelung transzendiert.